Die Ausstellung, die viele Kritiker für die beste des Jahres halten, hat 16 Titel, angefangen mit "Dance with Demons" und "Cloud Chronicles" über "What time is heaven" bis zu "The Richness of going slowly". Angekündigt war sie ursprünglich als Sommerausstellung der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel, aktuell firmiert sie auf deren Website unter dem Namen "Summer is over". Dahinter drei Es-geht-noch-weiter-Pünktchen … was sehr dynamisch und zukunftsgewandt wirkt, als würde hier ständig etwas in Bewegung sein und wachsen.
Ein treffenderer, aber zugegeben langweiligerer Titel für die Schau wäre "Comeback der Relational Art" gewesen. Mit Tino Sehgal, Philippe Parreno, Rirkrit Tiranija, Dominique Gonzales-Foerster, Carsten Höller oder Pierre Huyghe war die Schau eine Art Klassentreffen von Künstlerinnen und Künstlern, deren Praxis statt visueller Erlebnisse das "Zusammensein zum zentralen Thema hat". So schrieb es der "Klassensprecher" und Namensgeber der Relational Aesthetics, der französische Theoretiker Nicolas Bourriaud. Mehr als 25 Jahre ist das jetzt her.
Nicht nur in Basel feierte die Bewegung in diesem Jahr ihre Wiederauferstehung: Der Berliner Gropius Bau zeigte die Rirkrit-Tiravanija-Retrospektive "Das Glück ist nicht immer lustig"; Pierre Huyghe bespielte die Punta della Dogana in Venedig; Philippe Parrenos Großschau "Voices" wanderte vom Leeum Museum of Art in Seoul zum Haus der Kunst in München, wo auch Tino Sehgal eine eigene Komponente beisteuerte. Wie kommt es, dass große Institutionen weltweit dieser tief in den späten 90ern und frühen Nullerjahren verwurzelten Kunstrichtung ausgerechnet jetzt wieder ihre Pforten öffnen?
Der museale post-pandemische Nachholeffekt
Einfache Antwort: Nach Jahren des Corona-bedingten Social Distancing ist die Sehnsucht nach einer Kunst, die situative Momente und zwischenmenschliche Begegnungen inszeniert, besonders groß. Wir erleben eine Art post-pandemischen Nachholeffekt. Hinzu kommt das Gatekeeper-Momentum: In den Institutionen hat heute eine Generation um die 40, 50 das Sagen, die mit Relational Art sozialisiert wurde. Und ebenso in den klassischen, kunstberichterstattenden Feuilletons.
Man kennt sich, man versteht sich, man erinnert sich: wie Rirkrit Tiravanija das gemeinschaftliche Essen zur Kunstform erhob; wie man erstmals den instruierten Personen in einer von Tino Sehgals "Situationen" begegnete; wie Carsten Höller zum Rutschen oder zum Übernachten im Museum einlud; wie die Kunst damals ganz neue Formen annahm.
Von "relational aesthetics nostalgia" schrieb der "Artnet"-Kritiker Ben Davis im Frühjahr in seiner Besprechung der Fondation-Beyerle-Schau, betonte aber auch: "Die lockere Atmosphäre der 2000er-Jahre fühlt sich plötzlich wieder frisch an, in einer Zeit, in der die eher marktorientierten Kunstzentren (Galerien, Messen) experimentelle Arbeiten nicht wirklich unterstützen, und die weniger marktorientierten (Museen, Biennalen) verloren dahintreiben."
Relational Art ist soziologische Kunst
Lockermachen, in diesen Zeiten? Im schlimmsten Fall ließe sich der wiederkehrende Erfolg der Erlebnis-Kunst durch ihre vermeintliche Harmlosigkeit erklären. Immer schon wurde das Spielerische, Situative der Bewegung als Eskapismus vor ernsthafteren Auseinandersetzungen kritisiert. Und weil relational artists ihre Ausstellungen oft gern selbst oder im Kollektiv kuratieren (so auch in der Fondation Beyeler), böte sich auch für die Leitungen der Institutionen eine gute Gelegenheit zum Wegducken – wer wollte es ihnen in diesen hitzigen Kulturkampf-Zeiten verdenken?
Aber die Augen vor der Realität zu verschließen, ist etwas anderes, als Abstand zu ihr zu gewinnen. Relationale Kunstwerke bieten ästhetische Erfahrungen jenseits des fetischisierten Kunst(markt)objektes und zeigen zugleich eine Alternative zur Kapitalisierung der Humandaten, wie es die Techfirmen betreiben. Eine neue Relevanz könnte die Relational Art aber vor allem dadurch bekommen, dass sie uns daran erinnert, dass ein Werk kein Ausdruck der Künstlerpersönlichkeit sein muss.
Die Emotionalität, die Biografie, das Ego, der Narzissmus des Künstlers sind in den Situationen der Relational Art nebensächlich, und auch wir treten aus der gewohnten Rolle des Betrachters und werden zum Mitschöpfer. Indem sie uns daran erinnert, dass die Konfrontation mit einem Kunstwerk bedeutet, eine psychologische Entfremdung zu erleben, könnte dieses Revival einen Weg aus unserer identitätsversessenen Gegenwart weisen. Aber vielleicht ist das auch nur ein frommer Wunsch fürs nächste Jahr.