Die Kohle, mit der Belinda Broughton die weiße Wand der Ausstellungshalle "Fabrik" bemalt, bröckelt. Bei jedem Strich brechen Stückchen zu Boden, Staub rieselt hinterher. Ihre Finger sind schwarz, alle paar Minuten muss sie in einem Karton nach Nachschub greifen. "Daran mangelt es jedenfalls nicht", sagt die Australierin und verzieht ihr Gesicht. "Ich würde nur gern wissen, was ich in der Hand halte: Ist es ein verbrannter Ast? Die Reste unseres Küchentischs? Oder von einer der Holzskulpturen, die mein Mann geschnitzt hat?"
Die 61-Jährige zeichnet mit dem, was die Flammen vom Hab und Gut und dem gesamten Lebenswerk des Künstlerpaars übrig gelassen haben. Bis zum 20. Dezember 2019 wohnten und arbeiteten die Malerin und ihr Mann, der Bildhauer und Fotograf Ervin Janek, 81, etwas außerhalb des südaustralischen Dörfchens Lobethal, in den Adelaide Hills. Ein Haus, zwei Studios, drumrum duftende Eukalyptusbäume. Dann fiel im Nachbarort ein Ast auf eine Stromleitung, ein Funken entzündete die ausgedörrte Vegetation, und es passierte das, was Australier diesen Sommer am meisten fürchteten: Ein bushfire tobte los, fiel über 25.000 Hektar Wald her, Weiden und Felder her, zerstörte 85 Wohnhäuser, tötete einen Nachbarn.
Als Broughton und ihr Mann zwei Tage später nach Hause zurückkamen – sie waren vom Feuer zur Tochter nach Adelaide geflüchtet — fanden sie: kollabierte Wände, versengte Wellblechdächer, Schutt und Asche, in die sich geschmolzenes Glas verklumpt hatte. Und haufenweise Kohle. Alles andere – Möbel, Fotoalben, Skizzenbücher, Schubladen voller Zeichnungen, Janeks Skulpturen, 400 gerahmte Fotografien – hatten die Flammen gefressen.
"Solastalgia" als neues beklemmendes Lebensgefühl
Mit ihrem Wandgemälde, das auf 13 Metern eine Art Zeitreise durch die seither erlebten Wochen beschreibt, liefert die Künstlerin den persönlichsten Beitrag für die Ausstellung, die Künstler der "Hills" bereits Monate vorher für das Adelaider Kulturfestival "The Fringe" geplant hatten, das noch bis zum 15. März stattfindet. Ihr Titel lautet "Solastalgia", das neue Wort beschreibt den Stress, den Menschen infolge von Umweltzerstörung empfinden und passt auf schmerzlich aktuelle Weise zu ihrer Geschichte. Eigentlich sollte Broughton, die in den vergangenen Jahren auch als Nature Writer und Dichterin bekannt wurde, "nur" einige Gedichte zum Sujet vortragen – nun wurde sie eingeladen, auch die acht Meter lange Wand zu gestalten.
Ganz links zeichnete sie mit weichen Strichen die ursprünglichen Wildnis um ihr Haus, die sie so liebte: Bäume, Büsche, Farne, hinter dem sich ein Hase versteckt. Dann folgen eine Handvoll wirrer Linien, nicht mehr. "Das Flammenmeer hat genügend Leute traumatisiert. Es gab keinen Grund für mich, es nochmal zu zeigen." Die Szene danach besteht aus verkohlten Stümpfen, umgekrachten Bäumen und Ästen, alles tiefschwarz. "Sogar die Krähen sind still", hat Belinda Broughton dazu geschrieben.
"Ich fühle mich fast ein wenig befreit"
"Direkt nach dem Feuer fehlten uns die Worte", erinnert sich ihr Mann Ervin Janek an die Rückkehr nach Lobethal. "Wir erfuhren, dass der ganze Ort abgebrannt wäre, wenn nicht ein Wasserbomber die Feuerfront aus der Luft zurückgedrängt hätte. Und so waren die ersten Tage einfach nur dankbar, das Inferno überlebt zu haben."
Seither ist das Paar bei der Tochter untergekommen – und hilft sich mit schwarzem Humor, die Situation zu bewältigen. "Welcher Künstler hat schon die Chance, mit 81 Jahren nochmal von vorn anfangen zu können?", fragt Janek grinsend. Seine Frau nickt: "Es klingt seltsam, vor allem für andere Feueropfer, die verzweifelt sind ob ihres Verlusts, aber ich fühle mich fast ein wenig befreit. Dieses ganze Zeug, diese ganzen Kunstwerke, die wir über 40 Jahre angesammelt hatten – alleine hätten wir uns doch nie von ihnen trennen können. Das Feuer hat uns diesen Job abgenommen."
Die Natur kommt zurück
Wenige Wochen später begann die Natur auf ihrem Grundstück, sich zu regenerieren – ein Schauspiel, das Broughton ebenso fasziniert wie inspiriert. "Ich kann nicht aufhören zu beobachten, was da draußen vor sich geht", sagt sie. Und so zeigt die zweite Hälfte ihres Wandgemäldes genau das: Pilze wuchern, aus verkohlten Eukalyptus-Stämmen sprießen frische Triebe, andere schälen ihre verkohlte Rinde ab. Niedergebrannte Grasbäume explodieren wie ein grünes Feuerwerk, Eidechsen kehren zurück, Insekten, die kreischenden Kakadus und Vögel mit melodischerem Gesang.
"Es hat mir gut getan, an dieser Wand zu stehen und etwas zu schaffen", sagt sie am Tag der Ausstellungseröffnung. "Es lenkte mich von den ganzen Gedanken über die Zukunft ab." Doch auch die gestaltet sich. Australischer Reservisten haben dem Künstlerpaar wie den anderen Lobethaler Feueropfern geholfen, die Ruinen abzutragen und diejenigen Bäume zu fällen, die das Feuer nicht überlebt haben. Nun planen Broughton und Janek mit ihrer Tochter, einer Architektin, den Wiederaufbau: Ein kleines, feuersicheres Haus mit einem gemeinsamen Studio. "Es wird nie wieder wie früher", sagt Broughton. "Aber es geht weiter."