Zum Tod von Jürgen Wesseler

Ein Anwalt der Kunst

Er zeigte Avantgardekünstler, bevor sie ihren internationalen Durchbruch feierten. Und das nicht in New York, Köln oder Berlin, sondern in der "Provinz" von Bremerhaven. Jetzt ist der Ausstellungsmacher Jürgen Wesseler mit 84 Jahren gestorben

Bereits 1967 gründete der studierte Vermessungsingenieur gemeinsam mit einigen Mitstreitern das inzwischen legendäre Kabinett für aktuelle Kunst, für das er dann über 40 Jahre lang als ehrenamtlicher Betreiber und Ausstellungsmacher tätig war. "Das Kabinett", wie es bald so lapidar wie liebevoll genannt wurde, war damals gleichsam als "Verjüngungskur" für den Kunstverein Bremerhaven gedacht und war in einem ehemaligen Ladenlokal im Erdgeschoss der Kunsthalle Bremerhaven untergebracht.

Nur 35 Quadratmeter groß und im geometrischen Schuhkartonformat gab es sich als klassischer White Cube, hinterfragte dessen Regeln und Konventionen aber überaus produktiv. Vor allem die Tatsache, dass die von Wesseler eingeladenen Künstler nicht einfach mit fertigen Werken nach Bremerhaven kamen, sondern vor Ort neue Arbeiten konzipierten, machte das Kabinett zu einem wegweisenden Kunstort.

Zudem waren die Künstler, die von der "Spürnase Wesseler" (Zitat Stephan Balkenhol) eingeladen wurden, damals noch wenig bekannt, zählen heute aber längst zum who's who der internationalen Avantgardekunst: So stellte Lawrence Weiner hier schon 1971 aus, Bernd und Hilla Becher ebenfalls, Bas Jan Ader ein Jahr später, genauso wie Hanne Darboven. Es folgten unter anderem Joseph Kosuth, Gerhard Richter, Sol LeWitt, Henk Visch, der gleich fünfmal im Kabinett ausstellte, Marina Abramovic/Ulay und Silvia Bächli. Isa Genzken hatte in Bremerhaven 1978 ihre erste nicht-kommerzielle Einzelausstellung.

Präzises Sehen und intellektuelle Schärfe

In den letzten 50 Jahren entstanden hier prägnante Präsentationen, allein etwa 200 Einzelausstellungen, die oftmals Kunstgeschichte schrieben. So 1969, als Blinky Palermo eine seiner ersten Wandzeichnungen realisierte. Oder als 1991 der junge Andreas Slominski in eine Wand des Ausstellungsraumes eine Hand einmauern ließ – oder war es doch nur ein gänzlich leerer Raum? Spannend auch, dass die Künstler des Kabinetts sich des öfteren mit ihren Arbeiten auf zuvor dort zu sehende Projekte bezogen, so etwa als dort 1975 Hanne Darboven die Arbeit von Lawrence Wiener wörtlich zitierte.

Der langjährige Weggefährte und Chefredakteur des Bremer Kunstmagazins "Artist", Joachim Kreibohm, beschreibt die Haltung Wesselers so: "Er hat nie die Erwartungshaltungen des Publikums bedient und seine Arbeit nicht von der Zustimmung anderer abhängig gemacht. Eben ein Anwalt der Kunst, der sich nicht beim Publikum, sondern bei den Künstlern profiliert".

Jürgen Wesseler besaß ein präzises Sehen, intellektuelle Schärfe und zuweilen auch bissige Süffisanz, mit der er polarisieren konnte. Er war ab 1987 für 25 Jahre Vorsitzender des Kunstvereins Bremerhaven, außerdem initiierte er den Bau des 2007 eröffneten Kunstmuseums Bremerhaven mit. 2008 wurde ihm das Bundesverdienstkreuz verliehen. Sein Sohn Moritz Wesseler übrigens ist heute Direktor des Museums Fridericianum in Kassel. Kurz vor seinem 85. Geburtstag ist Jürgen Wesseler am 28. Februar nach langer Krankheit in Köln gestorben.

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Stimmen zum Tod von Jürgen Wesseler:

"Jürgen ist leidenschaftlich für die Kunst eingetreten, er hat sehr eng mit den Künstlern zusammengearbeitet und uns die besten Möglichkeiten gegeben, eine spannende Ausstellung zu machen. Ich bin dankbar, dass ich ihn kennenlernen durfte."
Cecilia Edefalk, Künstlerin 

"Er hat mein Leben verändert. 

faith
hope
and
risk
=
belief"

Douglas Gordon, Künstler

"Ich konnte mich sehr mit Jürgen Wesseler und seinem Kabinet für aktuelle Kunst in Bremerhaven identifizieren. Er hat fernab der großen Hauptstädte und Metropolen – ohne viel Gehabe, ökonomisch und nachhaltig – nur dank seinem untrüglichen Spürsinn für Qualität und seiner Beharrlichkeit auf engsten Raum einen legendären Ausstellungsraum erschaffen. Sein Kabinett wurde zu einer Inspiration für viele Künstler. In dem sie sich gegenseitig beeinflussten, aufeinander reagierten, sich zu überbieten versuchten und gemeinsam an der Weiterentwicklung von Kunstbegriffen arbeiteten. Seinen Kuratoren-Kollegen und -Kolleginnen hat er es nicht einfach gemacht und die Messlatte sehr hochgehängt. So lange ich lebe, wird Jürgen Wesseler in meinen Erinnerungen leben."
Gregor Schneider, Künstler 

"Das Kabinett für aktuelle Kunst in Bremerhaven ist das einzige nicht chemische Element im Periodensystem. Ich trauere um meinen hochgeachteten Freund Jürgen Wesseler." 
Andreas Slominski, Künstler

"Ich werde Jürgen für seine Offenheit, seine Leidenschaft für die Kunst und seine unermüdliche Unterstützung immer dankbar sein."
Luc Tuymans, Künstler

"Jürgen Wesseler führte das Kabinett für Aktuelle Kunst mit seiner unermüdlichen Begeisterung und Liebe zur Kunst. Mit ihm verbinde ich eine so wertvolle Zeit in meinem Jahr in Bremerhaven und ich bin zu tiefst dankbar für diese besondere Begegnung und Unterstützung."
Paloma Varga Weisz, Künstlerin