Horst Bredekamp über das Verbot von Terrorbildern

"Die Betrachter werden Teil eines kriminellen Aktes"

Zerstörungen auf dem Gelände des Supernova-Festivals im israelischen Re'im nach den Angriffen der Hamas
Foto: Ilia Yefimovich/dpa

Zerstörungen auf dem Gelände des Supernova-Festivals im israelischen Re'im nach den Angriffen der Hamas 

Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp plädiert nach dem Terrorangriff der Hamas für einen neuen Umgang mit Bildern solcher Taten. Hier spricht er über das Betrachten als Komplizenschaft und den Unterschied zu Gewaltdarstellungen in der Kunst


Herr Bredekamp, Sie haben vor kurzem in der "Süddeutschen Zeitung" ein Plädoyer veröffentlicht, in dem Sie für ein Verbot von Terrorbildern eintreten. Bevor wir auf den Inhalt des Artikels eingehen, könnten Sie kurz darlegen, was ein Bilderverbot eigentlich ist?

Ein Bilderverbot hat drei Seiten. Zum einen die Definition gestalteter Formen, die nicht hergestellt und gezeigt werden dürfen, wie zum Beispiel Nazisymbole. Zweitens jene Bilder, die durch kriminelle Akte entstehen, am bekanntesten ist hier die Kinderpornografie, in Bezug auf die nicht allein der Vertrieb, sondern bereits der Besitz und damit auch das Ansehen als Verbrechen gelten. Seit den Nullerjahren ist ein dritter Bereich in Form des Terrors entstanden, der ebenfalls bis zum Bereich des Betrachtens von Bildern reicht. Es handelt sich um Bilder, die durch schwere Verbrechen hergestellt werden, um betrachtet zu werden. Darum ging es mir in meinem Artikel. Gegen meine Überzeugung, die prinzipiell gegen jede Form der Zensur gerichtet ist, scheint mir das Ansehen dieses dritten Bereiches als verbotswürdig: für das Individuum und die sogenannten sozialen Medien als Selbstverpflichtung und für den öffentlichen Raum als Gesetz.

In Ihrem Plädoyer bezeichnen Sie das Ansehen terroristischen Bildmaterials als Komplizenschaft. Wie mache ich mich als Betrachterin mitschuldig? 

Indem ich Bilder betrachte, obwohl ich weiß, dass zur Produktion dieser Bilder Menschen geopfert wurden. Sei es, dass sie getötet, vergewaltigt oder zu Geiseln gemacht wurden. Sobald ich weiß, dass ein Bild mit einem kriminellen Akt verbunden ist, mache ich mich, sowie ich dieses Bild betrachte, zum Komplizen und werde Teil eines kriminellen Aktes. Aus diesem Grund scheint es mir geboten, dass das Betrachten dieser Bilder untersagt sein muss. Unabhängig davon, ob ein solches Verbot überhaupt durchsetzbar ist und nicht allein als Appell verbleibt. Es geht mir um die ethische Maxime, dass ein Bild nicht betrachtet werden darf, zu dessen Herstellung ein Mensch entwürdigt oder entleibt wurde. 

Gleichzeitig plädieren Opfer oft dafür, Gewalttaten sichtbar zu machen. Gesetzt den Fall, es gäbe ein Verbot, wer dürfte bestimmen, was betrachtet werden darf und was nicht? 

In Ihrer Frage steckt natürlich das Problem, ob es nicht eine Informationspflicht gibt und ob die Opfer nicht genau mit diesen Bildern für sich selbst sprechen können, dürfen und müssen. Die Informationspflicht ist relativ genau. Menschen in entwürdigenden Situationen dürfen nicht gezeigt werden. Eine Grauzone entsteht dort, wo der öffentliche Status der Person den persönlichen Status übersteigt, also dann, wenn die Person in zwei personae zerfällt, eine private und eine öffentliche. Das öffentliche Interesse kann in einem solchen Fall dieses Gebot tendenziell aufheben. Im Sinne der Informationspflicht könnte begründet werden, dass auch die Geiselnahmen gezeigt werden, wenn die Gesichter verpixelt werden, wie das ja auch in der Regel geschieht. Für meinen Begriff aber ist selbst dies in Fällen wie den Taten des 7. Oktober bereits Komplizenschaft. 

Sehen Sie darin auch Ihre Verpflichtung als Wissenschaftler, über den Inhalt dieser Bilder zu informieren?

Vom Verbot des Ansehens dieser Bilder ausgenommen ist, wie auch im Bereich der Nazi-Propaganda und der Kinderpornographie und in allen Fällen des Blickens in menschliche Abgründe, die Wissenschaft, und hier insbesondere Bildwissenschaft, Psychoanalyse, Sozialwissenschaft, Theologie, Kunst und Polizei, in ihren definierten institutionellen Rahmen.

Sie behaupten, auf der bildstrategischen Ebene der Hamas befinden sich Fotos, die Geiselfreilassungen zeigen auf derselben Linie wie Morddarstellungen. Aber die Bilder der freigelassenen Geiseln lösen bei den Betrachtern doch ein anderes Gefühl aus als Mordtaten? 

Die Geiseln wurden nicht nur genommen, um ein "Erpressungsmaterial" zu haben – die Anführungszeichen sind bewusst gesagt –, sondern auch in der Aussicht darauf, dass ihre Freilassung den terroristischen Umstand der Gefangennahme überspielt. Plötzlich zeigt sich die Hamas als ein großzügiges, gnädiges Gegenüber, das die Geiseln relativ, so erscheint dies zunächst, unversehrt überlässt. So war auch die Berichterstattung. Die Hamas hat in gewisser Weise gewonnen. Die Freilassungsszenen aber waren bereits eingeplant und sind die Kehrseite des Terrors vom 7. Oktober. Dass dies in den Medien durchweg übersehen wurde, hat mich befremdet. 

Das heißt, die Hamas hat von Anfang an ein klares Konzept gehabt, wie sie mit Bildern umgehen wird?

Ja. Seit Al-Qaida hat die terroristische Bildpolitik immer wieder formuliert, dass es nicht darum geht, das Gegenüber für die eigenen Ziele zu überzeugen, sondern darum, einen so unausdenkbaren Terror zu erzeugen, dass das Gegenüber, nicht fähig ist, mit gleicher Münze zurückzuzahlen und dadurch versteinert. Das ist eine massiv und durchaus – wieder in Anführungszeichen – "tiefgründig" durchdachte, kaltherzige Strategie. Geiselfreilassungen wurden hier bisher nicht einbezogen. Es ist eine neue Komponente, dass die Souveränität der Gnade inszeniert wird, die über die Auswahl derer entscheidet, die freigelassen werden. Insofern sind auch die Bilder der Geiselfreilassungen Bilder des Terrors. 

Woher nimmt die Hamas dabei ihre Vorbilder?

Im sogenannten Islamischen Staat, der dieses immer wieder in eigenen Publikationen ausgespielt hat. Das sind zum Teil Hochglanzjournale, die über das Internet vertrieben wurden. Um 2015 habe ich mir das im Rahmen meiner Recherchen über geschützte Webseiten umfassend angesehen. Die weitere Folge geht zurück bis zum Konzept der "Propaganda der Tat" im 19. Jahrhundert.

Weil Sie das gerade erwähnen, wie schafft man es, sich solche Dinge anzusehen? 

Dies ist eine systematisch angelegte Frage. In habe bereits in meinem Buch zum "Bildakt" dargelegt, dass Bildverbrechen der beschriebenen Art kaum zu ahnden sind, weil deren Auffindung zu schweren psychischen Verletzungen führen kann. Für mich war es etwa die Erinnerung an mein Medizinstudium. Bevor ich aus diesem Fach zur Kunstgeschichte wechselte, habe ich bewusst noch den Präparierkurs absolviert, um mir nicht vorwerfen zu können, ich wäre vor den Herausforderungen dieses Faches ausgewichen. Es kam bei diesem Entschluss hinzu, dass seit Verrocchio, Leonardo und Michelangelo Künstler seziert haben. In ähnlichem Sinn habe ich mich diesen Bildern ausgesetzt. Ich halte es für erforderlich, dass die Bildwissenschaft sie im geschützten Raum der Wissenschaft analysiert und benennt, wie wir dies in diesem Moment tun. 

Die Kunstgeschichte ist voller brutaler Mordszenen. Worin unterscheidet sich die Bildpolitik der Hamas, abgesehen von der Medialität, von der Bildpolitik historischer Herrscher, die zum Beispiel Schlachtengemälde anfertigen ließen?

Der entscheidende Unterschied liegt meines Erachtens darin, dass die Künstler ein Geschehen illusioniert haben, in dem Menschen umkommen, ohne zur Herstellung der Bilder Menschen getötet zu haben. Zudem wissen wir durch die politische Ikonologie, dass auch Schlachtengemälde durchaus subversive Züge haben können, etwa die Sympathienahme für die Besiegten.

Und wie unterscheidet sich die Bildpolitik der aktuellen Bilder des Grauens etwa von historischen Märtyrerdarstellungen?

In den Darstellungen von Gräueltaten in der christlich geprägten Kunst ist das Gebot des Mitleidens entscheidend. Es wird oft gesagt, barocke Märtyrerdarstellungen, vor allem die aus dem Neapel des 17. Jahrhunderts, seien Produkte sadistischer Fantasien. Ja, aber sie haben das Ziel, das Mitleiden zu stärken. Die bildende Kunst hat immer wieder Bereiche gezeigt und muss immer wieder Bereiche entfalten, die sich der Norm widersetzen, die aber jeder Mensch in sich trägt. Der Kulturwissenschaftler Hartmut Böhme hat mir in Bezug auf meinen Artikel geschrieben, man müsse auch benennen, dass es eine Lust an diesen Bildern gibt, die jenseits dessen liegt, was ich beschreibe. Und das sei die tiefste Form der Perversion. Dass selbst dann, wenn man von diesen Szenen und Taten zutiefst angewidert ist, es die heimtückische Lust an Bildern gibt, die jeder Mensch in gewisser Weise in sich hat.

Ein Bilderverbot würde also gegen einen menschlichen Instinkt oder Trieb arbeiten? 

Ich bin prinzipiell gegen Bildverbote, denn nichts, was der Mensch in sich hat, kann durch Verbot allein gebändigt werden. Das ist die gesamte Arbeit der Kultur. Wozu entsteht Kultur? Wozu brauchen wir Kultur? Dass wir destruktive Energien, die wir nicht beherrschen, in produktive Bahnen lenken und ihre zerstörerischen Formen unschädlich machen. Die Negation dessen, wie es in den vergangenen Jahren durch die aus meiner Sicht unsägliche politische Korrektheit geschehen ist, etwa die übertriebene Triggerwarnung, ist fatal, weil sie den Menschen von scheinbaren Gefährdungen abzieht. Aber dadurch wird diese Seite umso unbeherrschbarer. 

Gleichzeitig können Triggerwarnungen doch auch davor schützen, dass ungewollte Bilder im Kopf, entstehen. Auch dann, wenn Taten eben nicht gezeigt, sondern beschrieben werden. Wie stehen Sie zu den Bildern, die im Kopf entstehen?

Es kommt darauf an, sich mit dem Leben und daher auch seinen Abgründen auseinanderzusetzen. Wenn man dieses nicht an sich heranlässt, wird es keine Resistenz geben können. Deswegen halte ich die ubiquitäre Triggerwarnung für unproduktiv.

Steht das dann nicht im Widerspruch zu einem Bilderverbot?

Nochmals: mein Argument ist politisch. Es gilt allein für jenen Bereich des Terrors, der Menschen opfert, damit sie Mittel im Bilderkampf der Gegenwart werden. Es bleibt das von Ihnen angesprochene Dilemma, aufgrund dessen ich mich so schwergetan habe, diesen Artikel zu schreiben. Und nur diesen Punkt, einzig und allein diesen Punkt meine ich. Es bedeutet Komplizenschaft, wenn ich Bilder ansehe, obwohl ich weiß, dass diese Menschen geopfert wurden. Wenn der Zweck der Ermordung von Menschen die Produktion von Bildern ist, die angesehen werden sollen, dann ist das Ansehen Teil dieses Verbrechens.

Zum Schluss eine Sache, die mir seit dem 7. Oktobers aufgefallen ist: Viele Medien greifen ungeniert auf die Instagram-Accounts der Opfer zurück, um sich dort an Bildern zu bedienen, die die Opfer zeigen, bevor sie Opfer wurden. Oft handelt es sich um ausgelassene Szenen. Wie bewerten Sie den Umgang mit diesen Bildern? 

Das bereitet auf das Übel vor, das wir besprochen haben, und ist für meinen Begriff ethisch nicht gedeckt. Es wird selten gefragt, ob die Entnahme dieser Bilder von denjenigen, die dort gezeigt werden, auch gewollt wird. In meinem Artikel hätte das Argument in Bezug auf die Selbstverpflichtung der sozialen Medien viel stärker sein müssen. Ich habe fast fatalistisch argumentiert, sodass mein Argument wohl ein bloßer Appell bleiben wird. Soll man deswegen schweigen? Zumindest am Anspruch an sich selbst und auf dem Beharren darauf, dass die sozialen Medien den gesamten Bereich von sich aus bearbeiten, muss festgehalten werden.