Die Monopol-Watchlist



Hikaru Miyakawa


Die Hamburger Galerie Oel-Früh liegt ziemlich weit ab vom Schuss: in den ehemaligen Räumen eines Schmierstoffunternehmens am Rande eines Gewerbeareals am Hafen. Wer vergangenen November dort hinfand, zur ersten deutschen Ausstellung von Hikaru Miyakawa, war von der eigentümlichen Welt der Künstlerin schnell in den Bann gezogen. Gleich am Eingang erstreckte sich eine Fußbodenarbeit in Form eines Mandalas, gebildet aus penibel arrangierten Zigarettenkippen, abgebrannten Streichhölzern und Asche.

Bei der Vernissage hatte sich Miyakawa von Besuchern einen Diamanten zeichnen lassen, den sie sich später mit einem Skalpellblutig ins Dekolleté ritzte – als wollte sie sagen: „Blood diamonds are a girl’s best friend.“ Lesbar aber war die Aktion vielleicht auch als Kommentar zu Damien Hirsts berühmtem Schädel: Lowtech statt Materialhype, persönlicher Einsatz statt Marktkalkül, Flüchtigkeit an einem lebendigen Körper statt eines unvergänglichen Todessymbols. Ein ähnliches Prinzip fand sich auch in ihrer „Vogue“-Adaption: Das Magazinunikat war aus Stoff genäht, in den sie Anzeigen von Fendi, Ungaro oder Chloé mit unendlich feinen Stichen hineingestickt hatte.

Ob Nikotin-Mandala oder die erlesenste „Vogue“ aller Zeiten: Oft zersetzt die 33-jährige Japanerin eine kirschblütenhaft anmutige Oberfläche mit Radikalität und Schonungslosigkeit, die nicht weniger japanisch wirken. Es gelingt ihr, austauschbare Konsumikonen und flüchtige Sehnsuchtsbilder mit Abgründigkeit und existenzieller Unbedingtheit zu beschweren. Karin Schulze

Hikaru Miyakawa wird vertreten von der Galerie Oel-Früh, Hamburg

Annedore Dietze

Das Leben ist kein Pappenstiel. Vivere militare est, wussten schon die alten Römer. Der Mensch hat zu kämpfen. Als Krieger, Boxer oder Sumoringer präsentiert ihn die Berliner Malerin und Grafikerin Annedore Dietze. Für sie spiegelt Kampf die Existenz wider. Dietzes großflächige Malereien zeigen echte Kerle. Mit expressivem Pinselstrich und oft pastoser Farbigkeit formt sie diese zu monumentalen Fleischbergen. So entstehen auf ihren Leinwänden ganze Landschaften aus Leidensmännern – Kolosse, die Vitalität und Kraft repräsentieren, aber auch Blessur und Beschädigung.

Geschult an den geschundenen Körpern eines Francis Bacon, an Goya oder Caravaggiozeigt Dietze den Menschen am Rande seiner Möglichkeiten. Dort scheint er für die Künstlerin, die bei Ralf Kerbach an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden studiert hat, das größte malerische Potenzial zu bergen, denn dort zeigt er Dynamik, Gefühl und Ausdrucksstärke.

Inspiration holt sich Annedore Dietze jedoch nicht nur aus Traditionen. Oft modelliert die Künstlerin ihre Motive direkt aus der Wirklichkeit heraus. Fotografien und Zeitungsbilder sowie die eigene sportliche Wettbewerbserfahrung sind das Rohmaterial ihrer energiegeladenen Welten. Vor meist changierenden Hintergründen und eingebettet in abstrakte Farbnebel, entfalten sich Ikonen des Extremen.

Dietzes Kunst ist wie das Leben selbst: vehement in ständigem Wandel. Manchmal gleicht sie auch einem eisigen Kampf. Einem, den die Malerin zu kämpfen gelernt hat. Ralf Hanselle

Annedore Dietze wird vertreten von der Galerie Brennecke, Berlin


Guillaume Bruère


Das Vorbild ist höchstens halb so groß, und wer den „Blindensturz“ von Peter Brueghel dem Älteren nur flüchtig kennt, der stellt garantiert keine Bezüge her. Denn Guillaume Bruère hat die torkelnden Figuren aus dem 16. Jahrhundert nicht bloß gigantisch vergrößert, sondern auch monströs vergröbert. In klobigen Schuhen, Zeltkleidern und mit absurden Kopfbedeckungen stolpern die Figuren auf „Parabol von den Blinden“ ihrem Schicksal entgegen: Am Ende wartet die Grube, im Bild des jungen Franzosen wie im Gemälde des flämischen Meisters, dessen Motiv auf einem biblischen Gleichnis fußt.

Wie es Bruère mit der Religion hält, ist irrelevant. Ihn fasziniert die polare Weltsicht des Glaubens, die scharfe Trennung in Gut und Böse, Himmel und Hölle. Nichts vermittelt zwischen den Extremen. Außer dem Künstler, der hölzerne Kreuze mit Stoff umwickelt, seine ausufernden Skulpturen zärtlich bepflastert oder zerbrechliche Strichmännchen in Farbe bettet.

Bruères naiver Gestus, die rohe Art der Malerei auf pastosen Gründen erinnern an Art brut, haben jedoch mehr mit Paul Thek gemein. Bruère, Jahrgang 1976, der in Nantes und Poitiers Bildhauerei studiert und unter anderem als Assistent von Thomas Hirschhorn gearbeitet hat, fängt das Lahme und Blinde in seinen Motiven auf, die so lapidar wirken und doch nackt bis zur Selbstentblößung sind.

Die Bilder Guillaume Bruères sind rau und ungezimmert, verquere Schöpfungen und mitunter eine Zumutung. Eben das macht sie interessant. Christiane Meixner

Guillaume Bruère wird vertreten von der Galerie Heike Curtze, Wien und Berlin, sowie von der Galerie Frisch, Berlin. Dort läuft die aktuelle Ausstellung des Künstlers: „Parabol der Blinden“, bis 6. März


Samuel Henne


Ein junger Mann liegt gekrümmt auf dem Schoß einer Frau. Auf dem nächsten Bild sehen wir das gleiche Motiv noch einmal, nur dass es ein Mann ist, der den Jungen hält. „Stroke“ hat Samuel Henne diese beiden Selbstporträts mit seinen Eltern genannt, was auf Deutsch „Hieb“, aber auch „Streicheleinheit“ bedeuten kann. Es sind verstörende Aufnahmen einer Beziehung, die zwischen Zärtlichkeit und Abgestoßenwerden, Nähe und Distanz schwankt. Der Mann auf dem Schoß ist zu alt, sein Körper zu groß für diese Embryohaltung. Die unbedingte Hingabe seiner Geste bricht sich an der Härte im Ausdruck der Erwachsenen, der Wunsch nach Regression an der Realität.

Samuel Henne, der soeben sein Fotografiestudium an der HBK Braunschweig bei Dörte Eißfeldt beendet hat, weist mit gerade einmal 27 Jahren bereits ein umfangreiches und beeindruckendes Portfolio vor. In seiner Absolventenausstellung zeigte er jüngst Landschaftsaufnahmen, die weniger intim, aber nicht weniger persönlich sind. Ein halbes Jahr lang hielt sich Henne für diese Serie in der Nähe seines Geburtshauses auf, nahm kleine Eingriffe in der Natur vor, die er fotografisch festhielt. Mal klebte er ein pinkfarbenes Postit an einen Ast, mal legte er Plastikstöcke zu einem abstrakten Muster auf den Schnee.

Hennes flüchtige Eingriffe künden von einem Triumph, dem schon das Scheitern, einer Besitznahme, der schon der Verlust eingeschrieben ist. In seinen Arbeiten thematisiert er immer auch die Fotografie selbst: Seine Intervention in der Natur entspricht dem fotografischen Verfahren, das aus der Wirklichkeit ein Bild macht. Und unserem Wunsch, dies unbedingt zu vergessen. Sebastian Frenze

Kontakt über: contact@samuelhenne.com