Interview mit Arno Rink und Tochter Oskar

"Ich war ihr Assistent"

Oskar Rink, Sie leben in London, sind aber für die Ausstellungs-vorbereitung zurück ins Leipziger Elternhaus gezogen. Die Werke, die in Berlin zu sehen sein werden, haben Sie im Atelier Ihres Vaters angefertigt. Haben Sie damit heilige Hallen betreten?
Oskar Rink: Gar nicht. Ich bin quasi im Studio meines Vaters aufgewachsen. Als Kind habe ich hier alles auf den Kopf gestellt, etwa aus Holzblöcken riesige Buden gebaut, die ihn beim Malen genervt haben. Das war ein Spielplatz für mich. Wenn ich irgendwo in ein Atelier komme, Terpentin rieche, geht in meinem Kopf „zu Hause“ an.
Arno Rink: Sie war immer da. Das war manchmal kurios, wenn sie mit zwei, drei Jahren in meinen Gummistiefeln rumgelaufen ist, sich in Pflanzenkübel gehockt oder in meine Bilder reingezeichnet hat. Zumindest in das eine. Mit Buntstiften.
Oskar Rink: Aber du hast mich auch gelassen.
Arno Rink: Ja, das war völlig in Ordnung.

Also friedliche Koexistenz. Trifft das heute auch noch zu?
Arno Rink: Sie hat das Atelier okkupiert. Seit dreißig Jahren oder länger stelle ich mich hier an die Staffelei, schaue auf die Bilder, ab und an lustlos, entdecke eine Stelle, die mir nicht gefällt, nehme den Pinsel in die Hand, und nach drei Stunden merke ich, dass ich male. In der Hochschule hatte ich bis zu 50 Leute in einem Raum, hier im Atelier sind wir zu zweit. Sie muss alles alleine aushalten, ich kriege alles allein zurück. Das ist schon ziemlich gut.
Oskar Rink: Mittlerweile muss er mir vielleicht mehr Aufmerksamkeit zollen als früher. Ich bin kein Kind mehr. Für mich ist es wichtig, dass alles, was ich anfertige, hundert Prozent meine Arbeit ist. Es sind meine Ideen.
Arno Rink: Sie hat mich als ihren Assistenten eingesetzt (lacht). Sie benötigt jemanden, der festhält oder sagt: "Ein Stück höher, ein Stück nach rechts." Ein Spiegel kann das nicht ersetzen. Man muss wissen, wie sich eine Form im Raum verhält.
Oskar Rink: Meinem Vater vertraue ich, seinem Harmoniegefühl, seinem Verständnis ... Wie er seine Bilder zusammensetzt, ist mir geläufig. Und für mich gibt es nichts Besseres, als einen Menschen zu haben, den man künstlerisch schätzt, dessen Kritik man sogar annehmen kann und mit dem man zusammen über Konstruktionen oder Anti-Ideen im Werk nachdenkt. Unser tägliches Gesprächsminimum liegt bei drei Stunden, und da dreht es sich ausschließlich um Kunst. Die Ausstellung ist das Produkt von viereinhalb Monaten starker künstlerischer Auseinandersetzung.

Wollten Sie schon immer Künstlerin werden?
Oskar Rink: Ich hatte zwar in London Kunst studiert, aber vorgesehen war, dass ich in die Fußstapfen meiner Mutter trete und Galeristin werde. Im Dezember habe ich bei „Black Rat Projects“, wo ich als Galerie-Managerin gearbeitet habe, gekündigt und bin glücklich mit der Entscheidung. Die Umstände waren ideal: Wieder mit den Händen arbeiten, mit allen Sinnen, Heim kommen und mit meinem ollen Vater ein bisschen Zeit verbringen. Wir haben uns die letzten Jahre selten getroffen.

Welche Bezüge werden in der Ausstellung sichtbar?
Oskar Rink: Ich entnehme meine Ideen immer aus meiner realen Umgebung, aus konkreten Situationen. Hier im Atelier fallen mir natürlich andere Dinge ins Auge oder in die Hände, etwa dieses Glas mit den Pinseln. Für mich steht es schon ewig an diesem Platz. Vielleicht existiert es sogar genauso lange wie ich. Ein anderes Mal habe ich dann diese alte Schreibmaschine entdeckt ... 
Arno Rink: Schreibmaschinen habe ich mal gesammelt ... 
Oskar Rink: Ich habe eine ausgewählt, um dann später festzustellen, dass mein Papa genau dieselbe gemalt hat. Rückblickend ist das wie eine Therapiestunde. Jeder Kasten ist für mich ein gebautes Bild aus Wünschen, Träumen, Zuständen oder Nöten der letzten sieben Monate.
Arno Rink: Da hat sie in ihrem künstlerischen Schaffen einen viel realeren Zugriff auf die Welt als ich. Es ist schön, wenn ich merke, sie fängt an Dinge zu tun, die man nicht mehr ganz begreift. Ich verstehe es, aber die Ideen sind mir teilweise fremd, weil sie sich eigenständig und aus ganz anderen Vorlieben entwickeln.

Stehen Sie Ihrer Tochter auch als Künstlerin näher als Ihren ehemaligen Schülern?
Arno Rink: Ich habe nun lang genug die sieben Leute in Interviews ständig erklären müssen, Christoph Ruckhäberle, David Schnell, die ganze Bande eben. Das habe ich gern gemacht, aber das hat man verständlicherweise auch mal satt. Bei meiner Tochter kommt zur künstlerischen Nähe meine Liebe. In der Hochschule habe ich von meinen Studenten gelernt, dass man sie laufenlassen muss, dass man nicht zu viel reinquaken darf. Natürlich fällt mir das bei meiner Tochter nicht ganz so leicht, weil man mehr mit dem Herzen dabei ist.  

Und Sie haben nie "reingequakt"?
Arno Rink: Man möchte natürlich weitergeben, was man weiß. Aber für mich ist es schlimm, wenn jemand epigonal arbeitet. Zu einer eigenständigen künstlerischen Leistung gehört auch immer die Eigenständigkeit einer Persönlichkeit. Hinsichtlich der Techniken bin ich allerdings streng, man muss sorgfältig arbeiten, und wer faul ist, braucht gar nicht zu kommen. Es gibt zwei Dinge für mich, die als Grundsatz gelten, an die ich mich als Lehrer auch gehalten habe: Nie persönlich werden in der Kritik, aber in der Sache hart bleiben. Kompromisse in der Arbeitshaltung helfen niemandem. 

Ist so ein berühmter Vater Fluch und Segen gleichermaßen?
Oskar Rink: Darf ich eine Anekdote erzählen?
Arno Rink: Aber gern.
Oskar Rink: Ich arbeitete an einem Selbstporträt, das erste große Gemälde, das ich in einer früheren Show zeigen wollte. Das Bild stand auf der Staffelei, ich schaute es an und wusste, dieses eine Detail funktioniert nicht. Aber ich kam nicht dahinter, wieso nicht. Irgendwann hat mir das Starren gereicht und ich bin erstmal mit den Hunden spazieren gegangen. Als ich zurückkam, setzte ich mich wieder davor. Er hatte das Detail verbessert. Ich bin im Stechschritt in die Küche marschiert, wo mein Vater Sudoku löste und so tat, als wäre nichts.
Arno Rink: Das hätte ich in der Hochschule nie gemacht. Aber das ist ein Abnabelungsprozess.
Oskar Rink: Schön fand ich, dass du mir später gesagt hast, dass du froh bist, dass ich meine Werke verteidige. Auch vor dir.

Hatten Sie das Gefühl, die Fußstapfen Ihres Vaters verlassen zu müssen?

Oskar Rink: Als Bürde habe ich es nie empfunden, einen ehrwürdigen Malervater zu haben (lacht). Wenn ich mir allerdings meine Zeichnungen von früher anschaue, finde ich die teilweise viel besser, weil die unbefangener waren. Man nimmt einfach einen Stift und legt los, ohne Druck, etwas sein zu wollen. Später gab es eine Phase, in der ich regelrecht Angst hatte, ans Blatt zu gehen, weil ich das Gefühl hatte, zu versagen, dem Ganzen nicht genügen zu können.  In der Tat: Die Latte ist hoch gelegt geworden.
Arno Rink: Ihr habt den Sockel gemacht, nicht ich.
Oskar Rink: Ich habe eine Weile darüber nachgedacht, warum ich mit dem Malen nicht professionell weitermachen wollte. Vielleicht habe ich den Vergleich bei den gemalten Werken gescheut. Aber jetzt juckt mich das nicht weiter. Wir sind mittlerweile in unserem Schaffen voneinander entfernt, allein schon hinsichtlich des Mediums.

Gibt es zwischen Ihnen Grundsatzdiskussionen, etwa was Kunst bezwecken soll?

Oskar Rink: Mir sind andere Themen wichtig als meinem Vater, schon aufgrund der Tatsache, dass wir einer anderen Generation entstammen, einer anderen Zeit. Im jungen Erwachsenenalter steht man im vollen Saft, man beschäftigt sich mit einem Außen, weil man sich mit seinem Inneren viel auseinandersetzt. Ältere Menschen sind da schon etwas beruhigter. 
Arno Rink: Ich möchte zur heutigen Zeit kein junger Mensch sein. Die Verantwortung, die sie in der Gesellschaft zu tragen haben, ist eine völlig andere, als zu meiner Zeit, und das war die der DDR. Die Kunst war damals insgesamt viel mehr thematisch bestimmt bei den „Vorderen“, bei Heisig, Tübke oder Mattheuer im besonderen Maße.

Gibt es jetzt nicht viel mehr Freiheiten für die Künstler?
Arno Rink: Aber wer verantwortet diese neue Freiheit? Meiner Meinung nach ist das heutige System auch eines, das viele Themen gar nicht befragen möchte, bestimmte Dinge gern außer Acht lässt. Wir haben damals nicht darunter gelitten, dass hinter der Mauer ein Baselitz oder ein Richter etwas vollkommen anderes machte. Wir hatten keine Bindung zur amerikanischen Moderne, aber wir hatten etwas vor. Wenn ich heute beantworten soll, was mich beschäftigt, dann erwidere ich: "Ich selbst bin mein Thema."

Das heißt, Kunst sollte für Sie nicht politisch sein?

Arno Rink: Die Absicht des Malers sollte weder moralisch noch politisch sein. Wenn ein Kunstwerk so wirkt, dann ist es etwas anderes.

Hat der Künstler keine Verantwortung?
Arno Rink: Er hat Verantwortung für seine Bilder und für das, was er durch sie transportiert. Mir hat einmal eine Frau einen achtseitigen Brief geschrieben. Anlass gab ihr das Bild „Der Aufstieg“: Ein Mann trägt eine Puppe eine Leiter hinauf. Die Briefschreiberin gab an, dass sie anhand dieses Werkes ihre Schuld am Scheitern ihrer Ehe begriffen hat. Ich habe nicht verstanden, was sie meint und ich hatte das nicht bezwecken wollen. Aber sie hat es so intensiv verfasst, das etwas dran sein muss.

Besteht dann nicht immer die Gefahr einer Instrumentalisierung?

Arno Rink: Es ist eine geteilte Verantwortung. Wir müssen sie für die Kunst übernehmen. Auf der anderen Seite ist die Mitarbeit des gutwilligen Betrachters gefragt. Wenn Deppen vorbeilaufen, kann man nichts machen. Die Meinung des Künstlers und die des Betrachters müssen nicht identisch sein. Wir geben einen Anstoß, der aufgrund der Lebenserfahrung individuell aufgenommen und weiterentwickelt wird. Ich habe meine Werke nie erklärt. Sonst hören die Leute auf zu denken. Man muss es offen lassen.
Oskar Rink: Ich will nicht politisch sein, aber irgendetwas interessiert mich dann doch. Man schaut die Nachrichten, verfolgt die Geschehnisse in der Welt. Die meisten Leute finden zum Beispiel in meinem Objekt „Leichtgläubig“ etwas sehr Harmonisches oder Freundliches. Konkreter Anlass für mich war ein Foto im „News World Magazin“, das einen Trümmerhaufen zeigt, in der Mitte ein Haus, das auch völlig zerrüttet ist, und davor wächst ein japanischer Kirschbaum, der in voller Blüte steht. Die Tsunami-Katastrophe hat mir Angst gemacht, das Foto mich beeindruckt. Ich habe ein Statement verarbeitet.

Ist es Ihnen wichtig, diese Botschaft zu vermitteln?
Oskar Rink: Da wir jetzt über dieses Thema reden, freue ich mich, die Hintergrundinformationen geben zu können. Ansonsten lasse ich die Leute damit in Ruhe. Viele Leute sehen in meinem Objekt keine Trümmer, nicht die verbogene Leiter oder den zerstörten Balkon. Aber es reicht mir, dass ich weiß, welche Bedeutung es für mich hat.
Arno Rink: Es gehört auch Glück dazu, wie Kunst von der Außenwelt aufgenommen wird.

Etwa wie Werke von Ihren ehemaligen Schülern auf dem internationalen Markt eingeordnet wurden?

Arno Rink: Der Deutsche begreift etwas erst, wenn es aus Amerika abgenickt zurückkommt. Da schnappen bestimmte Mechanismen ineinander und letztendlich spielt Nachahmung eine große Rolle. Wie es damals auch in Deutschland bei den Jungen Wilden der Fall war.
Oskar Rink: Du hast auch viel Glück im Leben gehabt.
Arno Rink: Das hält sie mir immer vor. Und in so einer Phase wie in den letzten Monaten kommt man tatsächlich mal dazu, es sich bewusst zu machen. Das alles ist dann doch nicht nur ein Störfaktor gewesen. Und ich freue mich über die entdeckten Ähnlichkeiten, neben all den Andersklängen, das Zusammengewachsensein in der Doppelausstellung.

Soll das gemeinsame Unterfangen ein Ausnahmeprojekt bleiben?
Oskar Rink: Für mich war entscheidend, so etwas einmal mit ihm zusammen gemacht zu haben. Ich hoffe, er ist noch die nächsten zwanzig Jahre da.
Arno Rink: Und bei aller Zuneigung und Liebe ist diese Ausstellung eine besondere Form zu sagen: "Ich schätze dich."

Circleculture Gallery, Berlin, 18. Mai bis 16. Juni