"ImPossible"-Schau in Baden-Baden

Realität wird überbewertet

Der Glaube an die Kunst kann Berge versetzen? Zumindest das Museum Frieder Burda in Baden-Baden zeigt gerade Werke, die unser Bild des Möglichen verschieben sollen

Die eigentliche Funktion der Fortbewegung ist zwar dahin, aber dafür macht sich das in der Mitte zersägte Motorrad von Alexandra Bircken gut als skulpturale Projektionsfläche für das ersehnte Ende der ressourcenverschlingenden Ära. Für die einen ein ökologisches Versprechen, für die anderen der Untergang des motorisierten Abendlandes. 

Auf der Venedig Biennale von 2019 umkreisten die Besucher in der Hauptausstellung "May You Live In Interesting Times" die sauber zerschnittenen Rennmaschinen ungläubig, als könnte das Innere des Metallschrotts ein existenzielles Geheimnis offenbaren. Denn wenn man humanoide Körper wieder flicken kann, warum sollte dies im Fall dieser brutal gekränkten Potenzsymbole nicht möglich sein?                                       

Gedankenspiele wie diese stehen im Zentrum der von Alexander Timtschenko kuratierten Ausstellung "ImPossible" im Museum Frieder Burda in Baden-Baden. Es gibt nichts, das Kunst nicht bewerkstelligen könnte, so das nicht erst seit dem Vormarsch der Künstlichen Intelligenz trotzig utopische Credo. Bäume, die man auf dem Kopf stehen sieht, Bäche, die bergauf fließen und Wolkenkratzer, die sich der Schranke des Himmels widersetzen. 

Ein Ikarus-Flug als fotografische Ikone

Wim Delvoye erschuf 2013 noch ganz ohne KI ein bizarres Mischwesen aus Müll-Laster und gotischer Kathedrale, und das Künstlerduo Fischli & Weiss ließ für seinen Film "Der Lauf der Dinge" 1987 eine Kettenreaktion genüsslich entgleisen. Reifen und Wippen wurden in Bewegung gesetzt, während gestapelte Objekte umkippten, Raketen explodierten und in Benzinbecken ein Feuer aufflammte. Der Publikumsrenner der Documenta 8 kam als kontrolliertes Happening nach den Gesetzen der Physik daher und war zugleich eine Ode auf die Unabwendbarkeit des Zufalls.                                                  

Weitere künstlerisch wertvolle Illusionen lassen sich bei Yves Klein besichtigen, der schon 1960 mit Sinn für Manipulation bewies, dass ein Sprung aus dem ersten Stock eines Wohnhauses nicht zwangsläufig in den Ikarus-Tod führen muss. Sondern mindestens zur fotografischen Ikone taugt. 

Das Bild verriet natürlich nicht, dass unten auf der Straße sieben Männer standen, die ein Sprungtuch hielten, auf dem der fliegende Yves mit ausgebreiteten Armen landete. Auch Aylin Langreuter weiß mit ihrer "Echokammer" von 2016 eine alternative Realität zu erschaffen. Kupferstiche von Gustave Doré aus dem 19. Jahrhundert nimmt sie zum Anlass einer verwirrenden Zeitverschiebung, wenn sie Lautsprecher und andere Gegenstände aus unserer Zeit in dessen Naturdarstellungen verpflanzt.          

Trickkiste der Kunst                                   

Vor Goshka Macugas Gobelin "From Gondwana to Endangered. Who is the devil now?" von 2020 reibt man sich schließlich tatsächlich die Augen, oder genauer die 3D-Brille. Denn erst mit dieser erkennt man Waldbrände und gegen die Umweltzerstörung protestierende Menschen in Tierkostümen. Durch den perspektivischen 3D-Effekt des Gewebes wird man mitten in die Feuersbrunst hineingezogen. Die Demonstrierenden spielen auf die politischen Tierkarikaturen des 19. Jahrhunderts an und klagen zugleich das politische Inferno der Gegenwart an.            

Das Purgatorium der eigene Welten erschaffenden KI bleibt einem selbstverständlich nicht erspart. Man wundert sich beim Hinausgehen auch, dass man nach diesem wundersamen Parcours beschwingt statt erschrocken auf die posthumane Zukunft schaut. Aber vielleicht ist auch das nur eine Täuschung. Und in Wirklichkeit ist die mit großen Namen von Neo Rauch bis Anish Kapoor mitunter etwas vorhersehbar um Publikumszuneigung werbende Ansammlung von "Fata Morganas" einfach nur ein Scherz aus der ewig um Widerständigkeit ringenden Trickkiste der Kunst.