Valentin Carron in Bern

Grabungen im 20. Jahrhundert

Kann man es Nostalgie nennen? Oder ist es eher Ironie, mit der Valentin Carron der Kulturgeschichte begegnet? Der 1977 in der französischen Schweiz geborene Künstler sammelt ästhetische Bruchstücke des gerade vergangenen Jahrhunderts. Er baute einen Giacometti-Mann nach und ließ ihn eine obszöne Geste ausführen, bastelte Mosaike im Stil der 50er-Jahre und gab einem schwarzen Kreuz, das aussieht wie eine Mischung aus abstraktem Statement und strengem christlichen Zeichen, den Titel „I miss the 20th century“.

Den schweizerischen Pavillon auf der Biennale von Venedig 2013 bespielte er unter anderem mit einem restaurierten Exemplar des beliebten Piaggio-Mofas Ciao n° 6. Und auch seine Einzelausstellung mit dem Titel „do ré mi fa sol la si do“ in der Kunsthalle Bern holt vergessenes Kulturgut ans Licht.

Ausgangspunkt der Serie von Gemälden, die Carron hier zeigt, sind Buchumschläge aus Leder mit eingestanzten Motiven, wie sie insbesondere in den 50ern und vorzugsweise für Bücherzirkel hergestellt wurden, um das Wohnzimmerregal repräsentativ auszustaffieren. Manche dieser Umschläge sind aufwendige Handwerkskunst, viele aber semiindustriell produziert – Design-Fakes, die ihren Massencharakter zu verschleiern versuchen und zwischen Avantgarde und Banalität balancieren.

Auf Grundlage dieser Bilder hat Carron Siebdrucke geschaffen, die ein bisschen an Holzschnitte erinnern, allerdings auf einem besonderen Material: Gedruckt wurden sie auf Lkw-Planen, die Farbe eher abstoßen als aufnehmen, und anschließend auf Rahmen aus Eisenrohren aufgezogen. So ist ein bisschen Widerstand gleich mit eingebaut, wenn Carron die Relikte des bürgerlichen Gestaltungswillens des 20. Jahrhunderts ins Gedächtnis ruft.

Die etwa 35 Bilder, die in Bern zu sehen sind und großenteils extra für die Schau angefertigt wurden, sind nach Themen geordnet: Philosophie, Kunst, Krieg, Politik, Kinderbücher – und irgendwo sind vielleicht auch Valentin Carrons eigene Motive dazwischen versteckt.

„Valentin Carron: do ré mi fa sol la si do“, Kunsthalle Bern, 1. Februar bis 23. März