Ole Scheeren im Interview

"Ich will von China aus denken"

Herr Scheeren, wie war das erste Jahr in der Selbstständigkeit?
Es war ein wunderbares Jahr. Der Schritt in die Selbstständigkeit hat nochmal viel Energie in mir freigesetzt. 15 Jahre habe ich mit Rem Koolhaas gearbeitet. Das war eine großartige Zeit. Mit der Fertigstellung der neuen CCTV-Zentrale in Peking habe ich mir nur die Frage gestellt, wie sehen denn die kommenden 15 Jahre aus? Mich hat interessiert, zu diesem Zeitpunkt ein Büro mit der kreativen Basis in Asien zu gründen. Kein Büro, das europäisch ist und nur Dinge hier herüberschickt und ausführen lässt. Ich möchte diesen Ort als kreative Basis verstehen. Ich will wissen, was passiert, wenn wir von China aus denken.

Was passiert, wenn man hier arbeitet? Was ist anders?
Wir arbeiten in einem Kontext, der explizit auf die Zukunft fokussiert ist und nicht so sehr auf die Vorsicht, dass man vielleicht irgendetwas lieber nicht tun sollte. Es gibt eine sehr viel mehr zukunftsorientierte Psychologie und Gesellschaft, die konkret die Frage nach neuen Möglichkeiten stellt. Mich interessiert, neue Herangehensweisen entwickeln zu können.

Ist Asien optimistischer?
Ich glaube, dass es in Asien eine sehr große Zuversicht gibt, nach wie vor. Nicht nur in China. Chinas Aufstieg hat das gesamte Asien mit ungeheurer Energie versorgt - zum Teil aus Notwendigkeit, zum Teil aus Enthusiasmus. Seit China so wichtig ist, müssen sich alle anderen darüber nachdenken, wie sie ihre Position bewahren oder sich neu definieren können. Das bringt Dynamik.

Setzt das Kreativität frei?
Das setzt zumindest Möglichkeiten frei. Ich hoffe, dass wir eine kreativ-kritische Situation entwickeln können. Es geht nicht darum, mit blindem Enthusiasmus wilde Sachen zu produzieren. Darüber wird immer noch viel geredet, was mich sehr ärgert.

Sie meinen die Debatte, dass sich Architekten hier angeblich austoben?
Was wir tun, hat nichts mit Austoben zu tun. Es ist vielmehr eine sehr ernsthafte und intensive Arbeit. Es geht um Verantwortung. Ich will vielmehr ernsthafte Projekte finden, wo wir konzeptionell hochwertige Arbeit leisten können.

Das Hochhaus in Kuala Lumpur ist das erste große Projekt. Es wirkt nicht so spektakulär wie der CCTV-Tower in Peking.
Es wäre ein Fehler, alle Projekte mit dem CCTV-Tower vergleichen zu wollen oder zu müssen. CCTV ist ein Ausnahmeprojekt, das man so schnell nicht wiederholen kann oder müsste. Es war damals der Anfang von Chinas neuer Rolle in der Welt - die Aufnahme in die Welthandelsorganisation, die Olympischen Spiele. Es war der Moment, in dem China seine Rolle in dieser neuen Ära noch nicht definiert hatte. Es ist aus einer besonderen historischen Situation entstanden. So ein Projekt wäre heute selbst in China nicht mehr möglich. Architektur hat viel mit dem richtigen Zeitpunkt zu tun.

Was ist das Besondere an dem Projekt in Kuala Lumpur?
Es ist eben nicht das Hauptstück. Es ist nicht das Größte und Eindrucksvolle, sondern hat einen Nachbarn, der diese Rolle erfüllt. Es steht neben den Petronas Twintowers, die 1998 die höchsten Gebäude der Welt waren und die heute immer noch die höchsten Zwillingstürme der Welt sind. Sie stammen aus der Zeit der Power-Ikonen. Ich fand interessant, jetzt andere Qualitäten in den Vordergrund zu stellen. Also, welche Rolle das Gebäude für die Stadt und die Menschen spielt. Wie es sich für die Menschen öffnet und die Öffentlichkeit einbezieht.

Werden Wolkenkratzer in Asien anders wahrgenommen?
In Asien sind sie äußerst positiv behaftet, aber in Europa werden sie natürlich viel kritischer gesehen. In Europa gibt es eine Substanz mit historischen Stadtstrukturen, die im Kontrast dazu steht. Viele Städte in Asien entstehen entweder durch tabula rasa oder auf unbebauten Territorien wie Agrarland. Die Verstädterung ist extrem. Hunderte Millionen von Menschen ziehen in die Städte. Wir haben gerade den Punkt überschritten, an dem nun mehr als die Hälfte aller Menschen weltweit in Städten leben. Diese Mengen lassen sich nicht mehr in der Horizontale beherbergen.

Sie sind vor 20 Jahren erstmals nach China gekommen, arbeiten seit zehn Jahren in Peking und sind in Asien unterwegs. Gibt es dadurch eine größere Flexibilität, mehr Kreativität oder bessere Interaktion?
Für unsere Arbeit brauchen wir Vertrauen, Kommunikation und Dialog. Als Architekt und Bauherr muss man sich aus seinen Bequemlichkeitszonen herausbewegen, wenn man etwas anderes machen will. Es ist relativ einfach, große Projekte aufs Papier zu setzen, aber eine ganz andere Geschichte, sie auch umzusetzen. Ideen zu entwickeln, ist ungeheuer wichtig. Ohne Ideen lässt sich die Realität nicht verändern. Aber eine Idee, die nicht in die Realität umgesetzt wird, verändert letztlich wenig.

Sind die Strukturen in Europa und den USA eher verkrustet?
Der Westen ist risikoscheuer als die Gesellschaft hier, was auch verständlich ist. Es gibt mehr zu verlieren. Es ist alles so weit entwickelt und aufgebaut. In einer ausgereiften Gesellschaft ist das notwendigerweise der Fall. Da ist mehr Erhalt notwendig als in Gesellschaften, wo noch nicht so viel erreicht ist. (Interview: Andreas Landwehr, dpa)