Otto Piene wird 85

Kunst für den Augenblick

Düsseldorf (dpa) - Otto Piene fackelt Bilder ab und lässt Feuerblumen entstehen. Er malt Raster mit Rauch, choreographiert «Lichtballette» und schießt fantastische Helium-gefüllte Skulpturen in den Himmel. Pienes Kunst gehört eigentlich gar nicht ins Museum, denn sie kennt keine Grenzen. Der Mitbegründer der Avantgardegruppe Zero, die Ende der 50er Jahre für einen neuen internationalen Aufbruch der Kunst im Nachkriegsdeutschland stand, wird am 18. April 85 Jahre alt.

   Irgendwie ist Piene immer noch eine Art Geheimtipp, jedenfalls ist seine Kunst weniger bekannt als die seiner früheren Zero-Gefährten Günther Uecker oder Heinz Mack. Während man Uecker mit Nägeln verbindet, Mack mit Lichtstelen, so muss man bei Piene erst einmal überlegen. Kein Wunder, denn die Kunst Pienes verflüchtigt sich schnell, ist für den Augenblick gemacht.

   Der milde blickende Herr mit dem grau-weißen Rauschebart ist nicht nur ein Künstler, der mit dem Feuer spielt, sondern auch ein Philosoph. Geboren wurde er in Bad Laasphe, aufgewachsen ist er in der ostwestfälischen Kleinstadt Lübbecke, geprägt hat ihn die Dunkelheit des Zweiten Weltkriegs, den er als jugendlicher Flakhelfer erlebte. Piene studierte Kunst und Philosophie. Bis 1964 war er Dozent an der Modeschule Düsseldorf, dann zog es ihn nach Amerika. «Der amerikanische Traum war wie Magie», sagte er in einem Interview.

   An der weltweit führenden Hochschule für technologische Forschung und Lehre, dem Massachusetts Institute of Technology (M.I.T.) in Boston, übernahm Piene 1974 das Center for Advanced Visual Studies (CAVS). 20 Jahre leitete er das Medienlabor für künstlerisch-optische Experimente. Seine Verbindung von Kunst, Natur, Wissenschaft und Technik ist bis heute richtungsweisend. Junge Künstler wie der Däne Olafur Eliasson stehen mit ihren Grenzgängen zwischen Kunst und physikalischen Experimenten in der Tradition Pienes.

   «Piene hat immer versucht, Grenzen aufzulösen - sowohl in der Kunst als auch geografisch», sagte Tijs Visser, Leiter der von den Zero-Gründern ins Leben gerufenen Zero Foundation in Düsseldorf. Piene war beteiligt an der Entwicklung neuer Kunstformen wie Medienkunst und Performances. Feuer, Luft und Licht sind seine künstlerischen Elemente. Piene malt nicht das Licht, er lässt es malen. So entstanden «Lichträume», «Lichtgeister» und «Lichtballette» aus sich bewegenden Raumprojektionen.

   Bunte Feuergouachen und Feuerblumen entstanden, indem er mit brennbarer Farbe auf die Leinwand malte und sie anzündete. Durch perforierten Karton brannte Piene Rauchspuren auf die Leinwand - seine so entstandenen Rasterbilder hängen heute in den großen Museen der Welt. Auch den Reiz der Keramik, die in «der Hölle des Feuers» ihre Glasur verändere, hat Piene seit einigen Jahren wiederentdeckt,

   Am bedeutendsten aber ist wohl die «Sky Art», Pienes Himmelskunst. Berühmt ist der riesige Plastikregenbogen, den er bei den Olympischen Spielen in München 1972 in den Himmel steigen ließ. «Inflatables», aufblasbare Skulpturen, nannte er seine Luftprojekte. Es dauert Stunden, um die Helium-gefüllten Werke in die Luft zu schießen. Blumen blasen sich auf und fallen wieder in sich zusammen. «Das Event ist das Werk», sagt Visser. Aber auch dauerhaft sichtbare Lichtspuren hat Piene hinterlassen, so schuf er etwa die riesige rot leuchtende Grubenlampe auf der Zeche Moers.

   Piene ist sozusagen der Energieproduzent unter den Künstlern. «Es geht mir um die Übertragung von Energie», sagt er. In einer Zeit, in der alles kaputt war, habe er etwas schaffen wollen, «was als Ausdruck der Seele oder der geistigen Verständigung unter Menschen taugt», sagte er einmal in einem Interview. Kunst außerhalb der Museen war Piene immer wichtiger als die Enge von Galerien.

   Sein Kunstschaffen ist gefragt wie nie. 2014 ist ein Projekt in der Neuen Nationalgalerie in Berlin geplant. Die Zero Foundation bereitet derzeit Ausstellungen zur Zero-Kunst in den großen Museen in New York, Berlin und Amsterdam vor. Seit vielen Jahren lebt der mit renommierten Kunstpreisen geehrte Piene mit seiner Frau Elizabeth Goldring-Piene auf einer Farm in Groton bei Boston, mit sieben Hunden und Katzen. Natürlich hat er dort auch ein Feueratelier.