Maschinelles Lernen

Wie Google das Kunsterlebnis beeinflusst

Foto: instagram.com/goupile
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Im "Selfie Experiment" können Benutzer von Googles Arts & Culture App im Bestand der Museen der Welt nach ihrem Doppelgänger suchen

Das Google Cultural Institute hat Anwendungen entwickelt, mit denen Benutzer den Bestand von Museen auf der ganzen Welt ansehen oder Doppelgänger in der Kunstgeschichte aufspüren können. Doch was bleibt von solchen Experimenten? Ein Besuch in Paris

Als Kind war für Amit Sood das Wichtigste, mit seiner Familie in einem Restaurant chinesisch zu essen. Museen glaubte er, seien etwas für reiche, versnobt Leute. Als der in Indien aufgewachsene Sood später nach New York zog, war das Museum of Modern Art ein sozialer Ort für ihn. Er trank dort Kaffee, denn um Ausstellungen zu sehen, hätte er Eintritt zahlen müssen. Als er dann nach London zog, musste er feststellen, dass es viel regnet. Also ging er häufig in Museen, weil der Eintritt in die Sammlungen gratis ist. "Technologie kann heute helfen, Menschen Kunst näher zu bringen", erzählt er deutschen Journalisten. Seine biografischen Ausführungen erklären, was er heute als Direktor des Google Cultural Institutes mit Kunst anstellen möchte: eigentlich alles, was denkbar ist, Hauptsache es bringt Menschen mit Kultur in Berührung.

An einem trüben Tag im März hat Google nach Paris in das Google Arts & Culture Lab eingeladen, um neue Projekte vorzustellen. "Machine Learning & Arts Experiments" steht in weißen Buchstaben auf den großen Screens an der Wand. Einen Erfolg mit einem der neuen Experimente kann Google an diesem Vormittag bereits vorweisen. Und dieser Erfolg gibt ihm recht. Technologie und ein spielerischer Zugang bringen Menschen mit Kunst in Berührung.

Mitte Januar ging das "Selfie Experiment" international viral: Die Arts & Culture App sucht in Museumssammlungen nach Doppelgängern von Benutzern -  und wird bisweilen tatsächlich fündig. Da sieht eine Person aus einem hunderte Jahre alten Gemälde dann aus wie man selbst. Und wenn das bei dem Match nicht so ganz der Fall ist, führt die Abweichung trotzdem oft dazu, dass Menschen die Ergebnisse unter dem Hashtag #googleartsandculture in den sozialen Medien teilen. 17 Millionen Selfies seien schon mit der App gemacht worden.

 

Google Arts & Culture entstand, weil Mitarbeiter 20 Prozent ihrer Arbeitszeit in eigene Ideen investieren können. Sood lacht, als er gefragt wird, ob es für ihn immer noch eins dieser 20-Prozent-Projekte sei. Längst reist er um die Welt und trifft Museumsdirektoren, denen wie ihm daran gelegen ist, den Zugang zur Kunst zu erweitern. Auf Gewinn bedacht sind diese Unternehmungen nicht, aber Sood gibt zu, dass das Imagekonto von Google davon profitiert. Außerdem ist es eine Win-Win-Situation: Google hilft den Museen dabei, ihre Sammlungen und Ausstellungen zu digitalisieren und bietet ihnen eine Plattform, während die Museen Google mit Inhalten aushelfen. Kommen einem Kooperationspartner zu irgendeinem Zeitpunkt Zweifel, können die Inhalte wieder aus dem Netz genommen werden, das sehen die Verträge vor. "Es gibt einen Delete-Button, ja", sagt Sood.

Es sind wichtige Schritte, virtuelle Rundgänge durch Museen anzubieten, Kultur durch 360-Grad-Videos erlebbar zu machen und Kunstwerke in hoher Auflösung zur Verfügung zu stellen. Doch da geht noch mehr. Und an diesem Mehr wird im Pariser Lab gearbeitet. Sood versteht, dass für Museen an erster Stelle Bildung und Vermittlung stehen und dass sie über ein begrenztes Budget verfügen. Deshalb können sie nicht immer first mover sein. Es sei für Museen nicht nötig, Teil des Hypes zu sein, gibt er zu bedenken. Dafür gibt es sie schon zu lange.

Die neuen Experimente, neben denen an diesem Vormittag ihre Ideengeber stehen, können auch über eine Website angesehen und ausprobiert werden. Das MoMA beispielsweise hat Google ein Problem gegeben, das mittels maschinellem Lernen gelöst werden kann – und dessen Lösung vor allem sehr nützlich ist. Im Archiv des New Yorker Museums befinden sich 30.000 Ausstellungsansichten. Ein Algorithmus hat sie mit den Bildern aus der Sammlung abgeglichen, 20.000 Werke wurden erkannt. Auf der Website des Museums kann man sich jetzt durch 4.808 vergangene Ausstellungen seit dem Eröffnungsjahr 1929 klicken und sich ansehen, welche Werke zugeordnet werden konnten.

Der deutsche Künstler Mario Klingemann will auch etwas zuordnen: Was hat beispielsweise Van Goghs Sternennacht mit Dürers Hase zu tun? Auf den ersten Blick nicht viel. Ein Algorithmus aber stellt über Ähnlichkeiten eine Verbindung her. Das ist natürlich amüsant anzusehen, wenn es von der Sternennacht über Van Gogh selbst und dann über einen Löwen und ein Eichhörnchen zum Hasen geht. "X Degrees of Separation" heißt sein Projekt und hat etwas von Tetris für Bildungsbürger. "Ich war nie gut im Malen", sagt er, "ich habe aber visuelle Ideen. Deshalb benutze ich Maschinen." Und was man diesen Maschinen beibringen kann, dafür ist sein Experiment ein Beispiel.

 

Wie man von Farben zu Inspiration kommen kann, zeigt die so genannte "Art Palette". Man wählt Farben aus oder lädt ein Bild hoch oder lässt sich einfach überraschen, und es werden weitere Werke aus der Geschichte der Kunst mit eben diesen Farben angezeigt. Das ist nicht nur schön anzusehen. Wer beispielsweise wissen will, welche Farbkombinationen wann und wo in der Kunstgeschichte Verwendung fanden, bekommt hier einen schnellen ersten Überblick. Paul Smith bezeugt im Video zum Experiment, dass "Art Palette" durchaus nützlich ist: Der britische Designer erklärt begeistert, wie er über Farben und Kunstwerke zu Inspiration und neuem Design kommt.

 

Denkbar und machbar ist viel, wenn kluge Köpfe Algorithmen trainieren, das wird an diesem Vormittag in Paris deutlich. Was dann wiederum andere Köpfe mit dem machen, was die Maschinen gelernt haben, ob sie selbst etwas dabei lernen oder nur schnell ein Selfie machen und dann die Kunst wieder vergessen? Jetzt ist der Mensch am Zug.