Ausstellung in der Fitness-App

Kunstkörper

In der Corona-Krise haben die Menschen ihre Passion für Zuhause-Sport entdeckt. Die Galerie Roehrs und Boetsch hat nun eine Ausstellung als Fitness-App veröffentlicht. Eine perfekte Gelegenheit zu fragen, was die Technik mit unserem Körper macht

Ich bin heute hochmotiviert an einem Fitnessstudio vorbeigelaufen. Meine Begleitung war leicht genervt, weil der Weg am Fitnessstudio vorbei einen Umweg von gut 200 Metern bedeutete. "Recherche. Für Kolumne", sagte ich kurz angebunden. Meine Begleitung motivierte das leider nicht. "Schau, da ist Schatten!", sagte ich. Meine Begleitung folgte mir auf die andere Straßenseite und ging zielstrebig am Fitnessstudio vorbei. Ich schaute kurz durch die Scheibe hinein. Alles wie erwartet. Menschen betätigen sich sportlich an Geräten. Kann man machen, dachte ich mir. Und war kurz froh, dass die neue "FitArt"-App nicht von mir verlangt, dass ich mich sportlich an Geräten betätige. Mit der Fitness halte ich es nämlich, wie von Hirnforschern empfohlen. Ich gehe jeden Tag ausgiebig spazieren. Studien zufolge sind, wie der Hirnforscher Shane O‘Mara gerade im Interview mit dem "Spiegel" erklärte, 7500 Schritte pro Tag empfehlenswert.

Ich bin also keine Expertin für Fitness-Apps. Da aber die Züricher Galerie Roehrs und Boetsch vor wenigen Tagen eine digitale Gruppenausstellung in einer App namens "FitArt" gelauncht hat, muss ich irgendwie mehr über das Thema in Erfahrung bringen. Ich rufe die Galeristin Nina Roehrs in Zürich an. Sie kommt gerade aus dem Garten, vom Holz hacken. Außer Puste ist sie nicht, was sicherlich daran liegt, dass sie mittlerweile Expertin für Fitness-Apps ist, denke ich mir, und frage sie, ob sie mir da ein paar empfehlen könne. Sie nennt "Muscle Booster" und "NTC", was für "Nike Training Club" steht.

Will ich regelmäßig Sport machen? Nein. Ich tippe auf Ja

Im Anschluss an unser Telefonat lade ich mir die App "Muscle Booster" runter und beantworte ziemlich viele Fragen. 13, um genau zu sein. Meine Ziele soll ich mir setzen und mich zwischen muscle gain und weight loss entscheiden. Mehr Muskeln klingt gut. Was mich motiviert, zu trainieren, will die App wissen: improving health, boosting immune system, looking better, building strength and endurance, boosting libido. Eigentlich alles gut. Ich muss kurz nachdenken. Ich tippe auf boosting immune system. Und das geht noch eine Weile so weiter. Meinen Körpertyp muss ich angeben. Skinny. Meinen gewünschten Körpertyp. Ich möchte so bleiben, das stellt sich die App aber anders vor. Ich tippe auf extra bulk. Meine Zielzonen? Arme. Mein Fitnesslevel? Beginner. Wie viele Liegestütze kann ich schaffen? Ich weiß es nicht. Pflege ich einen bewegungsarmen Lifestyle? Nein. Ich laufe beim Schreiben und Telefonieren viel hin und her. Endlich eine Frage für mich. Wie viele Stunden ich täglich gehe, will die App wissen. Mehr als zwei Stunden. Jetzt noch die hard facts. Größe, Gewicht, Zielgewicht. Ich will immer noch so bleiben. Alter. Wo trainiere ich? Zu Hause. Mein persönlicher Fitnessplan wird erstellt.

Ich werde leicht nervös. Mehr Fragen. Will ich regelmäßig Sport machen? Nein. Ich tippe auf Ja. Knieprobleme? Ja, weil ich vor Jahren von einem Auto umgefahren worden bin, das war schmerzhaft. Ich weiß seither, dass man ziemlich weit durch die Luft fliegen kann, wenn man angefahren wird. Möchte ich drinnen trainieren? Ja. Mein persönlicher Fitnessplan wird erstellt. Ich soll mich zwischen einem Monat, drei Monaten und einem Jahr entscheiden. Kosten: 21,99 Euro, 31,99 Euro und 65,99 Euro. Ich lösche die App von meinem Telefon.

Quasten schwingen mit Jeremy Bailey und Hüpfen mit Jodi

Ich bin froh, dass ich Nina Roehrs angerufen habe. Von ihr weiß ich, dass typisch für Fitness-Apps ein siebenminütiges Workout mit je 30-sekündigen Übungen ist. Daran habe man sich orientiert und 14 Künstler und Künstlerinnen eingeladen, je ein Video mit 30-sekündigen Übungen beizusteuern. Vorgaben gab es ansonsten kaum. Fitness sollte nicht zu wörtlich genommen werden. Und quadratisch müssen die Videos sein, weil das typisch für Fitness-Apps ist. Das war es auch schon, was typisch für Fitness-Apps an "FitArt" ist. Wenn man die App öffnet, muss man keine Fragen beantworten, um einen persönlichen Fitnessplan erstellt zu bekommen. Wenn man will, kann es gleich losgehen mit dem Workout. Man muss sich lediglich entscheiden, ob man einzelne Übungen auswählen oder mit dem vollen Workout-Programm beginnen möchte. Und natürlich, ob man selbst Fitness wörtlich nimmt oder doch lieber "nur" eine digitale Ausstellung anschauen möchte. Ich entscheide mich für das volle Programm. Und ich mache es mir als Ausstellungsbesucherin bequem auf der Couch.

Übung 1: Lockere Aufwärmübungen mit Petra Cortright. Übung 2: Quasten schwingen mit Jeremy Bailey. Übung 3: Hula Hoop mit Olia Lialina. Übung 4: Spucke fangen mit Damjanski. Übung 5: Speed Reading mit Sebastian Schmieg. Übung 6: Überwachungstraining mit Jillian Mayer. Übung 7: Auf den Bildschirm tappen mit Molly Soda. Übung 8: Leichte Gymnastik mit Constant Dullaart. 9: Haareschwingen mit Elisa Giardina Papa. 10: Fingertanz mit Evan Roth. Übung 11: Entspannungsübungen für Hals und Nacken mit Lauren Huret. 12: Leichte Gymnastik mit Sam Lavigne. Übung 13: Hüpfen mit Jodi. Übung 14: Meditieren mit Exonemo.


Man kann es sich denken: Eigentlich ist alles genau so gemeint, aber eigentlich ist auch alles ganz anders. "FitArt. Connected in Isolation. 14 exercises created by artists to stay fit and connected in times of isolation", steht in der Beschreibung zum Workout-Programm in der App. "In der Coronakrise hat sich das Konsumverhalten der Deutschen verändert", meldete die "FAZ" Ende Mai. Ebay hatte während des Lockdowns Suchanfragen ausgewertet, die mit Zahlen aus dem Vorjahr verglichen wurden. Besonders beliebt: Heimwerker- und Fitnessprodukte. "Hanteln kamen auf plus 605 Prozent, die Kategorie Krafttraining und Gewichte auf plus 496 Prozent und Yoga und Pilates auf plus 216 Prozent", fasst die "FAZ" die Ergebnisse der Studie von Ebay zusammen. Ich derweil habe mir lediglich ein Fitnessstudio im Keller meines Hauses auf meiner Insel in Animal Crossing eingerichtet.

Kein Thema scheint angesichts der globalen Krise besser geeignet zu sein, um sich mit sich seit Jahren aufdrängenden Fragen zu beschäftigen. Und das ohne erhobenen Zeigefinger. Was macht Technologie mit uns? Mit unserem Körper? Wie nutzen wir Technologie? Und was steckt hinter den Technologien, die wir so gern und oft unüberlegt im Alltag nutzen? Galeristin Nina Roehrs und Künstler Damjanski haben Künstler und Künstlerinnen eingeladen, die zum Teil seit den 1990er-Jahren im Internet zu Hause sind wie Olia Lialina und Jodi. Die Netzkünstler und Netzkünstlerinnen der ersten Stunde bringen sie zusammen mit den folgenden Generationen. Sebastian Schmieg beispielsweise hat bei Lialina in Stuttgart studiert, Molly Soda wurde durch Tumblr und Instagram als Netzfeministin bekannt und Jeremy Bailey nennt sich selbst "Famous New Media Artist“.


Die Künstler und Künstlerinnen verbindet ihre kritische Sichtweise auf Phänomene der Netzkultur. Früher personalisierte man mit Gifs Websiten, heute sind Gifs in der Kommunikation in Messengern und sozialen Medien allgegenwärtig. Die Netzkünstlerin und Netzarchivarin Olia Lialina ist auch als Gif-Model bekannt, weil sie Bilder von sich selbst gemacht hatte, die andere als Designelement in ihre Websites einbinden konnten. Den Grund dafür nannte sie kürzlich im Interview mit "Artforum": "Es war einfach eine Frage der Bequemlichkeit: Ich wusste, wie ich mich am besten bewegen musste, um das Gif am einfachsten loopen zu können. Aber es gibt keinen anderen Grund, warum ich im Bild bin. Bilder von mir selbst im Internet zu verbreiten drehte sich nicht um meine spezifische Identität. Die Gifs waren nicht Teil eines Kunstprojektes; sie waren nicht für Ausstellungen. Ich habe mich einfach wenn möglich in Sammlungen von kostenlosen animierten Gifs eingefügt, die Designer und Web User benutzen konnten. Ich wollte außerdem eine Gegenbewegung zu der Art schaffen, wie Online-Bilder sich zu der Zeit zu verbreiten begannen, als sich die Kultur in Richtung von aufmerksamkeitsheischenden Memes und weg von Bildern als integriertes Design-Element auf Websites bewegte." Ihr Hula-Hoop-Gif, das bei "FitArt" vorkommt, stammt aus dem Jahr 2005 und erinnert heute daran, dass Gifs einst eine andere Funktion hatten.

In den sozialen Medien wird nicht nur das Ich optimiert, sondern auch die Kunst, damit sie maximal schnell rezipiert werden kann. Sebastian Schmieg bietet Hilfestellung bei der Selbstoptimierung mit der Übung "Speed Reading" und hält den digitalen Besucher gleichzeitig nicht lange auf mit der Rezeption der eigenen Arbeit. Ein Text rast über den Screen, man muss versuchen, mit den Augen zu folgen und gleichzeitig zu lesen. Wer kann mithalten? Ich habe ganz offenbar noch einige Trainingseinheiten vor mir.

Wieder eigene Räume für die Kunst schaffen

Die Übung "Present Memories" von Damjanski ist etwas unangenehm. So unangenehm wie die eigene Präsenz in den sozialen Medien, weil man nur in der eigenen Suppe schwimmt. Dieses Bild vermittelt der Künstler, wenn er mit dem Mund immer wieder die eigene Spucke auffängt.

Und diese Übung erklärt vielleicht auch, warum die Ausstellung in einer App und nicht einfach auf Instagram gezeigt wird. Man hätte es sich ja auch einfach machen können, den Instagram-Account @fitart anlegen, die Videos nacheinander posten (Format und Länge würden bestens auf Instagram passen) und den Account mit vereinten Kräften pushen. Die Zahlen wären ganz sicherlich andere. Aber besonders jetzt kann man nichts Besseres machen, als sich im Netz wieder eigene Räume für die Kunst zu schaffen. Endlich haben nämlich auch Unternehmen den Schuss gehört und setzen Mark Zuckerberg mit massiven Werbeboykotts unter Druck. Jetzt muss man sich nur fragen, ob es da nicht konsequent wäre, in den sozialen Medien nicht auf die App aufmerksam zu machen. Den Widerspruch wird man aushalten müssen, wenn man nicht ganz auf die digitalen Besucher und Besucherinnen verzichten möchte. Die App "FitArt" derweil funktioniert wie ein digitaler Raum für Kunst, eine Fortsetzung der Ausstellung ist bereits in Planung.