Hang zur Entblößung

In vielen Museen und Galerien ist mir in letzter Zeit eine neue künstlerische Haltung aufgefallen. Sie flackerte vergangenes Jahr in der New-Museum-Schau „Younger Than Jesus“ auf, zog sich durch die Whitney-Biennale und kam jetzt in der Überblicksausstellung „Grea ter New York“ im P.S.1 zu voller Blüte. Die Haltung sagt: „Ich weiß genau, dass die Kunst, die ich mache, albern wirkt.“ Die Künstler geben sich reflektiert und angstfrei, ironisch und ernst zugleich.

In den besten Arbeiten von „Greater New York“ pulsiert diese Einstellung; die schlechtesten sind voller Dinge, die sich bewegen, aufleuchten oder Krach machen, alles wild genug, um einem das Gefühl zu geben, beim Karneval zu sein. Vermisst habe ich Kunst, die einen zum Anhalten zwingt. Malerei kommt kaum vor. Stattdessen favorisieren die Kuratoren – Connie Butler, Neville Wakefield und Klaus Biesenbach – Werke „über“ Malerei wie die auf einem Bord stehende weiße Leinwand von David Miko, hinter der an der Mauer Farbtropfen aufgemwalt sind. Ihr schwerfälliger Titel: „Lonely Merch Guy“, einsamer Merchandisingartikel-Verkäufer.

Aber jetzt ein Blick auf die Sonnenseite: 13 Künstler habe ich gezählt, die ich wirklich gut finde, und zwölf weitere, von denen ich gern mehr sehen würde. Wie Liz Magic Laser mit „Mine“, einem Video über die Geheimnisse des Frauenlebens, in dem sie und ein Chirurg mit Robotern eine Operation an ihrer Handtasche durchführen. Die Künstlerin zerlegt und erschafft gleichermaßen und verwandelt das Accessoire in eine Art Rauschenberg-Combine. Umweltbewusst zeigen sich Brian O’Connells witzig-kuriose architektonische Säulen aus Blumenerde – man denkt, in einer riesigen Sandburg zu stehen. Und David Brooks trägt in Zement mumifizierten Wald ins Museum – ein trauriger Kommentar zur Verwandlung der Natur in tote Spielplätze. Leigh Ledares Fotos seiner Mutter beim Sex bringen den Betrachter ins dunkle Zentrum des menschlichen Triebs, anderen nahe zu sein. Der rührende Anblick von Ryan McNamara, der sich in den Fluren des Museums Tanzunterricht erteilen lässt, ist ein positives Beispiel künstlerischer Selbstentblößung, im übertragenen oder echten Sinne. Viele der wirkungsvollsten Werke der Schau wechseln extrem überraschend von einem zum anderen Medium: Skulptur, Musik, Video, Fotografie. Techniken wie Collage und Assemblage werden mit ungewöhnlichen Materialien wie Lehm, Magneten, gestohlenen LPs und Kunstkritiken (sogar eine von mir ist dabei, in einem Installationsgemälde von Franklin Evans) realisiert.

Riesige Gruppenausstellungen sind Organismen, die einen hin und her reißen. Vor fünf Jahren präsentierte „Greater New York“ Arbeiten von 162 Künstlern, was absurd war. 2010 sind es nur 68. Für entscheidender aber halte ich, was man nicht sieht: die Sorte Zynismus, die einfach bloß cool ist oder die Ironie ironisiert; oder Werke, die Kunst kommentieren, die andere Kunst kommentiert. Mit Freude registriere ich dieses Verschwinden.