Künstler über Lage in Afghanistan

"Es gibt keine Kunst mehr"

Der afghanische Künstler Yama Rahimi hat Performances in Kabul inszeniert und lebt seit 2015 in Deutschland. Nach der Machtübernahme der Taliban hört er von den Künstlern aus seiner alten Heimat nur noch eins: Wir wollen raus!
 

Yama Rahimi, wie schätzen Sie die Lage in Afghanistan nach der Machtübernahme der Taliban aktuell ein? Haben Sie noch Kontakt zu Künstlerinnen und Künstlern vor Ort?

Kunst existiert nicht mehr. Von gestern Abend bis jetzt habe ich allein 20 Künstlerinnen und Künstler angeschrieben. Alle versuchen, verschiedene Wege zu finden, einfach raus aus Afghanistan. Mehr als die Hälfte hat mir gesagt: Wir haben bis jetzt keinerlei Hilfe erhalten. Wir haben mehrere Anträge an verschiedene Organisationen gestellt. Wir möchten einfach raus. Kunst wird sowieso nicht akzeptiert von den Taliban. Malen ist im Islam verboten. Wenn man wissen möchte, was die Taliban von Kunst und Kultur halten, muss man sich nur ihre Taten anschauen.

Welche meinen Sie?

Sie haben Weltkulturerbe mit Bomben explodieren lassen. Sie kennen einfach keine Kultur, keine Kunst, sie verstehen sie auch nicht. Sie haben nur den Koran gelesen – meiner Meinung nach falsch-, und deshalb auch keinen Begriff von Kunst. Wobei, früher war es ja auch das Christentum, das viel Kunst beauftragt hat, nicht wahr? Vielleicht sagen die Taliban sich jetzt auch irgendwann: "Wir brauchen Künstler, aber sie müssen etwas für unsere Religion machen." Gestern Abend hat einer von ihnen im nationalen Fernsehen gesagt, die Taliban damals und dieses Mal seien grundlegend die gleiche Person, aber die heutigen Taliban hätten etwas mehr Erfahrung. Ich finde, sie haben wirklich etwas gelernt – sie können heute besser die Menschen, die Welt verarschen. Die Welt wird wieder helfen, Gelder geben, ohne Konzept. Wer genau hinhört, weiß, dass es keine Veränderung gibt. Sie sagen: "Frauen sind unsere Schwestern, unsere Mütter…" Und jetzt kommt das aber: "Aber die Frau muss dies und das anziehen, mit einem Mann draußen sein, darf nur in separierten Frauenschulen studieren …". Und das ist doch nicht akzeptabel.

Die Lage der Frauen im Land war früh schon Thema in Ihrer Kunst.

Ich habe persönlich viel Grausamkeit gesehen in meiner Gesellschaft, auch in meiner eigenen Familie. Und das umfasst auch schon die Zeit vor den Taliban. Danach ist es nochmal eine ganz andere Geschichte. Ich sage nicht, dass ich Geschichten über Frauen erzähle – ich will auf Probleme aufmerksam machen, aus meiner Perspektive. Ich habe viel Schlimmes gesehen, musste mich erst einmal leer machen von dieser Trauer, bis ich dazu kommen kann, schöne Kunst zu machen.

Wobei Sie auch heute noch soziale und politische Themen verhandeln.

Heute ist mein Thema Migration. Die Menschen, die seit acht Jahren auf Asyl warten. Für die sich Deutschland und andere Länder nicht interessieren. Heute mache ich Kunst über sie. Ein anderes Problem ist, dass sie nicht mehr zurückdürfen, sobald sie einen Asylbewerber-Status haben. Das trifft übrigens auch auf mich zu. Wer weiß, vielleicht mache ich das alles für mich selbst. Ich bin ja kein Aktivist, sondern Künstler. Wenn ich das nicht mache, nicht auf Probleme reagiere mit meiner Kunst, vielleicht könnte ich dann selbst auch nicht mehr friedlich leben.

Im Jahr 2015 standen Sie auf einem öffentlichen Platz in Kabul und hielten eine Collage in der Hand, auf der unter anderem eine blutüberströmte Frau zu sehen war. "Farkhunda" haben Sie diese Performance genannt. Was hatte es damit auf sich?

Die Arbeit bezog sich auf Farkhunda Malikzada, die im März 2015 von einem Lynchmob auf offener Straße umgebracht wurde. Ein Mullah hatte sie beschuldigt, den Koran verbrannt zu haben. Hunderte Männer und eine Frau waren dabei, sie haben sie zusammengeschlagen, ermordet und verbrannt. Ich habe einfach einen Spiegel genommen und Fotos von ihr darauf collagiert. Passanten sind nähergekommen, haben sich vor mich gestellt um zu schauen, was dort zu sehen ist. Was sie sehen konnten, war Farkhunda – und sich selbst. Das war für mich ein Identitätsaustausch. Wir, als Gesellschaft, spezifisch wir Männer, haben uns in diesem Moment selbst erkannt.

Es gibt Fotos von der Aktion, auf denen Passanten zu Ihnen herüberschauen. Welche Reaktionen haben Sie erlebt?

Alle erdenklichen. Ein Junge ist zu mir gekommen und hat gefragt: "War sie deine Schwester? Warum machst du das?" Viele konnten mit dieser Art von Kunst gar nichts anfangen. Auf der Straße haben Menschen so etwas nicht verstanden. Aber das ist auch ein interessanter Punkt. Als wir angefangen haben, so um 2011, 2012, da haben sogar die Universitätsprofessoren gesagt: Die sind verrückt! Die malen nicht einfach, die packen nicht einfach die Farben irgendwohin – und das ist auch nicht einfach Film, das hat keinen Anfang, keine Mitte und kein Ende, wie soll das funktionieren? Aber bald machten dieselben Leute, die uns damals verrückt genannt haben, genau diese Art von Kunst. Was andererseits auch eine gute Entwicklung ist.

Mit "wir" meinen Sie auch das Zentrum für zeitgenössische Kunst, in dem Sie aktiv waren?

Genau. Das Center for Contemporary Arts Afghanistan, kurz CCAA, war anfangs nur Frauen vorbehalten, viele Künstlerinnen haben dort gearbeitet. Es war das einzige Zentrum für zeitgenössische Kunst in Afghanistan – faktisch existiert es heute nicht mehr. Das CCAA hat viel erreicht, war auf der Documenta 13 zu Gast, hatte viele Ausstellungen auf der ganzen Welt, in Europa, in Amerika … Leider gibt es auch einen traurigen Grund, dass dieses Zentrum dann nicht mehr aktiv war. 2008 haben 33 Künstlerinnen und Künstler in Bonn und Leipzig ihre Arbeiten ausgestellt, alle Kunstwerke sind dann verschwunden. Nach und nach wuchs das Misstrauen. Anwälte konnten keine Aufklärung bringen, sogar deutsche Politiker hatten sich damals eingesetzt. Irgendwann glaubten Künstler, dass das Zentrum ihre Werke vielleicht verkauft hat. Es ist eine komplizierte und auch ein bisschen traurige Geschichte. Aber für meine künstlerische Entwicklung war das Umfeld in jedem Fall prägend.

Wie sind Sie selbst zum CCAA gekommen?

2010 war ich Student im Filmbereich, im cinema department, und war neugierig, wollte etwas Neues erleben. Über einen Workshop habe ich Rahraw Omerzad, den Mitbegründer des CCAA, kennengelernt. Von dem Tag an war ich regelmäßig da, habe mehr über zeitgenössische Kunst gelernt, viel dort gearbeitet, vor allem mit Künstlerinnen. Dann war ich 2015 Assistent des Direktors… und Ende des Jahres leider weg aus Kabul.

Heute arbeiten Sie als Künstler in Deutschland, machen gerade Ihren Abschluss an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach. Als Grund für Ihre Flucht haben Sie auch Ihre künstlerische Arbeit angegeben. Warum?

Wie man sieht, mache ich schon politische Kunst. Meine Arbeiten sind ein bisschen gefährlich. Jedenfalls in Afghanistan. Es gibt diese Performance, "Identity", die ich 2015 am Dehmazong Square in Kabul aufgeführt habe. Dieser Ort ist ein sehr spezieller. Ein breiter Platz, der in verschiedene Richtungen führt – zum Parlament, zur Universität, zum Zoo.  In der Performance gibt es drei Gruppen von Leuten, die auf ihre Weise Kritik symbolisieren, an der herrschenden Politik, an den Unterstützern, an der Geschichtsschreibung, beispielsweise zur sowjetischen Besatzung. Es ist eine Arbeit, die in alle Richtungen austeilt.