Erotik-Experience in Barcelona

Die Lust beginnt im Kopf

Die Filmemacherin Erika Lust ist durch "ethische Pornofilme" bekannt geworden, in denen Begehren verschiedenste Formen annehmen kann. Nun hat sie in Barcelona eine virtuelle Erotik-Experience eröffnet. Was gibt es da zu erleben?

Im Flur vor der Küche hängen Bilderrahmen um wackelnde Brüste. Nebenan stehen auf der Arbeitsplatte, gleich neben dem Kühlschrank, eine Reihe von Büchern. Wischt man an dem einen entlang, dann schwebt es in die Luft und auf seinen Seiten werden sichtbar: zwei nackte Menschen, der eine hat einen nicht gerade kleinen erigierten Penis. Geht man durch die Tür zum Schlafzimmer, lässt sich von dort der attraktive Nachbar mit einem überdimensionierten Fernglas beobachten, er hält gerade ein Schild hoch, auf dem steht, dass er wisse, dass man ihm zusehen würde. Ein Stockwerk höher betritt man kleine, mit rotem Samt ausgekleidete Kabinen, und wenn man auf einen kleinen roten Buzzer drückt, dann öffnet sich der Vorhang vor einer kleinen Leinwand. Auf der schlägt gerade eine streng aussehende Dame sachte die Stränge ihrer Peitsche gegen eine sich entgegenstreckende weibliche Scham.

"Bloß nicht auf die Stühle setzen, hier ist nichts echt", hatte eine freundliche Mitarbeiterin glücklicherweise vor ein paar Minuten noch gewarnt, man hätte sich sonst wirklich gerne mal gesetzt, vor allem auf die roten Kinosessel, vor denen ein Porno läuft. Hätte sich gerne am Handlauf festgehalten, wenn der Fahrstuhl schnell nach oben fährt, sodass man die Bewegung schon im Bauch zu spüren glaubt, aber nichts hätte dem eigenen Körper standgehalten, denn das ist hier ja nur die virtuelle Realität. 

Im vergangenen Oktober hat das House of Erika Lust in Barcelona eröffnet, die erste immersive Erotik-Experience, so wird das beworben, und so steht man in Wirklichkeit gar nicht in einem Haus der Lust, sondern in einem kargen Lagerraum, zusammen mit etwa 20 anderen Menschen, die eine schwere schwarze Brille tragen und sich durch den Raum tasten, der für jeden unterschiedlich aussieht.

Nicht nur da, um objektiviert zu werden

Erika Lust ist eine schwedische, in Barcelona lebende Regisseurin und Produzentin und macht seit 2004 Pornos, die den Zusatz ethisch in ihrer Beschreibung tragen. Ethical porn. Und das meint zum einen die Arbeitsbedingungen bei der Herstellung der Filme, es meint ihren ästhetisch künstlerischen Anspruch, und es meint vor allem auch, dass die Lust der Frau nicht vollkommen unter den Tisch fällt, dass Frauen in den Filmen nicht nur da sind, um objektiviert zu werden. 

Wenn im Film eine Frau penetriert wird, dann wird auch gezeigt, wie ihre Hand oder andere Dinge zum Einsatz kommen, denn den wenigsten Frauen reicht ein Penis, um zu einem Orgasmus zu gelangen. Absurderweise wird das so aber wirklich noch nicht lange erzählt. Deswegen ist Erika Lust als erotische und pornografische Filmemacherin nicht genügend zu danken.

"Wir wollten über den Bildschirm hinausgehen und einen Raum schaffen, in dem die Menschen ihre Wünsche auf eine Art und Weise erkunden können, die frei von Stigmatisierung und offen für Vielfalt ist", sagt Lust zu diesem Kunst-Projekt in Barcelona, vor dem sich an einem Samstagabend um 21.30 Uhr schon eine Schlange versammelt. Es ist der unscheinbare Hintereingang des Digital Arts Centre, in dem am Tag eine immersive Ausstellung zu Jules Verne lockt. Aber nachts, von mittwochs bis samstags, wird es hier erotisch mit der Erika-Lust-Ausstellung.

Alles, was glitzert, kann man bewegen

Als Erstes wird der Mantel abgenommen, ein Glas Cava und eine Maske gereicht, so "Eyes Wide Shut"-mäßig, dann ist man schon im ersten schummrigen Raum. Gelbes Licht kommt von einem großen, Piratenfilmkulissen-haft anmutenden Kronleuchter, wobei das Wort jetzt etwas zu edel klingt. Die Gäste nehmen zwischen einem Tresentisch Platz, der die Form eines Sägeblatts hat. Auf einem großen Bildschirm wird auf das Werk von Lust verwiesen, ihr Beitrag zu alternativem Porno erklärt, bevor man im nächsten Raum dann einen Zusammenschnitt von Szenen aus ihren Filmen sieht. 

Dort geht es um die Diversität von Verlangen. Verschiedene Performerinnen und Performer erklären ihre Fantasien. Die eine wünscht sich einen "Gang Bang", die andere hätte gerne einen Penis, und eine Gruppe von Salsa-Tänzern tauscht untereinander körperliche Aufmerksamkeiten aus. Die Besucher stehen davor, eine Gruppe von älteren Menschen ist auch gekommen und verharrt interessiert vor der Leinwand, ein Paar hält sich etwas fester fest, während im Hintergrund eine leuchtende rote Kugel im Gyroskop sich quietschend um sich selber dreht.

Auf dem Weg zum nächsten Raum, wo die VR-Experience stattfindet, stehen viele alte Koffer, in zweien sind Bildschirme, die alles erklären. Alles was glitzert, kann man bewegen, wenn man sich unwohl fühlt, einfach weitergehen, sieben Minuten hat man auf jedem Stockwerk, Vorsicht vor den anderen Teilnehmern. Und eben bitte nirgendwo hinsetzen.

Zu laut soll es nicht sein

Gleich am Anfang kann man zwischen einer expliziten, erotischen Welt oder einer Überraschungsmischung wählen. Und dann bewegt man sich durch das, was man vor sich sieht. Im Badezimmer probiert man natürlich als Erstes aus, ob man die Wasserhähne anstellen kann. Kann man nicht. Aber auch andere Teilnehmer, deren Kopf und Hände man schemenhaft sieht, kann man bei dem Versuch beobachten. 

Spiegel gibt es vorsichtshalber keine. In einer Bibliothek stehen glitzernd leuchtende Pflanzen, die man lange betrachtet, als habe man LSD genommen. In den Regalen stehen viele Bücher, die man herausnehmen kann, auf denen dann Ausschnitte aus Lusts Pornos laufen. Ein Bett steht in einem anderen Raum, da ist aber nichts los. Hält man sich die Hände vor das Gesicht, sieht man eine Uhr, auf der die sieben Minuten ablaufen.

Die größere Gruppe an älteren Menschen scheint sehr viel Freude zu haben, zumindest lachen und johlen sie sehr laut, die Mitarbeiterinnen versuchen mehrfach beherzt mit einem "Shhhhh" dagegen anzukommen, aber die Menschen lassen ihren Gefühlen freien Lauf. Und ein bisschen geht es ja auch darum. Also zumindest bis zu einem vertretbaren Punkt, der keine Erregung öffentlichen Ärgernisses darstellt.

Jetzt wird es tatsächlich doch zu viel

Irgendwann kommt man in eine Art Industriehalle, in der man den Kopf in einen Erdball stecken soll. Und dann steht man auf einmal in einem sehr großen, sehr leeren und hellen Raum. Wenn man sich umdreht, sieht man, dass man in einem Kreis aus Menschen steht, von denen man angeschaut wird, während sie sich ausziehen, den Penis reiben, die Finger einführen. Und jetzt wird es tatsächlich doch zu viel und man versucht sich herauszubewegen, auch weil immer mehr echte Menschen immer näher kommen.

Man versucht sich vielleicht auch, den Bildern zu entziehen, denn was bringt es jetzt, hier hypererregt in einer Lagerhalle mit 20 anderen zu stehen? So konzentriert man sich eher auf die wirklich beeindruckenden und seltsam auf den Körper wirkenden VR-Brillen-Technik. Da gibt es zum Beispiel einen befreienden Moment, als man mal wieder so ganz automatisch das Handy aus der Hosentasche nimmt, es aber gar nicht in den "Händen" sieht, es existiert in der virtuellen Realität einfach nicht.

Irgendwann hat man das Ende der programmierten Welt erreicht, und ein Mitarbeiter bereitet mit einem erschreckend nahem "Hola" auf das Absetzen von der Brille vor. Und dann blickt man auf die anderen Menschen, wie sie sich durch die Welt in der Welt tasten. Manche halten sich an den Armen, andere öffnen im Nichts Türen, andere bleiben stehen und schauen sich wohl irgendetwas an. Harte Schwänze oder leuchtende Pflanzen. Ziemlich intimer Blick eigentlich, schnell weggucken.

Und jetzt?

Im nächsten sehr großen Raum stehen vereinzelt Hocker. An den Wänden deckenhohe Projektionen, in der Mitte eine Halbkugel, auch auf sie und den Boden wird projiziert. Man sieht twerkende Ärsche, Körper im Wasser, in der Vereinigung mit der Natur, Zungenküsse. Alles schmiegt sich in Musik. Das sieht alles wirklich super aus, auch wenn nicht ganz klar ist, warum man gemeinsam erotische Filme schauen sollte. Vielleicht ist das für einige auch etwas komisch. Wobei, mittlerweile trägt keiner mehr seine Maske.

Im aufklärerischen Sinne ist dieses House of Erika Lust natürlich sehr gut. Mehr Menschen mit dem Werk von ihr bekannt zu machen, ist zu empfehlen. Und die Gäste scheinen wirklich nicht unbedingt aus der Zielgruppe von ethical porn zu stammen. Und falls hier jemand auf Strumpfhosen oder Fesselungen steht und das aus irgendwelchen Gründen bisher nicht wusste, ist es doch super, wenn es jetzt hier herausgefunden wird.

Nur als man wieder vor der Tür steht, mit einem QR-Code zur Website von Erika Lusts Lust-Imperium in der Hand, da fragt man sich so ganz alleine natürlich schon: und jetzt?