Kunstbuchmesse "Friends with Books" in Berlin

Nichts erklären. Sehen und denken reicht!

Was am Wochenende auf der Kunstbuchmesse "Friends with Books" in Berlin an Energie, Wissen, Intelligenz und Freude zusammenkam, ist in Zahlen nicht auszudrücken. Silke Hohmann versucht es mit Worten 

Je mehr Bücher man hat, desto höhere Mauern kann man überwinden. Das ist kein semi-schlauer Wohlfühl-Aphorismus, sondern letztlich eine Frage von Statik und Balance. Bücher aufeinanderstapeln, draufklettern, sich drüber schwingen –  so macht es der Künstler und Spezialist für Alltagsskulpturen Brad Downey auf einem Poster vor, das auf der Messe "Friends with Books" für 10 Euro zu kaufen war.

Um zu entkommen, nutzen viele Leser von einst heute Serien von Streamingdiensten, ergab eine kürzlich erschienene Studie des Börsenvereins. 6,3 Millionen Käufer hat der Buchmarkt seit 2013 verloren. Die Menschen sind zu lange online, sie swipen und tippen und lesen umsonst, anstatt zu kaufen und zu blättern. Über Mauern klettern sie auch nicht mehr.

Matthias Hübner und Brad Downeys Poster "The Use of Books"

"Friends with Books" wurde von Enthusiasten für Enthusiasten gegründet. Die Teilnahme – Ausstellungsfläche ist ein Tisch – ist preiswert, rund 100 Euro für jeden Aussteller, Freitag- bis Sonntagabend. Die etablierten Kunstbuchverlage, auf der Buchmesse sonst immer die Paradiesvögel, wirken zwischen den ganzen Kleinstauflagen, Geheimtipps, Zines, Sonderdrucken fast zugeknöpft. Worauf es ankommt, ist gute Gestaltung und wilde Gedanken. Was am Wochenende in den zwei Ausstellungssälen in den Rieckhallen des Museums an Energie, Wissen, Intelligenz und Freude zusammenkam, ist in Zahlen nicht auszudrücken, auch nicht in sogenannten schlechten Zahlen. 

Das Publizieren im Kleinen hat den Vorteil, nach eigenen Regeln spielen zu können. Ilan Manouach machte Standbilder von den Anfangssequenzen von Internetpornos und ließ durch einen Filter im Web jene heraussuchen, in denen Kunst an den Wänden hing. Es ist ein kompaktes, dickes Buch ohne Text geworden, natürlich nicht über Kunst, schon gar nicht über Sex, sondern über das Menschsein in diesen Zeiten. Am Stand der französischen "Lendroit éditions" kostet es 29 Euro.

Der Bildband "Harvested" von Ilan Manouach

Viele Künstler geben ihre Arbeiten selbst heraus, Roman Schramm hat mit seiner Zweijahresschrift "Skulpi" und Heften mit seinen neuen fotografischen Werken den schönsten Stand.

Roman Schramm

Oder der Künstler Moritz Frei, Gründer von Berlinartbooks, der sein künstlerisches Tagebuch "Kunstwerk des Tages" – jeden Tag eine grandiose Idee aus unspektakulären Alltagszutaten – soeben auf Englisch veröffentlicht hat. Während er so dasaß vor seinen sehr lustigen Büchern hat er ein paar Rollen Toilettenpapier mit Slogans beschriftet und signiert. "Eine hab ich schon verkauft, 10 Euro!", freut sich der Künstler. Selfpublishing macht auf Papier einfach am meisten Spaß.

Moritz Frei an seinem Berlinartbooks-Stand

Hinter Miriam Jung hängen drei identische Poster mit den Augen von Donald Trump. Jung ist Fotokünstlerin und hat ein Buch zur Ästhetik des Narzissmus gemacht. Dabei haben ihre selbstreflexiven Schwarzweißfotografien nichts mit Trump zu tun, aber viel mit dem Sehen. Hier wird nichts erklärt, schauen und denken reicht. Das unterscheidet die Kunstbuch-Szene vielleicht fundamental von der Branche als Ganzes: Nichts muss vordergründig funktionieren, aber es muss gut sein.

Poster von Miriam Jung

An einem der Tische sitzen mehrere Bartträger mit Brille, die alle freundlich auffordernd schauen, und weil ich hier das Poster mit dem Bücherstapel und der Mauer wiedererkenne, frage ich einen von ihnen, ob er Brad Downey sei. Er bejaht, genau wie seine Kollegen auch. Es stellt sich heraus, dass Downey nicht nur gerne Bücher und andere Dinge zu Skulpturen macht, sondern daraus dann auch wieder Bücher. In einem neuen Band mit seinen Spontan-Interventionen krönen Parkbänke Bushäuschen, öffentliche Papierkörbe türmt er zu filigranen Säulen, und auch sich selbst bringt er immer wieder als skulpturales Element in die Stadt ein. Sein Buch "Slapstick Formalism" bei Possible Books war bloß zu schwer, um es nach Hause zu tragen. Obwohl die Brads es mir sogar schenken wollten. Sie winken zum Abschied.

"Friends with Books" findet jedes Jahr wieder statt. Freunde von Büchern sind auch meine Freunde.