Lautloses Inferno

So muss ein Leben aussehen, das keines mehr ist: Menschen und Tiere haben es verlassen, allein ein Wesen ist noch da, es hockt in einem Haus und huscht von Zimmer zu Zimmer auf der Suche nach etwas, das es selbst nicht kennt. Pierre Huyghes neuer Kurzfilm "Human Mask" wurde gestern auf den Filmfestspielen in Berlin gezeigt. Die verstörende Welt, in die er führt, spielt in einer postapokalyptischen Zukunft, die der Künstler in Fukushima inszeniert.

Wir lernen einen Straßenzug kennen mit zerstörten Häusern, wandern an aufgerissenen Fassaden und verwüsteten Geschäften vorbei, dann hocken wir neben einer kleinen Gestalt, ihre Arme und Beine sind beharrt und ihre Gesichtszüge hinter einer Maske verborgen. Schwarze lange Haare fallen über ein weißes Puppenantlitz, aus dem dunkle kindliche Augen auf verlassene Räume blicken. Es sitzt auf Bänken an Tischen und in Ecken vor Fenstern und spielt mit seinem Fell und seinen Pfoten. Im Kühlschrank sucht es verpackte Speisereste, aber rührt sie nicht an, es läuft an Tapeten mit Wäldern vorbei, die es streichelt. Es harrt aus in der Einsamkeit, dieses Wesen, das an ein zurückgelassenes Kind erinnert, vielleicht auch an einen kleinwüchsigen Menschen, der zu einem scheuen Tier mutiert ist. Das Restaurant, in dem es haust, ist ein Käfig, die Stadt ein radioaktiver Zoo, aus dem kein Weg hinaus führt.

Gestern wurde Pierre Huyghe, geboren 1962 in Paris, den mit 25.000 Euro dotierte Kurt-Schwitters-Preis zugesprochen. "Ob es sich um die frühen analytischen Filmmontagen handelt oder seine aktuellen, weit ausgreifenden, multimedialen Ausstellungsdisplays, stets arbeitet er ebenso präzise wie innovativ mit Fragmenten von Zeit und Raum, verwischt dabei permanent die Grenzen von Kunst und Leben", heißt es in der Begründung der Jury. Angesichts des neuen Films müsste man ergänzen: Pierre Huyghe verwischt in seiner Kunst die Grenzen von Leben und Tod. Das Inferno ist lautlos, Huyghe zeigt in 19 Minuten nun, was es hinterlässt: eine "Human Mask", eine menschliche Maske.