Ein Viertel Besucherführer

Mannheim verändert die Museumslandschaft

Mannheim (dpa/lsw) - Im Mannheimer Technoseum sollen die Besucher verstehen, wie die Welt der Technik und Naturwissenschaften funktioniert. Doch seit Mitte Oktober müssen sich die Betreiber nun mehr als je zuvor damit auseinandersetzen, wie die Welt der Juristerei funktioniert. Das Sozialgericht Mannheim hat entschieden, dass die vom Museum per Werkvertrag beauftragten Besucherführer scheinselbstständig beschäftigt sind.

Konkret geht es darum, dass in den Jahren 2006 bis 2008 bis zu 87 Kräfte als Angestellte zu betrachten seien. Besonders die Vorführtechniker - spezielle Erklärkräfte, die dauerhaft einzelne Exponate erläutern - hätten nur wenig inhaltliche Gestaltungsfreiheit, seien sehr stark weisungsgebunden und trügen kaum unternehmerisches Risiko. Damit träfen wesentliche Merkmale von selbstständiger Tätigkeit auf sie nicht zu. Ergebnis des erst vergangene Woche bekanntgewordenen Urteils: Rund 160 000 Euro Sozialabgaben sollen nachgezahlt werden.

Das Museum unterlag damit zwar im Streit mit der Rentenversicherung, man werde aber schnell auf das Urteil reagieren und die Verträge der Besucherführer anpassen, sagte der kaufmännische Direktor Jens Bortloff. Diese sollen nun mit festen Stellen angestellt werden, teilweise als Drittel- oder Viertelstelle ausgelegt. Pro Jahr bedeute das Zusatzkosten im fünfstelligen Bereich, sagte Bortloff. Eine übermäßige Belastung sei das zwar nicht, aber: «Wir werden die Eintrittspreise moderat für die museumspädagogische Leistungen erhöhen.»

Mannheim ist kein Einzelfall, in ganz Deutschland stehen Museen immer wieder vor der Frage, wie ihre Besucherführer korrekt beschäftigt werden. Beim NS-Dokumentationszentrum Obersalzberg in Bayern wollten die Betreiber jedoch kein Urteil von Richtern abwarten. Ende Oktober entließ das Institut für Zeitgeschichte die Besucherführer in dem NS-Dokumentationszentrum wegen des Verdachts auf Scheinselbstständigkeit. Betroffen waren knapp zwei Dutzend Männer und Frauen. «Wir haben eine andere Auffassung als der Sozialversicherungsträger», kommentierte eine Sprecherin.

In Berlin gab es schon im Juli 2011 einen Urteilsspruch zu den Fremdenführern im Bundesrat. Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg entschied, dass der Einsatz selbstständiger Honorarkräfte korrekt war. Sie seien sehr frei in der Art und Weise, wie sie ihre Führung gestalteten und würden nicht kontrolliert, erklärte ein Gerichtssprecher. «Im maßgeblichen Kern ihrer Tätigkeit sind die Honorarkräfte weisungsunabhängig», hieß es seinerzeit.

Aus den bisherigen Entscheidungen lässt sich also kein allgemeingültiges Muster ableiten. Ohnehin ist die Interessenlage unübersichtlich. Während die Gewerkschaft Verdi die Festanstellung der Führer begrüßt, befürwortet der Deutsche Museumsbund eher die freie Mitarbeit. «Die Flexibilität, die dieser Arbeitsbereich erfordert, den unterschiedlichen Personalbedarf und die mitunter stark schwankende Nachfrage lassen in unseren Augen gerade in diesem Bereich das Modell der "freien Mitarbeit" als ein sehr geeignetes erscheinen», sagt der Vorsitzende des Museumsbund, Volker Rodekamp.

In Baden-Württemberg hatte das Technoseum-Urteil bereits konkrete politische Folgen. Das Wissenschaftsministerium prüft dort nun für alle elf Landesmuseen, ob Verträge verändert werden müssen. Bisher hat es nach Angaben eines Sprechers noch keine Rücklauf gegeben, das Ministerium nehme die Angelegenheit aber «im Zuge der Initiative für gute Arbeit» sehr ernst.