PS1, New York

Komm schon, Alter!

„Auf keinen Fall mit einem Fremden mitgehen.“ Diese grundlegende Überlebensregel scheint Laurel Nakadate als Kind niemand erklärt zu haben. Jedenfalls hat sich die 1975 in Texas geborene und in Iowa aufgewachsene Fotografin und Videokünstlerin zu Collegezeiten von alleinstehenden älteren Männern auf der Straße ansprechen lassen. Sie folgte ihnen in die Wohnungen, bewaffnet mit nichts als ihrer Unverfrorenheit und einer Videokamera.

Was sie dort mit ihnen anstellte, ist auf Nakadates ersten Videos dokumentiert. Einen Clip von Britney Spears nachtanzen zum Beispiel. Einen Kindergeburtstag feiern. Oder ein Duell des Voyeurismus inszenieren: Der Mann malt die Künstlerin in Unterwäsche, sie filmt ihn dabei. „Ich finde es extrem produktiv, mich in eine Situation zu versetzen, in der es wirklich ungemütlich wird – viele Dinge entstehen aus diesem seltsamen Gefühl“, kommentiert Laurel Nakadate ihre Strategie. Am Ende handeln ihre Werke aber weniger von Lolita-Sex oder Vergewaltigungsfantasien als vielmehr von Einsamkeit; vom rührenden Versuch jener Menschen, in deren Leben kein anderer mehr vorgesehen war, doch noch einen Moment zu teilen.

Auch wenn ihre künstlerischen Jagdgründe noch immer häufig in den Provinzstädten des Mittleren Westens liegen, lebt Nakadate seit einiger Zeit in New York, wo ihr das P.S.1 nun die erste große Retrospektive ausrichtet. Neben den frühen Videos werden auch zwei längere Spielfilme zu sehen sein, die in den vergangenen beiden Jahren entstanden, außerdem die Serie „Good Morning Sunshine“, für die sie junge Frauen bat, sich direkt nach dem Aufwachen fotografieren zu lassen. Sie selbst posierte als Pin-up, auf den Bildern hinterließen Männer dann ihre Fingerabdrücke. Für eine weitere Arbeit porträtierte sie sich täglich weinend.

Wer sich jetzt ernsthaft Sorgen um eine Borderlinerin macht, wird von Laurel Nakadate aufgeklärt: Ihr Werk sei höchstens zu zehn Prozent autobiografisch und der Rest Fiktion. Sie spielt eine Rolle, so wie die Schauspieler, die sie für ihre Filme castet. Nur die Einsamkeit der alleinstehenden älteren Männer, die ist echt.

PS1, New York, 23. Januar bis 8. August