Kuratorin über Ost-Thematik im Westen

Kann Kunst die DDR vermitteln, Rebekka Körnig?

Rebekka Körnig hat über Zeugnisse der DDR in der zeitgenössischen Kunst promoviert und dazu nun eine Ausstellung kuratiert – im tiefsten Westen. Ein Gespräch über Vorurteile, Verständnis und die Entdeckung von Gemeinsamkeiten

 

Frau Körnig, Sie haben für die Städtische Galerie Villingen-Schwenningen die Ausstellung "Restwert. Zeugnisse der DDR in der Gegenwartskunst" kuratiert. Das Wort "Restwert" als Titel löste bei mir beim ersten Hören eher negative Assoziationen aus. Ist das beabsichtigt? 

In der Kombination stellen "Rest" und "Wert" für mich vor allem einen Gegensatz dar: Bei "Rest" schwingt sicher mit, dass es das ist, was übrig bleibt, das, was keiner wollte. Die guten Stücke wurden bereits herausgepickt. Die künstlerischen Positionen befassen sich auf verschiedenen Wegen mit der Frage nach dem Wert von dem, was von der DDR übrig geblieben ist. Christa Wolfs Erzählung "Was bleibt?" aus dem Jahr 1990 wird in dem Kontext gern als rhetorische Frage aufgegriffen. "Restwert" zielt in eine ähnliche Richtung: Was ist übrig geblieben? Und welchen Wert hat das noch, gerade im Diskurs nach 1989?

Sie haben die Ausstellung nicht nur kuratiert, sondern auch zu Zeitzeugnissen der DDR in der Foto-, Video- und Installationskunst nach dem Mauerfall promoviert und dafür 24 Kunstwerke in den Blick genommen. Nach welchen Kriterien erfolgte die Auswahl der Werke in der Ausstellung? 

Es ging um die Vermittelbarkeit dieses Diskurses an einem Ort, an dem diese Arbeiten bisher nicht gezeigt wurden, ohne die Kunst funktionalisieren zu wollen. Ich sehe die Verantwortung, vor allem auch Programm für die Menschen vor Ort zu machen. Zu sehen sind etwa fünf Fotografien aus der Serie "Die verschwundenen Bilder" von Margret Hoppe, die öffentliche Orte zeigen, an denen einst raum- und architekturbezogene Kunst der DDR zu sehen war. Ich wollte zudem eine gewisse Medienvielfalt, auch um die Bandbreite meiner Forschung sichtbar zu machen. Die Videoinstallation "Sonne Unter Tage" von Mareike Bernien & Alex Gerbaulet führt in die Welt des Uranabbaus in der DDR. In knapp 40 Minuten werden sehr unterschiedliche Filmmaterialien miteinander kombiniert. Vieles haben die beiden selbst erstellt, manches stammt aus Archiven oder einem historischen Spielfilm. Und dann gab es natürlich auch praktische Fragen, etwa die Raumgröße unserer Villa, in der wir ehemalige Wohnräume bespielen. Da kann man keine überdimensionalen Installationen zeigen. Andere Werke wie "Lenin on Tour" von Rudolf Herz sind temporär. Er war 2003 mit der Lenin-Büste, die vor dem Dresdner Hauptbahnhof stand, quer durch Europa gefahren. Das hätte ich nur als Dokumentation ausstellen können. 

Und sonst?

David Polzin und Wilhelm Klotzek hatte ich schon lange auf dem Schirm, sie sind aber nicht Teil meiner Dissertation. David Polzin ist nun mit der Serie "Möbel und Objekte aus der Postimperialen Phase Deutschlands" zu sehen, die durchaus auch humorvoll ist. Seine Werke sind auf Podesten platziert wie Sitzmöbel oder Tische in einem Design-Museum. Manche haben eine sehr schmale oder kleine Sitzfläche, andere wirken aufgrund ihres Materials nicht robust genug, um einen Menschen zu tragen. Auch Nadja Buttendorf ergänzt das Thema wunderbar durch die Übertragung von YouTube-Ästhetik auf DDR-Geschichte. "Robotron – A tech opera" ist die erste Seifenoper, die in der Computerindustrie der DDR spielt und sich mit der Computerentwicklung in einer Planwirtschaft und dem Alltag in Ostdeutschland beschäftigt. 

David Polzin "Möble und Objekte aus der Postimperialen Phase deutschlands", 2012 – 2024
Foto: Ruf Photographie, © Städtische Galerie Villingen-Schwenningen, VG Bild-Kunst Bonn 2025

David Polzin "Möbel und Objekte aus der Postimperialen Phase Deutschlands", 2012 – 2024

 


Diese Ausstellung über die Geschichte der DDR und ihre Folgen, über das, was von der DDR übrig ist, läuft nun in einer mittelgroßen Stadt in Baden-Württemberg. Wie sind die Reaktionen der Besuchenden auf die Ost-Thematik im Westen? 

Die Frage kommt oft, und ich tue mich etwas schwer damit, denn es geht ja explizit um eine Bewertung der DDR aus der heutigen Zeit, einer in Anführungszeichen "wiedervereinten Gesellschaft". Berlin ausgenommen, ist das Thema in westdeutschen Institutionen tatsächlich unterrepräsentiert. Hier in Villingen-Schwenningen war es noch nie präsent. 

Und nun?

Die Reaktionen sind sehr positiv. Es werden viele Führungen gebucht. Das hat auch mich überrascht. Es gibt eine interessante Parallele: Der Stadtteil Schwenningen ist stark von der Uhrenindustrie geprägt. Bis in die 1970er-Jahre gab es hier über 100 Uhrenfabriken. Ein Großteil des überschaubaren Städtchens hat da gearbeitet. Das hatte jahrhundertelange Tradition. Dann entwickelte sich der Uhrenmarkt von der mechanischen Uhr hin zur Quarzuhr. In der Folge sind fast alle Fabriken insolvent gegangen. Ich bin zugezogen, und mir ist schnell aufgefallen, wie präsent diese Identität noch ist, verbunden mit einer gewissen Trauer. Viele kennen die Erfahrung, die auch in Ostdeutschland viele gemacht haben, als die Wirtschaft umstrukturiert wurde: Sie haben über Jahrzehnte in einem Betrieb gearbeitet, hatten ihr Umfeld, Freunde und die Freizeit darum, und dann war es plötzlich weg. Da gibt es Gemeinsamkeiten in der Erfahrungswelt, auch wenn die politischen Umstände unterschiedlich waren. 

Im Ankündigungstext zur Ausstellung heißt es: "So fragen die Künstler/innen mit ihrer Kunst, welchen Wert das Erbe der DDR für unsere heutige Zeit haben kann. Was kann aussortiert werden und was darf bleiben? Was ist nutzlos und was von damals ist vielleicht besser als heute?" Geben die Werke konkrete Antworten darauf?

Nein, nicht konkret. Es geht vielmehr darum, dass Geschichte und vor allem Lebenserfahrungen nicht einfach unter den Teppich gekehrt werden sollten. Am ehesten sehe ich eine Antwort darauf bei den großformatigen Fotografien der Installation "Siegerehrungen" von Alba D'Urbano & Tina Bara. Darauf sind Frauen in roten Badeanzü­gen abgelichtet, die auf gelben Startblöcken einer Leipziger Schwimm­halle stehen. Es handelt sich um ehemalige Leistungsschwimmerinnen der DDR, zwischen den 1950er- und 1970er-Jahren erfolgreich waren. Die im Loop durchlaufende Leuchtschrift einer installierten LED-Anzeige verrät die Namen der Frauen sowie Zeiten und Distanzen ihrer Rekorde. Da geht es um eine würdevolle Darstellung von Menschen, deren Lebensleistung vom Thema Doping in der DDR in den 90er-Jahren überschrieben wurde. Auch die "Schatzkammer" von Liz Bachhuber ist ein gutes Beispiel: Die Rauminstallation ist ein Sammelsurium aus Fundstücken, etwa Schraubschlüssel, Muttern oder Hufeisen, die sie zuerst 1990 bei einer Austauschausstellung zwischen Düsseldorf und Chemnitz im Jahr 1990 in der ehemaligen Stasizentrale in Chemnitz sammelte. Sie reinigte, polierte und vergoldet die Fund­stücke, die aus der Zeit der DDR stammen und nach 1989 aus den Haushalten aussortiert wurden. Es geht dabei nicht darum, alte rostige Nägel aufzubewahren, weil sie aus der DDR sind, sondern um die Metaphorik. 

Was besagt die?

Diese Objekte repräsentieren Lebensgeschichten beziehungsweise Lebenserfahrungen. Das ist in vielen Werken der Fall, mit denen ich mich im Rahmen meiner Dissertation beschäftigt habe. Es gibt immer noch das Vorurteil: Das kommt aus der DDR, das kann nur schlecht sein. Und dem setzen die Werke etwas entgegen. 

Liz Bachhuber "El Dorado" (1990/2019/2024) und "Union – Deutschland 1990 II", (1990)
Foto: Ruf Photographie, © Städtische Galerie Villingen-Schwenningen, VG Bild-Kunst Bonn 2025

Liz Bachhuber "El Dorado" (1990/2019/2024) und "Union – Deutschland 1990 II", (1990)


Werden auch die historischen Kontexte und insbesondere die negativen Seiten der DDR und deren Folgen im Rahmen der Ausstellung vermittelt, etwa auch um einer retrospektiven Verharmlosung dieses Staates entgegenzuwirken?

Ja, definitiv. Keines der Werke romantisiert oder beschönigt die Vergangenheit. Dies war auch bei der Ausstellungskonzeption ein wichtiger Aspekt. Hauptsächlich die düstere Atmosphäre und die Erzählung von "Sonne Unter Tage" verdeutlichen die negativen Seiten der DDR sehr deutlich, so die tiefen Einschnitte in die Privatsphäre durch die Stasi, den rücksichtslosen Raubbau an der Natur und die Vertuschung der gesundheitlichen Folgen durch den Uranabbau. Daher erhalten die Besuchenden beim Eintritt ein Begleitheft, das die historische Einordnung vornimmt und Hintergründe erläutert. Ich denke, die Stärke der präsentierten Kunstwerke ist, die manchmal schwer auszuhaltenden Ambivalenzen bei der Aufarbeitung der SED-Diktatur – der staatlichen Strukturen auf der einen und der individuellen Lebenserfahrungen auf der anderen Seite –  in spannungsreiche Bilder umzusetzen. 

Konnten so Vorurteile und Wissenslücken über die DDR bei Besuchenden geschlossen werden? 

Ja, gerade die VEB Robotron und auch die Wismut kannten viele Besuchende nicht. Außer sie sind sehr technikaffin, dann haben sie durchaus wahrgenommen, dass es Entwicklungen in der DDR gab. Ich habe das Gefühl, dass es viele dafür sensibilisiert, darüber nachzudenken, dass das Thema noch eine Aktualität hat und anregt, die eigene Biografie zu hinterfragen. Ich finde das wichtig, dass die eigene Perspektive, egal ob ost- oder westsozialisert, eben nicht die allgemeingültige ist. 

Sie haben auch telefonische Führungen über das Format "Bei Anruf Kultur" angeboten, ein Projekt aus Hamburg, das bis 2026 gefördert wird und dadurch kostenfrei ist. 

Ziel ist, Kunst und Kultur für Menschen mit Sehbehinderungen anzubieten. Grundsätzlich steht das Angebot aber allen Menschen offen. Interessierte können sich über die Homepage anmelden und rufen zu einer bestimmten Zeit eine Nummer an. Ich habe zwei Führungen durch die Ausstellung "Restwert" angeboten. 

Wie begründet sich Ihr persönliches Interesse am Thema DDR und den Folgen der Transformation nach 1989/1990? 

Es war wohl vorbestimmt: Ich bin 1990 geboren, am 18. März, dem Datum der ersten freien Wahlen in der DDR. Ich komme aus Süddeutschland und bin mit dem Bild von 16 Bundesländern aufgewachsen. Zum Studium war ich in Jena. Da habe ich zum ersten Mal gemerkt, dass Unterschiede zwischen Ost und West noch ein Thema sind. Ich hatte viele Freunde, die ein viel stärkeres Geschichtsbewusstsein hatten, weil ihre Familien aus der DDR kamen. Ich wurde wiederum mit dem Klischee des Wessis konfrontiert. Zum Teil haben mir fremde Menschen in der Straßenbahn oder im Museum ihre Lebensgeschichten erzählt. Das hat mich sehr beschäftigt. Ich war zehn Jahre in Jena, habe vor Ort auch Kunstwerke gesehen, die sich mit dem Thema befassen und es bestätigte sich mein Gefühl, dass es da noch etwas zu erforschen gibt. 

Sie haben mit Ihrer Dissertation wichtige Grundlagen-Arbeit geleistet. Was ist das Ergebnis Ihrer Forschung? 

Künstlerinnen und Künstler befassen sich seit 1989 kontinuierlich mit den Relikten der DDR. Das ist ein eigenes Feld in der Gegenwartskunst, wobei der Schwerpunkt Foto, Video- und Installationskunst ist. Die Künstlerinnen und Künstler nutzen die Objekte dabei als "Werkstoffe" – so habe ich es definiert. Nicht nur um neue Werke daraus zu schaffen, sondern auch Aussagen vorzunehmen zum Wert dieser Stoffe oder der Zeit aus der sie kommen. Die Stoffe repräsentieren dabei zumeist die Erfahrung von Zeitzeuginnen und -zeugen. So bergen die Kunstwerke das Potenzial der Offenlegung und Vermittlung: Sie können Lebenswege und Brüche haptisch erfahrbar machen und so einen Beitrag der Verständigung liefern. 

War es Vorteil oder Nachteil als westdeutsch sozialisierte Kunsthistorikerin zum Thema zu forschen?

Weder noch. Meine Perspektive wurde durchweg positiv aufgenommen und mir gegenüber wurden keine Vorbehalte geäußert. Ich hatte durchaus Sorge, dass manche denken: Jetzt kommt noch eine Westdeutsche, die was über den Osten schreibt! Mir hat meine Position geholfen, mich und meine Werte und Vorurteile immer wieder zu hinterfragen. Ich habe es in allen Gesprächen sehr transparent gemacht und bin auf sehr offene Künstlerinnen und Künstler getroffen. Ich glaube, dass es auch nicht hilft, wenn sich ausschließlich Ostdeutsche über Ostdeutschland unterhalten. Dann kommen wir nicht weiter, auch auf gesellschaftlicher Ebene. 

Werden Sie weiter am Thema weiterarbeiten? 

Ja, denn ich bin überzeugt, dass es aktuell bleibt. Mein Untersuchungszeitraum endet 2019. Aber die Künstlerinnen und Künstler arbeiten ja weiter und ich verfolge das natürlich mit großem Interesse. Vielleicht gibt es in zehn Jahren eine ergänzte Fassung der Dissertation!