Street-Art-Künstler JR in Baden-Baden

"Illegalität ist kein Ziel für mich"

JR, Sie haben in Slums gedreht und in den Banlieues fotografiert, alten und armen Menschen ein Gesicht gegeben. Was bringt Sie nach Baden-Baden?
Ich liebe es, in sehr verschiedenen Städten zu arbeiten, in unterschiedlichen Kontexten. Dabei gehe ich jedoch stets in der gleichen Weise vor. Hier in Baden-Baden habe ich die Chance, die diversen Aspekte meiner Arbeit in einem Museum zu zeigen. Die Menschen sind frei, meine Arbeit in der Stadt, im Museum oder in beidem zu entdecken. Fotografie richtet sich an alle, und die Straße ist dafür die schönste Galerie, wie auch immer der Kontext aussehen mag. Dafür ist das „INSIDE OUT“-Projekt, bei dem die Menschen ihre Selbstporträts kleben, die ich von ihnen drucke, das beste Beispiel. Mehr als 15 000 Aktionen haben in mehr als 120 Ländern stattgefunden. Die Menschen haben überall auf der Welt das gleiche Bedürfnis, ihre Existenz auszudrücken, aber auf ganz verschiedene Weise.

Ist eine so hübsche und wohlhabende Stadt wie Baden-Baden nicht ein etwas absurder Ort für Street-Art?
Meine Arbeit auf bestimmte Gegenden, Städte oder Regionen der Welt zu beschränken, wäre absurd. Wie ein Ethnologe liebe ich es, die Reaktionen der Passanten vor den Collagen auf der Straße zu beobachten. Darin spiegelt sich die Wirksamkeit eines Bildes wider. Ich versuche immer, eine Geschichte zu erschaffen, eine einleuchtende Verbindung herzustellen zwischen dem Bild und dem Gebäude, der Nachbarschaft, ja der ganzen Stadt. Ich mag es, mit Stein zu arbeiten, mit seiner Architektur, seinen Formen, dem urbanen Gewebe. Meine Arbeit folgt den Linien der Stadt. Deshalb lasse ich immer die Architektur das Werk und seine Gestalt bestimmen. Das ist sicher der Grund, warum man mich heute mehr und mehr auch auf empfindlichen Gebäuden kleben lässt, auf historischen Baudenkmälern.

Sie arbeiten mit Erlaubnis der Behörden ?
Ja, Illegalität ist kein Ziel für mich, sondern nur ein Mittel, um in einigen Ländern frei und ohne Zensur arbeiten zu können, etwa in einer Favela, an der israelischen Trennmauer oder in Teilen von Shanghai. In Baden-Baden lässt man mir die Freiheit, mich in der Stadt auszudrücken, mit unterschiedlichen Welten zu interagieren und monumentale Installationen zu machen.

Neben dem kreativen Prozess als solchem schätzen viele Street-Artists auch den Kick des Verbotenen. Vermissen Sie nichts, wenn Sie sich vorher absichern?

Ich halte mich nicht für einen Street-Artist, sondern für einen Künstler, der die Straße nutzt. Unter anderem für mehr Austausch mit meinem Publikum. Meine Arbeit soll beliebt sein, weil das bedeutet, dass Menschen aus der ganzen Welt am Entstehungsprozess dieser Collage teilnehmen können. 99 Prozent der Künstler schaffen Werke zum Verkauf, als abgeschlossene Objekte. In meinem Fall besteht 99 Prozent der Arbeit darin, Momente jenseits des Kunstmarkts zu schaffen, Momente, die dazu bestimmt sind, den Entstehungsprozess meiner Werke mit dem Publikum zu teilen, sei er illegal, legal oder riskant. Die Rechtsumstände hindern mich nie daran, meine Ziele zu erreichen und zu erleben, was ich suche.

JR, Museum Frieder Burda, Baden-Baden, bis 29. Juni