Ob der Mappentermin bei der Bewerbung an der Kunsthochschule, die Besprechungen später in der Akademie, die Ausstellungskritiken, die Präsentationen vor Kuratoren, Sammlern oder Journalisten: Künstler kennen Castings, denn wer etwas in die Welt stellt, muss es bewerten lassen, und wer sich dem Fremdurteil aussetzt, kommt vielleicht weiter.
Kein Wunder also, dass sich nicht nur Tanz-, Koch-, Sanges- oder Schauspielkunst ins unterhaltsame TV-Format Castingshow pressen lassen, sondern auch die bildende Kunst. Die BBC schickte Kandidaten auf die „School of Saatchi“, der amerikanische Sender Bravo zelebrierte den Künstlerwettstreit in der Reality-TV-Serie „Work of Art: The Next Great Artist” - und nun hat auch Deutschland eine erste Casting-Show für junge Künstler: In „Alles für die Kunst“ stellt sich eine „Arte-Masterclass“ sechs Folgen lang den Aufgaben und Urteilen einen Jury, am Ende gibt es einen Gewinner.
„Alles für die Kunst“ folgt den Genre-Standards, doch da Handwerk, Meisterschaft und Talent, Leistung und Verweigerung in der Gegenwartskunst umgewertet werden können, ja, sollen, ist anders als bei der Model- oder Sängerauswahl der Widerspruch der Kandidaten willkommen, zählen weichere Kriterien und härtere Auseinandersetzung. Auch die Jury muss sich evaluieren lassen und die Grundlagen ihrer Urteile offenlegen, da sie weniger offensichtliche Könnerschaft und Anstrengung beurteilen kann, sondern all die Hintertürchen und Schlingen der zeitgenösssichen Kunst mitdenken muss. Die Juroren werden bei "Alles für die Kunst" entlastet durch weitere Experten (etwa Monopol-Chefredakteur Holger Liebs), die in kurzen Einspielern Gedanken zur Bewertung von Kunst beisteuern, und durch die Künstler Norbert Bisky, Dieter Meier und Birgit Brenner, die als Mentoren die Kandidaten betreuen.
2000 Bewerber, ein Gewinner
2000 Bewerber haben in Deutschland, Frankreich und Belgien im Frühjahr ihre Bewerbungen eingereicht, 64 kamen weiter und am Ende waren sieben Künstler übrig. Von diesem Auswahlprozess erzählt die erste Folge, die am Sonntag ausgestrahlt wird. Wir lernen die Jurymitglieder kennen: die Sammler Christiane zu Salm und Peter Raue in Berlin, Sydney Picasso, Caroline Smulders und José Manuel Goncalesi in Paris.
In der zweiten Folge müssen die sechs Kandidaten dann ihre erste "Challenge" bestehen, wie Heidi Klum das nennen würde: die Fertigung eines Selbstporträts aus gegebenen Materialien. Schon hier zeigen sich die ersten Probleme, da dieses Sujet einige Kandidaten schlicht nicht interessiert. Lauter wird der Widerspruch in der dritten Folge, wenn es um das akademische Aktzeichnen geht. Teilnehmer scheiden freiwillig aus dem Wettbewerb, aber das nehmen die Macher der Sendung in Kauf, solange im Finale sich überhaupt noch jemand der Beurteilung stellt.
"Demnächst schneiden wir uns noch ein Ohr ab"
Dieses dialektische Verhältnis von Massenmedien und Individuum drückt ein von Heidi Klum in der Castingshow „Germany’s Next Topmodel“ häufig wiederholter Satz aus: „Wir haben heute leider kein Bild für dich“, sagt die Juryvorsitzende zu Kandidatinnen, die ausscheiden. Bedeutet: „Du hast beim Fotoshooting oder bei anderen Aufgaben versagt, deshalb kommst du nicht weiter und erhältst auch kein Foto von dir für deine Mappe, sorry!" Meint aber auch: „Wir produzieren keine Bilder und kein Image mehr von dir, wir verwandeln dich nicht mehr in TV-Content.“
Beim Künstlercasting aber sind auch die Künstler aufgefordert, Bilder herzustellen, die im besten Fall Gegenbilder zu den Medienbildern sind - das macht dieses Format so reizvoll. Bei dieser Reibung entsteht nämlich ziemlich guter Abfall, wie man bei "Alles für die Kunst" beobachten kann: seltsame Kunstwerke oder auch Sätze wie "Die Anwesenheit des Kunstwerks bedingt die Abwesenheit des Künstlers" oder "Die lassen hier kein Klischee aus - demnächst schneiden wir uns noch ein Ohr ab".
Doch gerade die Konfrontation mit Stereotypen bringt vieles auf den Tisch: Fragen zur Marktförmigkeit von Kunst, zu ihrem politischen Anspruch, zu dem Verhältnis von Künstlern und Publikum. "Alles für die Kunst" wird vor allem sehenswert wegen der ehrenswert scheiternden Kandidaten.
Arte, "Alles für die Kunst! - Die Fernseh-Masterclass", Folge 1 "Die Auswahl" , Sonntag, 11. November, 14.50 Uhr
Weitere Sendetermine:
Folge 2 „Das Selbstporträt“ am 18.11.2012 um 15.35h
Folge 3 „Alte Meister – Junge Wilde“ am 25.11.2012 um 14.55h
Folge 4 „Die Performance“ am 02.12.2012 um 15.45h
Folge 5 „Schock und Provokation“ am 09.12.2012 um 14.55h
Folge 6 „Das Finale“ am 16.12.2012 um 15.30h
Kein Wunder also, dass sich nicht nur Tanz-, Koch-, Sanges- oder Schauspielkunst ins unterhaltsame TV-Format Castingshow pressen lassen, sondern auch die bildende Kunst. Die BBC schickte Kandidaten auf die „School of Saatchi“, der amerikanische Sender Bravo zelebrierte den Künstlerwettstreit in der Reality-TV-Serie „Work of Art: The Next Great Artist” - und nun hat auch Deutschland eine erste Casting-Show für junge Künstler: In „Alles für die Kunst“ stellt sich eine „Arte-Masterclass“ sechs Folgen lang den Aufgaben und Urteilen einen Jury, am Ende gibt es einen Gewinner.
„Alles für die Kunst“ folgt den Genre-Standards, doch da Handwerk, Meisterschaft und Talent, Leistung und Verweigerung in der Gegenwartskunst umgewertet werden können, ja, sollen, ist anders als bei der Model- oder Sängerauswahl der Widerspruch der Kandidaten willkommen, zählen weichere Kriterien und härtere Auseinandersetzung. Auch die Jury muss sich evaluieren lassen und die Grundlagen ihrer Urteile offenlegen, da sie weniger offensichtliche Könnerschaft und Anstrengung beurteilen kann, sondern all die Hintertürchen und Schlingen der zeitgenösssichen Kunst mitdenken muss. Die Juroren werden bei "Alles für die Kunst" entlastet durch weitere Experten (etwa Monopol-Chefredakteur Holger Liebs), die in kurzen Einspielern Gedanken zur Bewertung von Kunst beisteuern, und durch die Künstler Norbert Bisky, Dieter Meier und Birgit Brenner, die als Mentoren die Kandidaten betreuen.
2000 Bewerber, ein Gewinner
2000 Bewerber haben in Deutschland, Frankreich und Belgien im Frühjahr ihre Bewerbungen eingereicht, 64 kamen weiter und am Ende waren sieben Künstler übrig. Von diesem Auswahlprozess erzählt die erste Folge, die am Sonntag ausgestrahlt wird. Wir lernen die Jurymitglieder kennen: die Sammler Christiane zu Salm und Peter Raue in Berlin, Sydney Picasso, Caroline Smulders und José Manuel Goncalesi in Paris.
In der zweiten Folge müssen die sechs Kandidaten dann ihre erste "Challenge" bestehen, wie Heidi Klum das nennen würde: die Fertigung eines Selbstporträts aus gegebenen Materialien. Schon hier zeigen sich die ersten Probleme, da dieses Sujet einige Kandidaten schlicht nicht interessiert. Lauter wird der Widerspruch in der dritten Folge, wenn es um das akademische Aktzeichnen geht. Teilnehmer scheiden freiwillig aus dem Wettbewerb, aber das nehmen die Macher der Sendung in Kauf, solange im Finale sich überhaupt noch jemand der Beurteilung stellt.
"Demnächst schneiden wir uns noch ein Ohr ab"
Dieses dialektische Verhältnis von Massenmedien und Individuum drückt ein von Heidi Klum in der Castingshow „Germany’s Next Topmodel“ häufig wiederholter Satz aus: „Wir haben heute leider kein Bild für dich“, sagt die Juryvorsitzende zu Kandidatinnen, die ausscheiden. Bedeutet: „Du hast beim Fotoshooting oder bei anderen Aufgaben versagt, deshalb kommst du nicht weiter und erhältst auch kein Foto von dir für deine Mappe, sorry!" Meint aber auch: „Wir produzieren keine Bilder und kein Image mehr von dir, wir verwandeln dich nicht mehr in TV-Content.“
Beim Künstlercasting aber sind auch die Künstler aufgefordert, Bilder herzustellen, die im besten Fall Gegenbilder zu den Medienbildern sind - das macht dieses Format so reizvoll. Bei dieser Reibung entsteht nämlich ziemlich guter Abfall, wie man bei "Alles für die Kunst" beobachten kann: seltsame Kunstwerke oder auch Sätze wie "Die Anwesenheit des Kunstwerks bedingt die Abwesenheit des Künstlers" oder "Die lassen hier kein Klischee aus - demnächst schneiden wir uns noch ein Ohr ab".
Doch gerade die Konfrontation mit Stereotypen bringt vieles auf den Tisch: Fragen zur Marktförmigkeit von Kunst, zu ihrem politischen Anspruch, zu dem Verhältnis von Künstlern und Publikum. "Alles für die Kunst" wird vor allem sehenswert wegen der ehrenswert scheiternden Kandidaten.
Arte, "Alles für die Kunst! - Die Fernseh-Masterclass", Folge 1 "Die Auswahl" , Sonntag, 11. November, 14.50 Uhr
Weitere Sendetermine:
Folge 2 „Das Selbstporträt“ am 18.11.2012 um 15.35h
Folge 3 „Alte Meister – Junge Wilde“ am 25.11.2012 um 14.55h
Folge 4 „Die Performance“ am 02.12.2012 um 15.45h
Folge 5 „Schock und Provokation“ am 09.12.2012 um 14.55h
Folge 6 „Das Finale“ am 16.12.2012 um 15.30h