Podiumsdiskussion in München

Klassentreffen der Netzkunst

"Ich hasse die Realität, aber es ist immer noch der beste Ort, um ein gutes Steak zu essen." Dieser Woody-Allen-Witz hallt wider in der Aufforderung „Lasst uns trinken gehen“, wenn sie wie vom Künstler Rafaël Rozendaal am Ende einer Diskussionsveranstaltung über das Internet und die Netzkunst ausgesprochen wird. Im WWW mag man sich „anstupsen“ (Facebook) oder „gruscheln“ (StudiVZ) und sonst nicht was, aber gemeinsam feiern – schwierig.

Deshalb war es tatsächlich ein Grund zum Anstoßen, als am Montagabend herausragende Vertreter der heutigen Netzkunst im Rahmen der Münchner Konferenz Digital Life Design (DLD) zusammenkamen: Cory Arcangel, Aids-3D, Ed Fornieles, Oliver Laric, Jon Nash und eben Rozendaal. Sie wollten auf einem von den Kuratoren Hans-Ulrich Obrist und Johannes Fricke Waldthausen organisierten Panel über „Ways beyond Internet“ diskutieren. Es gab dann einige dieser Woody-Allen-Momente, in denen die Wirklichkeit der vermeintlichen Web-Nerds auf die „reale Realität“ (Niklas Luhmann) stieß. Es ging los, als sich die Kunstkritikerin Karen Archey beim Start ihrer Powerpoint-Präsentation assistieren lassen musste. Gekicher. Aber Archey räumte dann auch gleich mit einem Vorurteil auf: Die Benutzung digitaler Kultur auch für die raffiniertesten künstlerischen Zwecke setze heute kein Informatikerwissen mehr voraus. Die Leute da auf dem Podium, die haben zwar einen besonderen Style (Batik-T-Shirts, High-Tech-Sneaker) – aber Nerds und Hacker sind das nicht unbedingt.

Im Zeitalter des „Post-Internet“

Statt Quellcodes präsentierte Karen Archey folgerichtig Facebook-Seiten, auf denen sie mit den Künstlern von Aids-3D zu sehen ist: Soziale Aspekte dominieren heute das einst so anonyme Netz. Das „little rat pack of internet artists“, wie Archey ihre Freunde nennt, konstituiert sich als Bewegung nicht nur durch den Gebrauch desselben künstlerischen Materials (dem Browser), sondern auch durch den Zusammenhalt im Social Web. Anders ausgedrückt: Zwar kann man sich nicht betrinken im Internet, aber immerhin sofort Bilder vom Rausch durch die Netzwerke schicken.

Das Netz ist deshalb heute so präsent, dass die Unterscheidung zwischen online und offline hinfällig ist, oder zumindest hinterfragt werden sollte. Und das könnte doch Ziel der Netzkunst sein. Wir seien mittlerweile beim „Post-Internet“ angekommen, sagte Archey sogar. Ein Begriff, der vermutlich auf die Künstlerin Marissa Olson zurückgeht. Ihn umkreisten auch die anderen Redner auf dem Podium. Daniel Keller etwa, der gemeinsam mit Nik Kosmas im Kollektiv Aids-3D ausstellt (hier im Interview von Monopol), sprach mit Rückbezug auf den US-amerikanischen Physiker John A. Wheeler von „It from bit“: Materie, Energie und Informationen können ineinander übergehen, das Universum als riesiger Supercomputer betrachtet werden. Aids-3D haben Überlegungen in diese Richtung zur Arbeit mit Solarmodulen gebracht, ein Material, bei dem Information- und Energiegewinn sich kreuzen können, etwa wenn man sein Haus mit ihnen bestückt, auch um zu zeigen, wie umweltbewusst man ist. Oder wenn man wie Aids-3D die Module an die Wand hängt und zur Kunst erklärt.

Nur keine heißen Themen

Bei den Arbeiten mit Solarpanels lässt sich mit guten Willen auch eine Auseinandersetzung mit utopischen Ideen vermuten; soziale Entwürfe waren schließlich eng verknüpft mit der frühen Net-Art und dem Hacktivism. Keller leitete seinen kurzen Vortrag mit der Bemerkung ein, dass unsere Computer von Sklaven hergestellt werden und jede Google-Suchanfrage eine nicht unbedeutende Menge CO2-Ausstoß bedeutet. Aber er benutzt diesen Hinweis nur, um erneut auf die Wirklichkeit des Internets hinzuweisen, die ein Reden von der „virtuellen Realität“ sinnlos macht.

Überhaupt wurde man bei der vom Hubert-Burda-Verlag organisierten Konferenz den Eindruck nicht los, dass diese junge Generation von Internet-Künstlern die wirklich heißen Themen, die sich doch in den vergangenen Tagen mit dem Protest gegen den SOPA-Gesetzesentwurf oder der Verhaftung des Gründers von Megaupload geradezu aufdrängten, systematisch vermeiden. Oder sie werden dermaßen spielerisch angegangen, dass man ihrer Brisanz schon gar nicht mehr erkennt. Oliver Laric (hier im Interview von Monopol) präsentierte – nachdem er seine Mama und seine Schwester gegrüßt hat – seine Bearbeitungen von im Internet gefundenen Material. Ganz groß: sein Zusammenschnitt von digitaler Clipart-Vorlagen zu einem Cartoon.

Cory Arcangel (hier im Interview von Monopol) zeigte noch einmal seinen Zusammenschnitt von Youtube-Videos, die Katzen auf Klavieren zeigen. Bei Arcangels „Drei Klavierstücke, Op. 11“ (2009) spielen die putzigen Dinger Arnold Schönberg. Das fasziniert die Internetkünstler heute: wie sich Populärkultur und Avantgarde vermischen, Kunst sich in Banalität verwandelt und umgekehrt. Dass etwas Wirkung hat hinaus über den Kreis eingeweihter Kunstkonsumenten.

„I really love the internet“ – so emphatisch leitete Rafaël Rozendaal seinen Vortrag ein. „Dass Coca Cola das gleiche Internet benutzt wie ich! Dass das Guggenheim das gleiche Internet benutzt wie ich!“ Ja, Wahnsinn. Aber nach den klugen Arbeiten, die diese hier in München versammelten Künstler in den letzten Jahren geschaffen haben, die tatsächlich wunderbar die noch immer kaum fassbare Energie der sozialen Netzwerke reflektiert, wäre es auch bald Zeit, einen Schritt weiterzugehen und die bloße Faszination zu überwinden. Schließlich leben wir im Zeitalter des Post-Internet.

Was dann auch so einen Begriff wie Internet-Art überflüssig macht. Dabei war dies die vielleicht letzte distinkte Kunstbewegung unserer Tage: Noch einmal ließ sich eine Gruppe über den Gebrauch eines Mediums definieren, statt wie heute üblich allein über ihren geografischen oder ethnischen Background. Vorbei. Wir alle werden mit dem Mitmachinternet zu Netzkünstlern.

Hier kann man das Panel in voller Länge sehen: