Vier Fragen an Robert Pfaller

"Kunst ist zur Sachbearbeiterin degeneriert"

Herr Pfaller, Sie erinnern in Ihren Büchern gern an die Bilder unserer Großeltern, auf denen man sie rauchend und feiernd sieht: der Exzess als Unterbrechung des Alltags. Stimmt das nicht genauso für die neuen Kreativ-Eliten, die zu Hause Bio kochen und Saft trinken und sich nur in der Szenebar die Kante geben? Und: Was ist eigentlich falsch daran?
Es ist klar, dass man die ungesunden Dinge nicht ständig tun kann. Aber es tut den Menschen sehr gut, wenigstens zeitweise so zu tun, als ob sie ihnen nichts anhaben könnten. Dann folgt man momentweise einem Ideal von Grandezza, während man in den übrigen Zeiten eben, abgeschieden von anderen, auf ein menschliches Maß zusammensinkt. Sich in diesen Phasen aber wieder selbst zu optimieren heißt, einem zweiten, entgegengesetzten Ideal zu folgen. Das riecht darum, wenigstens für meine Nase, nach einer ziemlich fiesen Doppelmoral, bei der überdies die servile, nützliche Seite die Oberhand hat.

Sie bezeichnen das, was der Mittelstand heute praktiziert, als „exzessive Vernunft“. Eröffnet die denn wenigstens der Kunst einen neuen Spielraum, als Ort ausgelagerter Ausschweifungen?
Leider ist die Kunst nicht nur die Ärztin der Gesellschaft, sondern auch ihre exemplarische Patientin. Und so hat auch sie in den letzten Jahren oft gerne auf „vernünftig“ gemacht und sich mit ernster Miene in traurige und anstrengende Themen vertieft, anstatt sich lustvolle, wilde Verrücktheiten zu gönnen. Sie konzentriert sich auf Inhalte und beschränkt dadurch ihre Überzeugungskraft auf die Gleichgesinnten, anstatt auf die Affekte Andersdenkender mit der verführerischen Sprache der Form einzuwirken. In politischer Hinsicht ist sie dadurch eher zu einer subalternen Sachbearbeiterin degeneriert, anstatt eine Führungskraft darzustellen.

In Leipzig läuft zurzeit die Ausstellung „The Politics and Pleasures of Food“, auf der Sie einen Vortrag gehalten haben. Helfen uns Künstler nicht auf neue Weise zu genießen – etwa wenn sie kochen?
Die Futuristen, Dieter Roth, Hermann Nitsch, Daniel Spoerri, Marco Ferreri oder Janine Antoni zum Beispiel haben in Bezug auf das Essen gerne das Moment des Ungenießbaren oder Ekligen, Ambivalenten, Grandiosen oder Ekstatischen hervorgehoben. In der Postmoderne hingegen verabscheuen wir alles Grandiose und sind froh, wenn uns der Künstler, anstatt uns mit einem Werk von überzeitlichem Anspruch zu konfrontieren, lieber nur eine partizipative Suppe kocht. Oder wir laden gleich irgendwelche innovativen Köche als Künstler zu Ausstellungen ein. Ich glaube, hier wird die Kunst sozusagen heruntergekocht auf einige sehr bequeme und konformistische, letztlich biedere Ansprüche.

Was wünschen Sie sich von den Künstlern?
Eine Kunst, die für nichts anderes gut ist als für sich selbst, hat immerhin die politisch wichtige Funktion, die Leute daran zu erinnern, dass auch sie nicht immer zu irgendetwas nützlich sein müssen.

„The Politics and Pleasures of Food“, Halle 14, Leipzig, bis 17. November