Crowdfunding

Haste mal 'nen Euro?

Das sogenannte Crowdfunding gibt es nun schon seit einer Weile, und es ist im Grunde genommen ja auch eine feine Sache. Internetseiten wie Kickstarter.com verbinden Menschen miteinander, die sich außerhalb des Netzes nie begegnet wären, und ermöglichen es ihnen, ihre kreativen Träume wahr werden zu lassen. So einen, wie Perry Chan ihn zum Beispiel hatte.

Chan, der zu den Gründungsmitgliedern von Kickstarter.com gehört, wollte im Jahr 2001, als er noch in New Orleans studierte, ein Konzert veranstalten, konnte nur leider die finanziellen Mittel nicht auftreiben und musste das Konzert deshalb sausen lassen. Perry Chan hat das gewurmt. Und so gründete er nach dem Studium und zurück in New York City gemeinsam mit zwei Freunden eine Online-Plattform, die es Menschen zukünftig erlauben sollte, genau das zu tun, was ihm verwehrt geblieben war: künstlerische Ideen vorzustellen und sie durch die finanzielle Unterstützung von vielen in die Tat umzusetzen.

Vorbei an den Gatekeepern der Kulturindustrie


„Für kreative Köpfe“, sagt Chan, „ist das ein Weg vorbei an den Gatekeepern der Kulturindustrie.“ Ein kurzer Weg eben, der keine aufwendigen Bewerbungsverfahren mit sich bringt, keine Mappen, keine Zeugnisse, keine Vorstellungsgespräche. Allein die Idee und der Geschmack des Publikums zählen. Die Musikerin Amanda Palmer, die über eine Million Dollar bekam für die Produktion des Albums „Theatre is evil“, drückte es so aus: „No label, no rules, no fuss, no muss. Just us, the music, and the art.“

Auf dem Crowdfunding-Weg konnten seit 2009 rund 4,8 Millionen Menschen für knapp 50 000 Projekte in den Bereichen Kunst, Fotografie, Film, Theater, Musik oder Design begeistert werden. Fast 778 Millionen Dollar kamen zusammen, wobei das Spendenprinzip immer dasselbe ist. Jemand stellt sein Projekt auf die Internetseite Kickstarter.com und fängt an, es zu auktionieren: Die Kickstarter haben wenige Wochen Zeit, das Gesamtbudget zusammenzubekommen. Für unterschiedliche Geldbeiträge werden unterschiedliche Gegenleistungen garantiert.

Gegenwärtig etwa wirbt ein Autor um Unterstützung für ein Buchprojekt: James Erwin möchte einen Science-Fiction-Roman schreiben, und wer bereit ist, seine Arbeit mit zehn Dollar zu unterstützen, bekommt ein PDF des Buches zugeschickt. Eine Designfirma aus Toronto möchte schöne Holzmöbel produzieren und verspricht, eine Unterstützung von 350 Dollar mit der Zusendung eines ihrer Tische zu belohnen. Der Musiker Josh Taylor aus Nashville, der seine Songs bisher nur auf YouTube veröffentlichte, will ähnlich wie Amanda Palmer ein Album produzieren und wird seine Geldgeber mit ebenjenem Album belohnen.

Für viele Bereiche ergibt das Crowdfunding also offenbar sehr viel Sinn: Profitieren doch die Anbieter und Abnehmer direkt von dem Tausch und nicht etwa der ganze Apparat aus Verlagen, Händlern und Platten­labels. Die Nachteile dieses Spendenprinzips zeigten sich indes jüngst im Kunstbereich.

Umarmung für einen Dollar


Vor wenigen Wochen erreichte den Abonnenten eines Newsletters der Thyssen-Bornemisza Art Contemporary eine E-Mail der Stiftungsgründerin Francesca Habsburg, in der sie dazu aufrief, ein Kunstprojekt der Künstlerin Marina Abramović zu unterstützen. Marina wolle, so hieß es, das Marina Abramović Institute gründen, in Upstate New York, und für den Bau, den sie bei dem Architekten Rem Koolhaas in Auftrag geben wolle, benötige sie noch Geld, circa 600 000 Dollar. Francesca Habsburg kündigte an, ein Startkapital von 10 000 Dollar zur Verfügung zu stellen, und rief die Freunde der Stiftung auf, es ihr gleichzutun. Innerhalb der nächsten 19 Tage könne man zwischen zehn und 10 000 Dollar spenden, die Spende sei auch von der Steuer absetzbar, da es sich um ein Non-Profit-Unternehmen handele. Ein einfacher Klick auf die Homepage der Crowdfunding-Plattform Kickstarter.com genüge, um den Traum von Abramović, ein Zentrum für Performance-Kunst, wahr werden zu lassen.

Tatsächlich war auf Kickstarter.com eine Seite eingerichtet worden, auf der die Künstlerin um Unterstützung warb. Und wie alle anderen Projektanbieter hatte auch sie eine Liste entworfen, die bestimmte, was die Förderer ihres Instituts für die unterschiedlichen Geldbeträge erwarten durften. Neben den für den Kunstbereich üblichen Gegenleistungen, wie sie auch den Freundeskreisen von Museen versprochen werden (etwa gesonderte Führungen zu bekommen oder bei größeren Spenden namentlich auf einer Tafel erwähnt zu werden), sollten ihre Unterstützer ebenfalls in den Genuss ihrer Kunst kommen: Für einen Dollar würde Marina Abramović den Spender umarmen, für 25 Dollar durfte man an einem globalen Slow-Motion-Walk teilnehmen, den sie via Livestream zu organisieren beabsichtigte, für 100 Dollar wollte sie gar eine DVD zur Verfügung stellen, über die man ihre Performance-Methoden kennenlernen und ähnlich wie bei Aerobic- oder Yogakursen zu Hause nachahmen durfte.

Kunst oder Merchandise?

Man kann von Abramović nun halten, was man will, diese Kunstwerke unter Umständen sogar als logische Folge ihres künstlerischen Verfalls bewerten. Da Abramović aber nicht die einzige Künstlerin ist, die sich des Crowdfundings bedient und glaubt, sie müsse die Spenden mit einer Art Kunstwerk belohnen, dürfen ihre Angebote bei Kickstarter.com als symptomatisch für eine merkwürdige Entwicklung des Kunstbetriebs gelten: Auch andere Künstler nehmen die Sache nämlich persönlich in die Hand, denken sich irrsinnige Formate aus, um an Geld für die Produktion ihrer Kunst zu kommen, die der Logik des Systems entsprechend weniger qualitativen als vielmehr quantitativen Maßstäben gehorchen. So dürfte Spencer Tunick mehr als 500 Unterschriften auf Flyer, Postkarten, billige Drucke und DVDs gesetzt haben, um die Sponsoren einer seiner Nackt-Performances zu befriedigen, die er am Toten Meer realisierte. Andere bieten massenkompatible Mail-Art-Sendungen an, Aufkleber, bedruckte Tassen und T-Shirts.

Die Euphorie für die Demokratisierung der Kunstproduktion, das Crowdfunding, dürfte angesichts solcher Objekte, die man bisher vor allem aus den Museumsshops kannte und nur selten mit den Künstlern und schon gar nicht mit Kunst in Verbindung brachte, daher etwas erschüttert sein. Plötzlich ist man Händlern und Galerien jedenfalls wieder dankbar, dass sie zwischen der Kunstproduktion und dem Verkauf vermitteln und Künstlern im besten Fall eine Art Schutzraum gewähren, in dem sie unabhängig von den Bedürfnissen des Publikums arbeiten können. Auch versteht man, warum es Kuratoren gibt, die den Künstlern die Freunde der Ausstellungshäuser vom Leib halten und zwischen den Interessen der Kunst und des Publikums vermitteln. Im schlimmsten Fall nämlich liefert Crowdfunding das Argument, auf die mittelbare, auch öffentliche Kunstförderung verzichten zu können, ohne die es die Kunst, die sich vielleicht nicht in Merchandising-Produkte pressen lässt, gar nicht geben würde. Crowdfunding ist deshalb eine feine Sache – im Zweifel aber nur für diejenigen, die sich auch mit vielen anderen Menschen verstehen.

Dieser Artikel erschien in Ausgabe 09/2013. Sie können das Heft hier bestellen.