Maler Klaus Killisch

"Wenn man merkt, dass man Teil der Weltgeschichte ist, lässt sich das kaum in Worte fassen"

Klaus Killisch vor seinem Bild "Poesie der Krise"
Foto: Courtesy Klaus Killisch / VG Bild-Kunst, Bonn, 2025

Klaus Killisch vor seinem Bild "Poesie der Krise" 

Klaus Killisch war Mitglied im Verband Bildender Künstler der DDR und ging gleichzeitig mit anderen Oppositionellen auf die Straße. Hier spricht er über die Zeit nach dem Mauerfall und den Kunstwelt-Empfang im Westen

 

Klaus Killisch, ein Jahr nachdem 1989 die Mauer gefallen war, wurden Sie direkt im zentralen Pavillon der Venedig-Biennale ausgestellt. Was war das für eine Zeit für Sie? 

Die Welt stand offen, nicht nur die Welt östlich der Elbe, sondern auch westlich der Elbe, südlich der Elbe und so weiter. Diese Zeit möchte ich nicht missen. Es war wunderbar. Es kam aber auch nicht wirklich überraschend für mich, sondern wir, meine Freunde und Künstlerkollegen, waren auf der Straße und haben Druck gemacht. Es war uns klar, dass etwas passieren wird. Natürlich hätte ich trotzdem nie erwartet, dass dann tatsächlich die Mauer geöffnet wurde. Aber das Erlebnis, das Gefühl zu haben, dass wir etwas in Bewegung gesetzt hatten, will ich mir von niemandem ausreden lassen. Wenn man merkt, dass Weltgeschichte geschrieben wird und ich ein Teil davon bin, dann lässt sich das auch rückblickend kaum in Worte fassen

Zudem waren Sie junger Erwachsener …

Ich war 30. 

Sie arbeiteten bereits professionell als Künstler. Else Gabriel hat in dieser Reihe gesagt, dass diese die einzige blutfreie Revolution der Geschichte war. Das muss unglaublich packend sein, Teil dieses großen Stroms zu sein. 

Auf jeden Fall war es ein besonderes Ereignis in der deutschen Geschichte, ein seltenes Positivum. Wenn man über die deutsche Geschichte spricht, fallen einem natürlich andere Sachen ein, die Kriege und die Schuld. In der gesamten Welt wurden die friedliche Revolution und die Öffnung der Mauer als etwas ganz Außergewöhnliches wahrgenommen: Das Ende des Kalten Krieges. Aus meiner Sicht waren daran viele beteiligt. Die wichtigsten Impulse für diesen Umbruch kamen aber aus Osteuropa, besonders aus Polen. 

Gleichzeitig waren Sie als professioneller Künstler in den Achtzigern auch im Verband Bildender Künstler der DDR organisiert. Das Studium und die Aufnahme in den Verband waren Voraussetzung, um als Künstler professionell arbeiten zu können. Sie waren also einerseits wie alle zugelassenen Künstler im Verband und gleichzeitig in den oppositionellen Friedensgruppen engagiert. Können Sie mir da bitte ein bisschen Licht reinbringen? 

Ich bin über Umwege zur Kunst gekommen. An der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee hatte ich mich für Formgestaltung beworben und konnte dann in die Malerei wechseln. Die akademische Ausbildung war für mich ein wichtiger Weg, um Sehen zu lernen; wie ich ein Bild komponiere, Farben verwende und Hell-Dunkel-Kontraste einsetze. Später habe ich in meiner Stasi-Akte gelesen, dass ich während des Studiums exmatrikuliert werden sollte, da ich mich in der kirchlichen Friedensbewegung engagierte. Dass ich nicht exmatrikuliert wurde, verdanke ich meinem Professor Heinrich Tessmer, der sich für mich starkmachte. Er hielt mich für außerordentlich begabt, wie ich ebenfalls lesen konnte.

Wie ging es nach dem Studium weiter?

Nach drei Jahren Probezeit erfolgte für die meisten Absolventen der Kunsthochschulen automatisch die Aufnahme in den Künstlerverband. Das war wichtig, um freischaffend arbeiten zu können und nicht unter den "Asozialen-Paragrafen" zu fallen. Die Situation für Autodidakten dagegen war sehr kompliziert. Viele derjenigen, die nicht im Verband aufgenommen wurden, haben sich als Heizer, Totengräber oder Aktmodell verdingt, damit sie ein Papier hatten, das nachweist, dass sie Verdiener sind. 

"Ich verdiene offiziell Geld und mach dann trotzdem künstlerisch mein Ding. Schreib meine Gedichte, mache Musik oder male." Aber diese freie Kunstszene, die es in den 80ern in Ost-Berlin gab, war dann sehr auf sich bezogen, weil es ja nicht diesen Kunstmarkt wie im Westen gab?

Doch, es gab die Orte für den Austausch, privat in Wohnungen oder auch in Kommunalen Galerien. Dafür braucht es keinen Kunstmarkt. Eine sehr wichtige Adresse für die junge Kunst war die Galerie Weißer Elefant in Berlin. Mit meinen ehemaligen Mitstudenten Sabine Herrmann, Susanne Rast, Beata Pałucka und Jens Uwe Raddatz hatten wir dort im April 1989 eine legendäre Ausstellung organisiert. Zur Eröffnung spielte Torpedo Mahlsdorf. Es gab Lesungen mit Jan Faktor, Bert Papenfuß und ein Konzert von Ornament & Verbrechen. Viele Besucher empfanden unsere Ausstellung als einen Aufbruch in eine neue Kunst.

Sie selbst waren bei der zehnten nationalen Kunstausstellung der DDR auch vertreten.

Diese Kunstausstellungen in Dresden waren immer ein großes Ereignis mit vielen Besuchern. Das interessierte wirklich fast alle. Ich hatte Bilder aus meiner Diplomarbeit eingereicht, und ein ganz kleines Werk hat es nach Dresden durch den Jurydschungel geschafft. Aber wichtig war diese offizielle Kunstschau für mich nicht. In der DDR gab es vielleicht eine andere Rezeptionsgeschichte. Die Leute haben Kunst anders betrachtet. Es wurde viel hineininterpretiert und mit Tagespolitik in Zusammenhang gebracht.

Es gab drei große Schulen: In Berlin-Weißensee, in Halle und in Leipzig?

Und Dresden. Die Berliner Künstler fanden oft die Malerei aus Leipzig zu illustrativ und zu ideologisch. Rückblickend lassen sich die großen ästhetischen Gräben und Vorurteile für mich nicht mehr unbedingt nachvollziehen.

Weil die Gesellschaft damals so zerrissen war? Weil man den anderen Künstlern vorwarf: Du malst den Traktoristen, den Arbeiter und Bauern, und wir wollen mit der Kunst woanders hin und nicht den real existierenden Sozialismus illustrieren?

Diese Beschreibung würde eher auf die 50er- bis 70er-Jahre passen. Die 80er waren für meine Generation durch den Neo-Expressionismus bestimmt, der auch Ähnlichkeiten mit den Neuen Wilden in West-Berlin hatte. Diese neue Farbigkeit und Expressivität waren natürlich ein Affront gegen die ältere Generation. Aber das war ja schon immer so. Für uns war das eine Geste, die auch mit der Musik gut zusammenging. Einstürzende Neubauten oder Nick Cave and the Bad Seeds hörte ich ständig im Atelier. Daraus entstanden dann Bildtitel wie "Seele brennt" oder "Tango bis es weh tut".

Die Collage ist immer ein wichtiger Teil von Ihrem Bildaufbau?

In den 80er-Jahren begann ich, Collagen-artige Elemente in meine Bilder zu malen, ähnlich wie es Hannah Höch gelegentlich tat. Die visuelle Anregung kam aber von alten Emaille-Werbeschildern, die ich in meinem Keller fand. Als ich die gesäubert hatte, war es eine Offenbarung in grellen Farben und neue Themen. Ich malte nun Raucher-Bilder, "Burger Stumpen" oder "5 nach 4". In den 90er-Jahren experimentierte ich mit Neonlicht. Irgendwann kamen die Vinylscheiben aus der Clubszene dazu.

Die Mischung von Kunst und Musik ist sowohl in Ihrem Werk präsent als auch ein Element, das die Ost-Berliner Szene geprägt hat.

Meine erste Einzelausstellung fand 1988 in den Räumen der Theatergruppe Zinnober statt. Das war ein unabhängiges, freies Theater am Kollwitzplatz, ganz in der Nähe meines Ateliers. Diese Ausstellung lief nur eine Nacht. An dem Abend spielten die Lippok-Brüder mit Ornament und Verbrechen. Es war eine große Party. Es gibt Fotos von dem Auftritt vor meinen großformatigen Bildern, die viele Jahre später in der Ausstellung "Geniale Dilettanten" zu sehen waren.

Sie haben sich mit anderen in der Bürgerrechtsbewegung dafür engagiert, dass die Mauer fällt. Oder vielleicht auch nur für eine andere DDR? Auf jeden Fall historisch. Die Mauer war weg, die Welt stand offen, und Sie stellen auf einmal international aus. Auf der Venedig-Biennale, Sie sind nach Frankreich gegangen, nach Paris. Sie waren in New York. Überall. Erzählen Sie bitte ein bisschen aus dieser bewegten Zeit. Was hat das mit Ihnen gemacht? Und mit der Kunst, die Sie produzieren? 

Das war eine tolle Zeit. Wir hatten das Gefühl, alles ist möglich und wir werden mit offenen Armen empfangen. Gleich im Januar 1990 fand in Paris in den Halles de la Villette die große Ausstellung "L'autre Allemagne hors les murs" statt, die unter anderem Christoph Tannert mit organisiert hatte. Über 200 junge Künstler, Musiker, Dichter und Modeleute aus der DDR haben ein riesiges Happening und Event veranstaltet. Das war ein großartiger Start. Bis hin zum Empfang im Élysée-Palast. François Mitterrand ist erschienen und hat jedem von uns die Hand gedrückt. Wir hatten das Gefühl, wir werden als Künstler wichtig genommen. Das war ein Erlebnis, das nicht ganz der Realität entsprach. Aber wir haben das so empfunden. 

Sie haben gerade von der anderen Rezeption großer Ausstellungen in der DDR berichtet, wo tatsächlich ganze Betriebe mit Bussen hingefahren wurden, um diese dann zu diskutieren. Der Künstler musste sich eventuell dann dieser Rezeption auch noch anpassen. Wie war das, als sich das System schlagartig änderte? Hat das Ihre Kunst verändert, oder ist sie so intrinsisch inspiriert, dass die Außenwelt da keinen Einfluss hat? 

Wir hatten nicht das Gefühl, den Sozialismus retten zu müssen. Wir wollten jetzt leben und uns die Freiräume nehmen, unsere Kunst machen und diese zeigen. Als Beispiel möchte ich die Keramikwerkstatt Wilfriede Maaß im Prenzlauer Berg nennen, die ein wichtiger Treffpunkt für uns war. Mit Sabine Hermann und anderen Künstlern haben wir dort nicht nur Keramiken bemalt, sondern auch Ideen für Künstlerbücher entwickelt und noch vor dem Fall der Mauer eine Galerie aufgebaut. Aus diesem kollektiven Arbeiten haben wir viel gelernt. Diese Energie aus den späten 80er-Jahren war der eigentliche Treibstoff für die 90er. Das hat dann vieles möglich gemacht, wovon Berlin ja heute noch lebt.

Was haben Sie sich damals angeguckt? Welche Künstler haben Sie beeinflusst?

Ich habe mal gehört, dass manche Künstler an historischen Wendepunkten auf das vorhergehende Jahrhundert zurückgreifen. Bei mir waren das dann in den 1990er-Jahren tatsächlich Anselm Feuerbach und die Nazarener, deren Bilder ich in großen Formaten ironisch interpretiert habe — mit Kunstblumen aus Sebnitz oder farbigen Neonröhren. Solches Material lag damals auf der Straße. Das hat ja auch einen großen Pop-Appeal. 

Sie verwehren sich gegen diesen paternalistischen Blick aus dem Westen, Sie hätten sich als Künstler gar nicht richtig ausleben können, bevor die Mauer gefallen ist. Im Gegenteil: Sie haben sich Ihre eigene Welt gebaut. Aber plötzlich ist der Rezeptionsraum viel größer …

Absolut. Ich habe das als eine Möglichkeit gesehen. Das alles waren neue Erfahrungen, die ich gern in meine Malerei einfließen lassen wollte. Obwohl das Interesse an Kunst aus dem Osten schnell nachließ und sich ins Gegenteil verkehrte, hatte ich das Glück, durch die Teilnahme an der Biennale in Venedig Sammler kennenzulernen, die meine Kunst auch weiterhin unterstützten.