Kommentar

Ja zur Manifesta in Russland!

Einer der lustigsten Internetartikel der vergangenen Wochen heißt „The 16 Most Homoerotic Photos of Vladimir Putin“  und zeigt: Putin mit nacktem Oberkörper beim Fischen. Putin oben ohne auf der Jagd, auf einem Pferd, mit zwei Delfinen. Auf einer anderen Aufnahme herzt der Kreml-Chef den Schauspieler Gerard Depardieu, auf einer weiteren Russlands Regierungschef Dmitri Medwedew. Was an das großartige Kunstwerk Barbara Krugers erinnert, auf der sie ein Bild sich raufender Burschenschaftler mit dem Satz konfrontiert: „You invent intricate rituals which allow you to touch the skin of other men.“ („Ihr erfindet umständliche Rituale, um die Haut anderer Männer zu berühren.“)

Man würde die Diskussion über Homophobie in Russland ganz gern dabei belassen. Der Punkt ist nur: Es geht hier um sehr reale Gewalt. Um Schwule und Lesben, die auf offener Straße und oft unter Billigung von Polizei und Behörden beleidigt, verfolgt, verprügelt werden. Um die Hetze von Kirche und Medien, die Menschenjagd wild gewordener Rechtsradikaler. Und darum, dass dieser Hass vom Staat geschürt wird. Seit Ende Juni gilt in Russland ein Gesetz, das „Propaganda von nicht traditionellen sexuellen Beziehungen“ in Anwesenheit Minderjähriger verbietet. Wer vor einem Teenager sagt, dass er schwul ist, macht sich strafbar.

Vor diesem Hintergrund wird nicht nur der Ruf nach einem Boykott der anstehenden Olympischen Winterspiele in Sotschi immer lauter, die Debatte hat längst auch die Kunstwelt erreicht. Der irische Künstler und Kurator Noel Kelly fordert in einer Petition, die er auf der Website Change.org veröffentlicht hat, die zehnte Ausgabe der Manifesta solle nicht wie geplant in St. Petersburg stattfinden. Im Aufruf bezieht er sich auf die jüngsten Gesetze und plädiert dafür, dass die wandernde Biennale ausfällt oder an einen anderen Ort verlegt wird. „Es ist wichtig, dass wir eine Botschaft an die russische Regierung senden, dass solche drakonischen Maßnahmen nicht toleriert werden“, schreibt Nelly.

Bis heute haben knapp 2000 Menschen die Petition unterzeichnet. Auch Klaus Biesenbach, der Direktor des New Yorker MoMA PS1 und Monopol-Kolumnist, unterstützte auf Twitter die Petition und rief zudem zum Boykott der Winterspiele auf: „Wir müssen etwas dagegen tun, wenn ein Land schrittweise seine Bürgerrechte zerstört.“ Einmal abgesehen davon, dass das Land, aus dem Biesenbach seinen Tweet abschickte, in puncto Bürgerrechten aktuell auch nicht so toll dasteht, bleibt die Frage: Was würde ein Boykott bringen, und wem er würde er nützen?

Die Kunst ist in Russland nicht frei. Nach dem widerlichen Prozess gegen die Agitprop-Band Pussy Riot musste zuletzt der Maler Konstantin Altunin erfahren, dass der Präsident seines Landes sich zwar gern nackig sieht, nicht aber in Unterwäsche. Ein Gemälde Altunins, das Putin im Negligé und Medwedew in Frauenunterwäsche darstellt und als Teil der Ausstellung „Herrscher“ in St. Petersburg gezeigt werden sollte, wurde beschlagnahmt. Die Museumsdirektorin Tatjana Titowa wurde in der Nacht des 2. September von Uniformierten abgeholt, verhört und erst am nächsten Morgen wieder freigelassen. Altunin floh nach der Razzia, bei der drei weitere Bilder konfisziert wurden, nach Paris und hat Asyl beantragt. In weiten Teilen der russischen Kulturszene und Zivilgesellschaft herrscht ein Klima der Angst.

So naheliegend ein Boykottaufruf angesichts dieser Entwicklungen erscheint – er könnte die Falschen treffen. Es ist kaum vorstellbar, dass eine Absage der Manifesta den Kreml erschüttern würde. Die öffentliche Resonanz in Russland wäre gering, zudem steckt hinter der Ausstellung auch keine wirtschaftliche Macht. Im Gegenteil könnten sich jene Kräfte bestätigt fühlen, die zeitgenössische Kunst generell als „dekadent“ und „westlich“ verteufeln.
 
Der deutsche Manifesta-Leiter Kasper König hat bereits angekündigt, dass er „billige Provokation“ vermeiden, auf Dialog setzen werde. Was handzahm klingt, aber doch richtig ist. Kunst hat viele Möglichkeiten, Stellung zu beziehen, die Dummheit der Behörden vorzuführen, unkontrollierbare Wirkung zu entfalten. Eine internationale Ausstellung wie die Manifesta kann Aufmerksamkeit für Probleme schaffen (und dafür kommt, vom Turbokapitalismus über den Antisemitismus bis zur Umweltzerstörung, vieles infrage, in Russland und anderswo), denen eine Stimme geben, die sonst zum Schweigen verdammt sind.
 
Letztlich geht es um die Frage nach den effektivsten Mitteln. Die Olympischen Spiele sind eine Prestigeveranstaltung, hinter der Milliarden stecken – sowie Sponsoren, die durch einen Boykottaufruf tatsächlich unter Druck gesetzt werden können. Mögen sie abspringen und dem Kreml-Chef, der sich so gerne mit freiem Oberkörper zeigt, die Hosen runterlassen. Die Manifesta kann ihm dann, sanft oder etwas härter, ganz wie er es mag, den Hintern versohlen.