Klaus Biesenbachs Kampf für Rockaway

Keine Ruhe nach dem Sturm

New York (dpa) - Wo einst ein breiter Sandstrand war, steht Klaus Biesenbach auf einem übrig gebliebenen grauen Betonpfeiler und kneift gegen die Kälte die Augen zusammen. «Schaut hier, der ganze Strand, einfach weg.» Biesenbach ist in der Nähe von Köln geboren, aber sein Herz schlägt für Rockaway, die schmale, flache Halbinsel im Osten New Yorks. Ein kleines Wochenendhaus mit Garten hat der Direktor des zum Museum of Modern Art (MoMA) gehörenden Kunstzentrums MoMA PS1 hier - «das erdet mich». Aber seit rund einem halben Jahr, seit Wirbelsturm «Sandy» über die US-Ostküste hinwegfegte und Rockaway schwer verwüstete, ist alles anders. «Seitdem ist da ein ungeheurer Schmerz.»

   Biesenbach telefonierte an diesem verhängnisvollen 29. Oktober 2012 gerade mit Kollegen, als heftige Windböen aufkamen und der Regen immer heftiger gegen die Fensterscheiben prasselte. «Wir waren mitten in den Planungen für eine neue Ausstellung und dann fiel plötzlich der Strom aus.» Die geplante Schau sollte sich sowieso schon mit Klimawandel und dem Zusammenleben von Mensch und Natur beschäftigen - und wurde dann doch noch von der Realität eingeholt. «Seit zwei Jahren planten wir an dieser Ausstellung. So habe ich noch nie gearbeitet, dass aus dem abstrakten, woran du arbeitest, plötzlich Realität wird.»

   «Sandy» versetzt die bis dahin eher vor sich hin dümpelnden Überlegungen mit einem Schlag ins Eiltempo. Biesenbach mobilisiert all seine Energie und Kontakte - für die neue Ausstellung und für Hilfe für Rockaway. Mit dem ehemaligen Sänger der Band R.E.M., Michael Stipe, kümmert er sich in den Tagen und Wochen nach dem Sturm um die freiwilligen Helfer, räumt Schutt weg und beliefert die Bedürftigen mit dem Notwendigsten, wie Windeln, Kleidung und Wasser. Mit den Sängerinnen Patti Smith, die sich drei Monate vor «Sandy» ein Haus auf Rockaway gekauft hatte, Madonna, Lady Gaga und zahlreichen anderen Prominenten schreibt er einen offenen Brief an New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg und fordert mehr Hilfe für die seiner Ansicht nach vernachlässigte Halbinsel.

   Und mit seinen Kollegen, Bekannten und Freunden aus der Kunstwelt stellt Biesenbach in Rekordzeit die neue Ausstellung auf die Beine und gewann Volkswagen als Partner. «EXPO 1: New York» - zu sehen vom 12. Mai bis zum 2. September - soll eine «Betrachtung der ökologischen Herausforderungen unserer Zeit im Kontext einer instabilen Wirtschaft und gesellschaftspolitischer Umwälzungen» sein. MoMA-Direktor Glenn Lowry nennt die Schau, die Kunstwerke, Diskussionen und Vorträge beinhalten soll, «ehrgeizig, aufregend und unerwartbar».

   Ein Teil der «EXPO 1» findet im MoMA PS1 im New Yorker Stadtteil Queens statt, der andere natürlich in Rockaway. «So viele Menschen kommen nach New York und denken, die Folgen von "Sandy" sind alle längst vorbei, aber das sind sie nicht», sagt der 1966 geborene Museumsdirektor. Mit der Ausstellung will der vom «New York Magazine» als «Herr Zeitgeist» gefeierte Deutsche in New York die Besucher nach Rockaway locken - und ihnen zeigen, wie schlimm es auf der Halbinsel mit mehr als 100 000 Bewohnern auch fast sechs Monate nach dem Sturm immer noch aussieht.

   Nicht unbedingt reiche New Yorker haben hier ihre Ferienhäuschen, viele ärmere Menschen dutzender Ethnien und in den letzten Jahren mehr und mehr Künstler schätzen die vergleichsweise günstigen Mieten in den kleineren Häuschen und Wohnanlagen direkt am Meer. Im Sommer strömen tausende Bewohner und Touristen an die Strände Rockaways. Inzwischen ist das fast unmöglich geworden: Die Bahn, die die Halbinsel mit dem New Yorker U-Bahnnetz verband, fährt immer noch nicht wieder. Busverbindungen sind kompliziert und dauern - beispielsweise aus Manhattan - stundenlang.

   Der hölzerne Boardwalk direkt am Strand von Rockaway ist komplett weg, der breite Sandstrand auch und muss derzeit mühsam wieder aufgeschüttet werden. Viele Pflanzen und Bäume sind gestorben, nachdem fast die gesamte Halbinsel mit Salzwasser überspült wurde. Biesenbach nennt es ein «ökologisches Desaster». Die komplette erste Reihe der Häuser am Strand hat «Sandy» zerstört, immer noch liegen dort große Schuttberge. Die meisten Läden auf der Hauptstraße sind geschlossen - Banken, Supermärkte, Restaurants, eine Diskothek, überall sind mit Brettern vernagelte Fenster und Türen zu sehen. «Hier lag überall ein Meter Sand. Die Menschen mussten den irgendwie wieder wegbekommen, das war wie Schnee schaufeln.»

   Mitten in die Verwüstung hat Biesenbach jetzt, ebenfalls mit Unterstützung von Volkswagen, eine weiße halbkugelförmige Halle stellen lassen, den VW Dome 2. Hier sollen Menschen einen Teil der Ausstellung sehen können, aber auch Freiwillige und Sturm-Opfer sich treffen können. «Wir hoffen, dass diese Struktur ein bisschen Schönheit und Hoffnung nach Rockaway zurückbringen wird», sagt Biesenbach und zeigt auf das direkt hinter der Halle liegende Meer. «Schaut mal, da sind Surfer, bei diesem kalten Wetter. Unglaublich. Aber so sind die Menschen hier: Sie lassen sich nicht unterkriegen.»

Klaus Biesenbach schreibt jeden Monat in der Print-Ausgabe von Monopol die Kolumne "Erdkunde"