Prominente zeigen Handtaschen-Inhalt

Hat Lena Meyer-Landrut die Büchse der Pandora geöffnet?

Millionen Menschen schauen sich an, wie Stars den Inhalt ihrer teuren Handtaschen präsentieren. Unsere Autorin ist entsetzt von so viel Ungefährlichkeit. Aber was, wenn dahinter viel mehr steckt?

Die Welt ist tief und unergründlich. Vor allem dann, wenn Lena Meyer-Landrut sie mir mithilfe ihrer Handtasche erklärt. In einer Folge der "In The Bag"-Episoden der "Vogue Germany" enthüllt die Sängerin, die 2010 für Deutschland den Eurovision Song Contest gewann, den Inhalt ihrer Nylon-Camera-Bag von Prada vor aller Augen der Online-Öffentlichkeit. Und dieser Inhalt ist nichts anderes als – furchteinflößend: Ein logopädischer Gummischlauch, in den Lena Meyer-Landtrut vor laufender Kamera bläst. Ein Nagelöl (von Susanne Kaufmann), um ihre trockene, zerrissene, schreckliche Nagelhaut zu pflegen. Ein Buch zum Finden ihres inneren Friedens.

Ich sehe die Folge im Zustand vollkommenen Entsetzens. Die Möglichkeit eines inneren Friedens im Zusammenhang mit dieser Tasche ist, gelinde gesagt, schockierend. Im Bezug auf diese Tasche kann es für mich keinen inneren Frieden geben.

Hat Meyer-Landrut etwa die Büchse der Pandora geöffnet? Nein, natürlich nicht. Aber dennoch – was war und ist denn überhaupt der Sinn einer Handtasche? Geht es nicht um das, was sich in ihr befindet? Und welche Dinge wären es wert, tausende von Euros in ein solch winziges Beutelchen zu investieren, um sie darin zu transportieren? Ein gelblich stumpfer, benutzt aussehender Gummischlauch, den man vor einer Kamera herauszieht und damit gurgelt?

 

Einmal saß ich mit einem Mann in einem ungarischen Restaurant, meine Tasche auf dem Tisch vor mir. Ich verbrachte den ganzen Abend damit, zu überlegen, ob ich von dem Gesicht des Mannes mir gegenüber auf den von ihm darin vermuteten Inhalt schließen könnte. Gewöhnlicherweise schenken die Art-Daddys, die ich treffe, Damenhandtaschen keine besondere Aufmerksamkeit. Sie hängen halt eben so dran an der Frau. Die Frau tut irgendwelche Dinge da hinein und holt sie wieder heraus. Großes, erdumfassendes Rätsel.

Einmal hat einer von denen meiner Freundin die "Manet x Jeff Koons"-Tasche von Louis Vuitton geschenkt. Aber nur als joke. Die Wenigsten verstehen ja die Idee der Tiefe einer Handtasche. Der Mann mir gegenüber im Restaurant jedenfalls sah hin und wieder zu meiner Tasche. Etwa zu dem Zeitpunkt, als er sein Gulasch bekam, versuchte ich, die Tasche (ebenfalls Prada, Geschenk von wieder einem anderen, aber ähnlich tragischen Art-Daddy, zu diesem Zeitpunkt bereits vollkommen runtergerockt) im Verhältnis zu seinem Teller so zu positionieren, dass sie besonders gefährlich aussah.

Ich hatte längst vergessen, wovon unser Gespräch handelte und wollte deshalb, dass er während einem seiner beiläufigen Blicke auf meinen Mund, meine Augen und meine Tasche plötzlich von der existentiellen Erkenntnis überwältigt würde, dass diese Frau ihm gegenüber ein Messer in ihrer Tasche haben könnte. Oder eine Pistole. Nicht etwa eine Damen-Pistole, wie man es vermuten könnte. Eine Glock.


Emma Watsons Taschen-Episode ist im Übrigen nicht weniger furchteinflößend. Sie hat einen großen, schrecklichen Oma-Korb. Darin hat sie eine Wärmflasche. Und irgendwelche Kekse. Die Tasche ist so sympathisch, dass ich würgen muss. Wenn Emma Watson jemals sexy war, dann ist es jetzt mit einem Mal erloschen. Da ist wirklich absolut nichts Terroristisches in dieser Tasche. Nicht einmal ein roter, böser Lippenstift. Ein Lotterielos. Eine Pferdepistole (dies sind übrigens die Dinge, die in der berühmten Box der Prophetin Joanna-Southcott gefunden wurden, und das ja nicht ohne Grund).

Nur Meyer-Landruts Tasche ist noch ungefährlicher: Sogar das Dior-Lipgloss hat neben den in ihren Gehörgang gegossenen In-Ear-Kopfhörern seine ganze, ihm ja sozusagen von Natur aus innewohnende Bedrohlichkeit verloren. Das muss an der Paarung mit dem Nagelöl von Susanne Kaufmann liegen. Susanne Kaufmann rottet selbst den hypothetischen slank (slut und skank = slank) jeder Handtasche aus. Evolutionäres Wunder.

Ich erinnere mich gerade daran, wie mich einmal jemand mit einer großen, blumigen Handtasche mit einem Bambushenkel gefragt hat, weshalb ich Männern gegenüber so aggressiv sei. Seit ich Meyer-Landruts Handtasche gesehen habe, weiß ich die Antwort: Ich bin doch gar nicht aggressiv. Ich bin ganz nett. Und das hier ist meine Tasche. Darin ist absolut gar nichts, was meine Eltern stört. Keine bösen Ideen. Keine hinterhältigen Gedanken. Kein Lippenstift, mit dem ich das Elternbad vollkritzele. Nein. Nichts davon. Ich habe nur einen Schlauch. Und ein Nagelöl. Und eine Menstruationstasse. Das hier ist meine Tasche, und die ist einfach langweilig, stumpfsinnig, logopädisch und sonst nichts. So langweilig, stumpfsinnig und logopädisch, dass sie mich sozusagen von allein zwingt, die Dinge einfach vorzuzeigen.

Ich will jeden DM-Beleg und jeden funkelnden Bruch einer angebissenen Ipalat-Tablette

Aber wenn es nun genau das ist? Wenn ich Meyer-Landruts Showdown ganz missverstanden habe? Wenn er genau davon handelt? Davon, dass es das ist? Das, was die Welt im Inneren zusammenhält? Die Wahrheit darüber, dass es hinter Meyer-Landruts Camera Bag keine echte Tasche gibt? Dass diese Tasche genau das ist, was sie vorgibt zu sein? Dass das Geheimnis der Welt hier vor unser aller Augen entblößt wurde? Mir ist schwindelig. Plötzlich bin ich vom stumpfen Inhalt der Welt wie bezaubert. Ich will jetzt alles wissen. Ich bin ein Dieb. Ich will jeden DM-Beleg und jeden funkelnden Bruch einer angebissenen Ipalat-Tablette.

Doch was ist das? Lilly Rose Depp hat in ihrer Episode gerade ihre Handtasche auf das Bett gestellt. Eine nichtssagende Musik spielt dazu. Doch was tut sie da? Sie lässt sich auf das Bett fallen und leert ihre Tasche aus wie ein Kind, dem die Dinge darin nur gespielt gehören.

Ich traue meinen Augen nicht. Alles, was dort liegt, ist absolut unpraktisch, nutz- und bedeutungslos.

Jetzt weine ich.

I love Lilly-Rose Depp.

Ich sehe noch Videos, wie Lilly sich die Augen schminkt. Ihr Gesicht existiert auch nur beinahe. Nichts von alldem existiert wirklich. Ich zeichne ihren Lidstrich nach. Ich ziehe mein Top runter und ahme ihren Ausschnitt nach. Ich öffne meinen Kühlschrank und lege das einzig darin vorhandene Lebensmittel – eine Mandarine – in meine kleine slanky Tasche. Ich gehe raus, um jemanden damit zu bewerfen.