Video-Game

"Animal Crossing" ist das neue Lieblingsspiel der Kunstwelt

Das Computerspiel "Animal Crossing: New Horizons" gehört zu den größten Hypes der Corona-Zeit. Die Kunstwelt ist auf den Trend zügig aufgesprungen und inszeniert in den virtuellen Fabelwelten Ausstellungen und Performances

Aktuell warte ich darauf, dass endlich das Museum öffnet. Die Bauarbeiten haben gestern begonnen, bald schon soll alles fertig sein. Derweil renne ich über meine Insel und arbeite Tag und Nacht wie wild. Ich angle, hacke Holz, sammle Muscheln und Fossilien, jäte Unkraut, pflanze Blumen und Bäume, ich gieße und räume auf, zwischendurch plaudere ich mit den Inselmitbewohnern Sylvia und Mausebert.

Aus einem Zelt bin ich in ein kleines Eigenheim gezogen, und da der Kredit schnell abbezahlt war, habe ich direkt einen neuen Kredit für ein größeres Eigenheim aufgenommen. Jetzt muss ich zwar noch mehr angeln, sammeln, pflanzen, gießen und aufräumen, aber da sicher bald die ersten Gäste auf die Insel kommen, um mich zu besuchen, sollte sich die Mühe lohnen. Es ist übrigens so stressig, wie es klingt. Der Unternehmer Tom Nook und seine Neffen Schlepp und Nepp halten mich auf Trab und wollen immer mehr von allem: Holz, Fische, Fossilien, Insekten, Muscheln, Bäume, Blumen, es ist ein Elend. Und wenn ich mir nicht vorgenommen hätte, diesen Text zu schreiben, ich hätte schon an Tag 2 aufgegeben, als Eugen mir aufgetragen hatte, 15 verschiedene Fische, Insekten und Fossilien zu sammeln, damit es mit dem Museumsbau losgehen kann.

Heute ist übrigens mein dritter Tag auf der Insel, der vierte Tag bricht gerade an. Ich bin hart genervt von "Animal Crossing: New Horizons". Mein AC-Advisor, der Künstler Rusko Star, sagt, ich solle mich entspannen. Aber wie soll das gehen, wenn die Eröffnung des Museums so kurz bevorsteht, Kredite abbezahlt werden müssen und ich mein Eigenheim in eine Galerie verwandeln möchte? Was ich dort zeigen werde? Ich weiß es noch nicht, vielleicht findet sich beim Angeln bald einmal eine ruhige Minute zum Nachdenken.

"Animal Crossing" ist der neue heiße Scheiß aus dem Hause Nintendo. Der Release des Games ist mit dem Beginn der Corona-Krise zusammengefallen, und da also irl alles zu ist, kann man sich den Alltagsstress jetzt anderswo abholen. Die Kunstwelt ist zügig aufgesprungen, weil ja alles zu ist und irgendwas muss man doch eröffnen und zeigen, wenn man Museum, Galerie oder Künstler ist.

Das Getty war rasant schnell und hat den AC-Art-Generator und den Guide "How to Build an Art Museum in Animal Crossing" bereitgestellt. Darin steht unter anderem: "Der Generator macht es möglich, dass jedes Bild in der frei zugänglichen Sammlung des Getty-Museums in ein Mini-Kunstwerk verwandelt werden kann, das für Animal Crossing geeignet ist. Sie können nach Kunstwerken und Künstlern aus der Sammlung suchen oder mit einem Klick aus einigen unserer Favoriten auswählen und dann den generierten QR-Code scannen, um das Kunstwerk in Ihr Spiel zu bringen, wo es auf Kleidung, Tapete, Leinwand und mehr verwendet werden kann."

Das Met ist schnell nachgezogen und hat 406.000 Werke aus der eigenen Sammlung verfügbar gemacht. Die Überschrift zur Ankündigung auf der Website klingt verlockend: "Own a Van Gogh (…)" . Ob ich das möchte, weiß ich auch nicht. Mein kleines Eigenheim ist, um ehrlich zu sein, noch ziemlich spärlich eingerichtet. Immerhin bin ich heute vom Feldbett auf ein Holzbett umgestiegen, ich besitze einen Ofen, ein Radio und Schnickschnack wie einen Teppich und eine Kerze. Das alles hat mir Nepp aufgeschwatzt. Meine Wanddekoration beschränkt sich bisher auf eine scheußlich gemusterte Tapete. Das größere Haus soll morgen fertig sein, wenn ich Tom Nook richtig verstanden habe.

Bereits Anfang April hatte das Pekinger Privatmuseum M Woods groß Eröffnung seines Virtuellen Museums in "Animal Crossing" gefeiert. Da wurden dann erst einmal vergangene Ausstellungen gezeigt, von Andy Warhol und David Hockney beispielsweise.

Natürlich, das ist cute und nun ja, so spektakulär wie ein Ausstellungsbesuch für das Meerschweinchen zu Hause. (Wer es nicht mitbekommen hat, hier geht es zur Piggenheim Collection in New Jersey).

Innovativer derweil sind Ausstellungsideen wie die der Kunststudentin Julia Maiuri aus Minnesota, die auf ihrer Insel Kittengale das Museum of Contemporary Art Kittengale eröffnet hat. Meine Insel heißt übrigens "less". Vielleicht sollte ich meine Galerie less art nennen. Maiuri also kuratiert tatsächlich Ausstellungen in "Animal Crossing". Auf ihrer Website steht: "Das am 27. März 2020 gegründete Museum of Contemporary Art Kittengale (MoCAK) ist ein virtueller Kunstraum im Videospiel Animal Crossing: New Horizons. Die Programmierung wird von Julia Maiuri und Joolz, ihrem Avatar innerhalb des Spiels, erleichtert. Auf dieser Plattform arbeitet Maiuri an den Grenzen des Spiels, um wöchentliche Fantasy-Ausstellungen von Künstlern aus dem wirklichen Leben zu kuratieren."

Zu sehen war bisher unter anderem eine Einzelausstellung von Marlene Dumas. Und wie aktuell im richtigen Leben muss man einen Termin für den Ausstellungsbesuch vereinbaren.

Die Künstlerin Shing Yin Khor hat die Performance "The Artist Is Present" von Marina Abramovic in "Animal Crossing" re-inszeniert, dafür braucht es schließlich nur zwei Stühle, einen Tisch und ein rotes Kleid. Internationale Medien berichteten, sogar "Artnet" war das einen eigenen Beitrag wert.

Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an

The Artist is Present(2020)

Ein Beitrag geteilt von shing yin khor (@sawdustbear) am

Mein AC-Advisor übrigens, der Künstler Rusko Star, hat sein Eigenheim mit Selfies dekoriert, an der Wand prangt groß sein Name, darunter steht sein Claim #MakeGermanyHotAgain. Sein Eigenheim sieht aus wie eine Mischung aus Fotostudio, Puff und Nagelstudio. Rusko ist auch in "Animal Crossing" der Selbstdarsteller, der er in seiner Langzeitperformance auf Instagram ist. Immer ein bisschen drüber, immer viel zu selbstbewusst.

Und ja, was in dieser historischen Ausnahmesituation nicht möglich ist, kann man Tag und Nacht in AC ausleben. Es ist jetzt 3 Uhr mitten in der Nacht. Vielleicht gehe ich noch eine Runde angeln und überlege mir, was ich in meiner Galerie less art zeigen werde. Vielleicht erschrecke ich aber auch versehentlich ein Gespenst wieder so sehr, dass ich erst einmal seine fünf Einzelteile, die Fragmente seiner Seele, wie Buu-huu sagte, wieder einsammeln muss.