Luca Guadagnino, Sie bezeichnen Ihren neuen Film "Queer" als Ihren persönlichsten. Er basiert auf dem gleichnamigen Roman des US-amerikanischen Schriftstellers William S. Burroughs, den Sie als Jugendlicher gelesen haben. Was hat Sie daran so fasziniert, dass sie ihn nun, viele Jahre später, verfilmen wollten?
Er bedeutet mir sehr viel, er hat mich stark geprägt, ist Teil meiner Biografie. Ich bin jetzt 53, gelesen habe ich ihn mit 17. Und in den 35, 36 Jahren dazwischen habe ich unentwegt den Wunsch verspürt, dieses Buch eines Tages zu verfilmen. Es war in gewisser Weise ein Begleiter, der zur Besessenheit wurde. Als ich den Roman zum ersten Mal las, war ich fasziniert von dieser Idee, dass man sich zu einem Menschen so hingezogen fühlt, dass man mit ihm verschmelzen möchte. Und wie Burroughs für das, was damals unaussprechlich war, nämlich schwules Begehren, eine Sprache fand. Womöglich brachte die Lektüre etwas zum Vorschein, eine Sehnsucht, ein Verlangen, das bereits in mir schlummerte und das mich der Roman bewusst wahrnehmen ließ. Aber es dauerte sehr lange, bis ich bereit war, dies auch künstlerisch auszudrücken.
Die Geschichte spielt 1950 in Mexico City. Die Straßen, Bars und Stundenhotels des Vergnügungsviertels bauten Sie in Kulissen der Cinecittà Studios in Rom. Warum war Ihnen diese artifizielle Ästhetik wichtig?
Ich wollte kein realistisches Historiendrama, sondern den Film zu einer Art Hommage an Burroughs' Geist machen. Deswegen habe ich mit meinem Produktionsdesigner Stefano Baisi, mit dem ich seit vielen Jahren zusammenarbeite, diesen überhöhten, fast surrealen Look entwickelt.
Auch ich habe den Roman als Jugendlicher gelesen, konnte mich aber kaum noch an Details der Handlung erinnern. Doch als ich den Film sah, war sofort wieder das Gefühl von damals da: diese Sehnsucht und Isolation, auch die Gefahr, und natürlich der Schweiß und der Sex. Wie haben Sie die richtige Stimmung gefunden?
Indem ich den Film im Zustand eines kontrollierten Fiebertraums gemacht habe. Ich war wie ein General, der seine Truppen befehligt, aber gleichzeitig auch in einem permanenten Zustand von erregter Besessenheit. Wahrscheinlich konnte ich durch diese Herangehensweise diese Art von Atmosphäre erzeugen, die Sie beschreiben. Bei Burroughs geht es ja weniger um Handlung als um Stimmungen, Emotionen, Affekte. Und der Roman blieb unvollendet, mein Co-Autor Justin Kuritzkes und ich überlegten lange, wie wir damit umgehen. Wir fühlten uns bei der Adaption eher wie Kinder in einem riesigen Spielzeugladen, in dem wir alles mit eigenen Händen ausprobieren dürfen. Es war ein sehr spielerischer, intuitiver Prozess.
Sie setzten dabei andere Schwerpunkte als in der Vorlage.
Wir haben uns oft gefragt, worum es für uns in diesem Buch geht. Geht es um Liebe oder doch eher um eine unerwiderte Liebe? Liebt Allerton Lee so sehr wie Lee Allerton liebt? Und wenn ja, warum können sie ihre Liebe nicht vollenden? Weil sie den anderen zu unterschiedlichen Zeiten und auf unterschiedliche Weise lieben. Für mich liegt die Unmöglichkeit dieser Liebe in ihrer Asynchronität und in der Entkörperlichung, der Flucht in den Rausch.
Im letzten Drittel reisen die beiden Männer in den Dschungel auf der Suche nach der sagenumwobenen Pflanze Yage, die halluzinogen wirkt und die sie gemeinsam konsumieren. Die Bilder, die Sie für diesen Drogentrip gefunden haben, gehören zum Schönsten und Traurigsten seit Langem auf der Kinoleinwand. Mit ihrer immersiven Intensität ist diese Sequenz auch gut als bildende Kunst in einem anderen Kontext, etwa einer Galerie, vorstellbar. Wie ist sie entstanden?
Mein Credo war: je einfacher, desto besser. Einen Drogentrip kann man nicht mit psychedelischen Bildern auf die Leinwand projizieren, weil das schnell altbacken wirkt. Diese gemeinsame Drogenerfahrung der beiden Männer ist ein gegenseitiges Suchen, ein Dialog ohne Worte, ein Einswerden der Körper. Das Choreografen-Duo Sol León und Paul Lightfoot gehört zu den größten Künstlern, die ich kenne. Ihre Arbeiten stecken voller Schönheit, Schmerz und Angst, ich liebe sie. Also habe ich die beiden gebeten, ein Stück für den Film zu choreografieren. Wenn man dann statt professioneller Tänzer unsere beiden Schauspieler nimmt, Daniel Craig und Drew Starkey, entsteht dabei eine wunderschöne Rauheit, die ich sehr bewegend fand. Die eigentliche Herausforderung kam danach. Wir verbrachten fast ein Jahr damit, die Verschmelzung der Körper mithilfe von CGI zu inszenieren, die hoffentlich überhaupt nicht nach digitalen Effekten aussieht.