Shitstorm wegen "Kimono"

Kim und der Kapitalismus

Mit ihrer Shapewear-Linie "Kimono" hat sich Kim Kardashian (mal wieder) den Vorwurf der kulturellen Aneignung eingehandelt. Die Kampagne wurde von Künstlerin Vanessa Beecroft fotografiert. 
Foto: Kim Kardashian/Twitter

Mit ihrer Shapewear-Linie "Kimono" hat sich Kim Kardashian (mal wieder) den Vorwurf der kulturellen Aneignung eingehandelt. Die Kampagne wurde von Künstlerin Vanessa Beecroft fotografiert. 

Kim Kardashian wird - mal wieder - kulturelle Aneignung vorgeworfen, diesmal wegen ihrer neuen Quetschunterwäschelinie Kimono. Dabei ist jeder Protest nichts als ein Gewinn für die Marke  

Es hätte vermutlich nicht besser laufen können für Kim Kardashian. Kaum hat ihre Shape-Wear Linie namens Kimono das Licht der Welt erblickt, schon reden sich alle den Mund fusselig. Weil man das ja nicht machen kann, wegen Japan und wegen der kulturellen Aneignung und weil es doch lächerlich ist, ein Kleidungsstück, das so wenig mit figurformender Unterwäsche zu tun hat, als Namen zu wählen, nur weil es den eigenen Vornamen beinhaltet und weil das doch eh alles ganz großer Quatsch ist. Der Instagram-Account @kimono hat bereits über 100.000 Follower.

Dass man dort Körper sieht, die sich in Miederwaren verschiedenster Art durch die Gegend strecken, drücken und ziehen und dort keine Spur von einem Kimono oder irgendwelcher wie auch immer gearteter Japan-Ästhetik auftaucht, ist nur im ersten Moment irritierend. Im zweiten fragt man sich: War Kim vielleicht sogar schon vor Japan da? Gab es wirklich Emojis, bevor es Kimojis gab? Und spielt das überhaupt eine Rolle? Denn die Kardashians fordern unsere Idee von Realität heraus, indem sie als die absolute Verstofflichung des Turbokapitalismus, der sich alles aneignet, zu uns sprechen.

Alles von der Zahnbürste bis zum Nippelpflaster

So generiert sie etwas Reales "ohne Ursprung in der Realität", wie Jean Baudrillard das nennen würde. Der Boden, auf dem wir uns befinden, wird langsam wackelig. Die sichere Oberfläche dessen, was wir als real wahrnehmen, wird von langen, faserigen Rissen durchzogen. Das Wort Kimono wird durch die absurde Verwendung in diesem Kontext zu einer leeren Hülle. Kim und der Kapitalismus, die beiden Schlawiner, die können das machen. Sie hat sich die Rechte gesichert, von der Zahnbürste bis zum Nippelpflaster alles unter dem Namen Kimono zu vertreiben. So wie sich die ganze Familie immer wieder einfach alles nimmt und zu irgendetwas anderem macht

Die Bilder zu der Kampagne hat die italienische Performance-Künstlerin Vanessa Beecroft gemacht, die seit ihren befremdlichen Äußerungen in einem Interview mit "The Cut" 2016 mindestens genauso umstritten ist wie Kardashian selbst. Dort äußert sie sich zu schwarzen Körpern und behauptet gar, wenn sie sich selber nicht weiß nennen würde, nun ja, vielleicht wäre sie es dann auch nicht. So einfach kann man systematischen Rassismus wohl aus der Welt schaffen.

Welt in hübschen, kleinen Stücken

Aber sie tut auch das, was Kanye West und Kim Kardashian tun. Sie zerlegt die Welt in hübsche, kleine Stücke. Da spielen weitergreifende Implikationen und Komplexität keine Rolle. Da gibt es wirklich nur das Hier und Jetzt - und hinter der Oberfläche das weite Nichts. Dass der müde Versuch eines Aufruhrs und die geradezu rührend naive Geschichte, die sich um die Entwicklung des Produktes rankt, diesem nur zu noch größerer Aufmerksamkeit verhelfen, ist mehr als kalkuliert. Jeder einzelne Protest ein Gewinn, in Zeiten, in denen Aufmerksamkeit wertfrei und all press good press ist.

So behauptet Kardashian, dass das Thema figurformende Unterwäsche ihr seit 15 Jahren sehr wichtig sei, da sie nie das Mieder in der zu ihrer Haut passenden Farbe gefunden habe. In der kleinen Legende, die man auf Instagram schnell um Kim und das Mieder gestrickt hat, heißt es, dass sei ihr alles eine Herzensangelegenheit. Gestern war es ihr noch eine Herzensangelegenheit Anwältin zu werden. Dass beides, ohne eine Abstufung zueinander, völlig gleichwertig existieren kann, dafür tritt Kim Kardashian den Beweis an. Denn in der Hyperrealität gibt es nur Parallelität, keine Gewichtung. Alles, was Aufmerksamkeit bekommt, kann sich im Bilderstrom über Wasser halten.

So weit, so fair 

Nur, selbst das Produkt zu sein, reicht auf geldwerter Ebene nicht aus. Es braucht einen Botenstoff. Was das letztendlich ist, ist egal. Nun also Shape-Wear. Gab es im Film "Bridget Jones" noch eine wahnsinnig unangenehme Szene, in der Bridget, die sich moppelig fühlte, sich kurz vor dem Beischlaf aus einer solchen Oma-Miederhose pellen musste, würde das heute keine Lacher mehr bekommen. Nicht zuletzt dank Kim Kardashian, die schon immer ganz offen zugab, die hautfarbenen Ungetüme unter dem Hauch von Nichts zu tragen, der ihre Kleidung nicht selten ist. Dass sie trotzdem um 5.30 Uhr aufsteht, um ihren Körper zu stählen, spielt dabei keine Rolle. So weit so fair.

Doch einem Produkt, das eine Realität vorgaukelt, die so nicht existiert, indem sie die Trägerin fest verschnürt, kompakter und fester aussehen lässt, den Namen Kimono zu geben, ist auf spannende Art und Weise befremdlich. Der Kimono, ein traditionelles japanisches Kleidungsstück, soll ja eher verhüllen, als zeigen. Doch genau das tut die shape-wear ganz unverfroren. Man soll schließlich sehen, was Kim einem gegeben hat. Dass die genaue Wortbedeutung von Kimono so etwas ist wie "Ding zum Anziehen", ist nur die halbe Wahrheit. Der Kimono ist eng mit der Tradition Japans verknüpft und kulturell eben genau nicht einfach irgendein Ding zum Anziehen, sondern hochgradig aufgeladen.

Anwältin werden und Bäuche wegzaubern

Spätestens seitdem Vanessa Beecroft 2016 die Präsentation von Kanye Wests Yeezy Season 3 im Madison Square Garden orchestriert hat, ist ihre Ästhetik eng mit der von Kim und Kanye verwoben. Dass die Frau, die so verwegene wie auch schlicht und ergreifend dumme Sätze wie "(...)when I work with Africans or African-Americans, I feel that I am autobiographical. If I don’t call myself white, maybe I am not" sagt, nun auch ein traditionelles japanisches Kleidungsstück mit Bauch-Weg-Unterhosen in einen Topf wirft, ist da nicht weiter verwunderlich. Die Art und Weise, wie Beecroft und Kardashian sich jeglichem Diskurs und jeglicher Stellungnahme entziehen, ist jedoch genau das. Besonders im Licht der Tatsache, dass sich Kim Kardashian gerade in einem sogenannten Lawyer Apprenticeship befindet, in dem sie in einigen Jahren zur Anwältin ausgebildet wird. Zu unrecht Verurteilten zur Freiheit zu verhelfen, ist dort ihr heheres Anliegen.

Kimono, Schmimono

Dass das nicht in krassem Gegensatz zu ihrem sonst mehr als lahmen politischen Verhalten steht, bügelt der sich alles zunutze machende Turbokapitalismus wieder aus. Dass es nun um Miederware, also das Darunter geht, beweist nur umso deutlicher, dass Kim Kardashian jegliches Geheimnis preisgibt, in das sich das Verwunderliche, das Schöne, aber auch das Seltsame dieser Welt einbetten könnte. So bringt sie zum Vorschein, dass wenn man sich nichts ausdenkt, oder ausmalt, hinter der Oberfläche immer nur das große Nichts wartet und auf sie eben eine Schüssel voller Gold.

Es ist eine seltsame Faszination, die sie und Kanye da ausstrahlen. Denn da wo sich andere Akteure der Popkultur zumindest dem Anschein nach noch um eine Botschaft oder Inhalt kümmern, wird all das hier getrost über Bord geworfen. Kimono - Schmimono. Und genau deshalb schaut man immer und immer wieder hin, wenn Kim Kardashian West einem neuen Parfum, einem neuen App Game oder einer neuen Klamotte ihr Konterfei verpasst und etwas auf den Markt schleudert. Die ekelhafte Gleichmacherei des Kapitalismus manifestiert sich in der Kunst-Persona mit dem großen K. Kapitalism halt.