Geschichtskontrolle: Die Wiener Kunsthalle präsentiert 30 Jahre Porträtfotografie

Österreich sucht das Traumgesicht. In den Ausstellungen vom nieder- österreichischen Krems bis Wien beherrschen Porträts das Bild. Die Kremser Kunstmeile widmet sich dem Thema mit der breit gefächerten Ausstellung „Sehnsucht nach dem Abbild“, während in Wien „Fotografie als Bühne“ Thema ist. Mit der Schau will Kurator Peter Weiermair, einst Direktor des Frankfurter Kunstvereins, eine komplette Geschichte der Porträtfotografie von den 80er-Jahren bis in die Gegenwart erzählen.


Er hat prominente Namen für dieses Vorhaben ausgesucht. Die polierten Celebrity-Porträts von Anton Corbijn treffen auf deutlich brillantere Einzel- arbeiten von Wolfgang Tillmans, Rineke Dijkstra oder Robert Mapplethorpe. In der mit Werkgruppen von mehr als 30 Fotografen bestückten Schau findet sich Profanes und Hintersinniges, straighter Realismus steht neben digital Nach­geschminktem, Snapshots folgen auf komplexe Inszenierungen. Am über- zeugendsten jedoch sind die Arbeiten der 1945 geborenen New Yorkerin Tina Barney. Mit Aufnahmen aus dem Innenleben amerikanischer Upperclass-Familien versucht die Fotografin bereits seit Längerem, der sozialdoku- mentarischen Fototradition neue Impulse zu geben.


Neben den ebenfalls reichhaltig ausgestellten Abbildern von Underdogs und Ausgestoßenen wirken diese Wohlstandsfamilien fast wie Fremdkörper in der Schau. Die wirklichen Freaks scheinen heute nicht mehr die Aidskranken auf den Fotografien Nan Goldins oder die skurrilen Dorftölpel bei Roger Ballen zu sein: In der Geschichte der Porträtfotografie hat man sich längst an ihre Gesichter gewöhnt. Auffallend sind eher die Satten und die Saturierten. Mit der Wahl von Tina Barney ist Kurator Weiermair nicht nur eine Aussage über den Wandel des Menschenbildes in der Fotografie gelungen. In ihrer merkwürdigen Exotik erzählen diese Gesichter auch viel über die beschleunigten Veränderungsprozesse in unserer Gesellschaft.
 

 

Kunsthalle Wien, bis 18. Oktober