Fotografin Francesca Woodman

Sichtbar, aber nicht aus Fleisch und Blut

Francesca Woodman "From Polka Dots, Providence, Rhode Island", 1976
Foto: © Francesca Woodman

Francesca Woodman "From Polka Dots, Providence, Rhode Island", 1976

Die Selbstporträts der Fotografin Francesca Woodman sind betörende Spiele mit dem Übersinnlichen. Die Künstlerin bediente sich klassischer Schönheitsideale - und wehrte sich gegen sie

Engel haben einen Körper, sind aber nicht aus Fleisch und Blut. So beschrieb der Kirchenvater Augustinus vor einigen Jahrhunderten die himmlichen Wesen, nach denen viele Bilder der Fotografin Francesca Woodman benannt sind. "On Being An Angel" heißt nun auch ihre erste institutionelle Ausstellung in Deutschland im Berliner Fotozentrum C/O (Anmerkung: Zur Zeit ist die Ausstellung wegen der Coronavirus-Gefahr geschlossen). Augustinus' Beschreibung passt erstaunlich gut auf die fotografische Selbstinszenierungen der Künstlerin, aber wie lässt sich das mit einer feministischen Lesart der Bilder vereinen? Schließlich ist der Engel als Sinnbild für die tugenhafte Frau eingefleischtes Vokabular des Patriarchats.

Auf den meisten der rund 800 Bilder, die den Nachlass der US-amerikanischen Fotografin Francesca Woodman (1958 - 1981) umfassen, erscheint der Körper der Künstlerin selbst. Und auch wenn immer mal wieder andere Modelle zu sehen sind, lassen sie sich nur schwer von Woodman unterscheiden. Trotz der Präzenz in den Werken bekommt man die junge Frau nicht zu fassen, die mit nur 22 Jahren starb und deren Kunst in Europa noch immmer zu entdecken ist. Die fotografischen Körper wirken in ihrer Anwesenheit abwesend oder entrückt. Woodman ist sichtbar, aber eben nicht als Fleisch und Blut.

Lichtspur eines flüchtigen Moments

Die geisterhaften Erscheinungen sind kein Zufall. Sowohl durch ihre Technik als auch durch die Wahl ihrer Sujets wie etwa Schatten, Abdrücke oder Spiegelbilder macht sie das Medium der Fotografie selbstreflexiv als Lichtspur eines flüchtigen Moments erfahrbar. Oft fängt sie Bewegungen ein. Verschwommene Flächen lösen dann die feste Umrisskonturen von Körpern auf. Woodmans fotografische Performances finden meistens in leeren, morbiden und zugleich charmanten Räumen statt.

Von der verrückten, eingesperrten Protagnistin eines viktorianischen Romans bis zur überästhetisierten Instagram-Pose kann man hier viel assoziieren, aber am Ende überwiegt die Eigenwilligkeit der Künstlerin, die sich nur schwer beschreiben lässt. Der tragische Selbstmord der Künstlerin 1981 dürfte außerdem dazu beitragen, in Woodmans Fotografien nach Engeln zu suchen. Sind ihre Bilder Vorahnungen? Es gibt auf jeden Fall Stimmen, die sie als Möglichkeit lesen, den eigenen Tod zu erproben.

Die Üppigkeit sinnlicher Schönheit

Bei aller ätherischer Ungreifbarkeit in den Bildern lohnt es sich auch, die Üppigkeit sinnlicher Schönheit in ihnen zu entdecken. Stoffe, Blumen, Obst, Tiere, Muscheln zeugen von der Lust am Dasein, auch wenn diese Dinge wie bereits in barocken Stillleben zugleich Requisiten sind, um uns an die Vergänglichkeit des Daseins zu erinnern. Aber was stirbt, muss erstmal auch leben.

In Francesca Woodmans Spiel zwischen Irdischem und Übersinnlichem, das nichts Geringeres aufruft als die Grundspannung abendlänischer Kunst, schwankt schließlich auch der nackte weibliche Körper. Ziemlich klassisch, so könnte man meinen, ist er Objekt erotischer Lust und überhöhtes Ideal und bleibt damit dem kanonischen männlichen Blick unterworfen. Dass Woodman gekonnt die Symbole der abendländischen Kultur durchdeklinieren konnte, liegt womöglich daran, dass sie mit ihren Künstlereltern seit ihrer Kindheit regelmäßig Zeit in Italien verbrachte. In Rom sind auch große Teile ihres Werks entstanden.

Alles andere als ein abwesender Engel

Dass Woodmans Fotografien vor allem von feministischen Kunstkriterinnen entdeckt und verbreitet wurden, liegt nun aber daran, dass sie nicht im Tradierten verharrt, sondern im wahrsten Sinne des Wortes, die klassischen weiblichen Körper in Bewegung versetzt. Die Kompositionen ihrer Bilder sind nicht feststehende, formale Aufbauten, sondern entstehen in einer Art magnetischem Feld. Sie windet ihren Körper um klassische Symbole und Posen und sucht gleichzeitig nach Auswegen, um alten Bildern zu entfliehen. Woodman wird von den klassischen Schöhnheitsidealen wie von einem Magnet angezogen, zeigt aber, wie sie sich gegen diese Anziehung wehrt.

Einblicke in Woodmans fotografisches Arbeiten liefert  Videomaterial, das ebenfall in der Berliner Ausstellung zu sehen ist. Vor allem die kurzen Momente vor Beginn und nach Ende der gefilmten Performances zeigen Woodman als agierende, tatkräftige Künstlerin, die alles andere als ein abwesender Engel ist. In der ersten Videosequenz, schreitet Woodman mit Pelzmantel und Stiefeln vor die Kamera und zieht sich aus, um sich dann mit Farbe zu bemalen. Sie vollzieht diese Handlung bestimmt, fast resolut und für einen kurzen Moment ist der Engel doch aus Fleisch und Blut.