Manuel Rossner über sein Virtual-Reality-Museum

"Öffentliche Häuser müssen sich mit digitaler Kunst auseinandersetzen"

Der Berliner Künstler Manuel Rossner hat für das Kulturforum-Areal in Berlin ein eigenes Virtual-Reality-Museum entworfen, um seine NFT-Sammlung zu zeigen. Ein Provokation in Richtung der traditionellen Kunstinstitutionen? 

Manuel Rossner, Sie haben ein virtuelles Museum für Ihre NFT-Sammlung angelegt. Bevor wir auf das Museum selbst zu sprechen kommen – erklären Sie doch bitte zunächst, warum man als Künstler NFTs sammelt.

Während meiner Studienzeit an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach habe ich im Jahr 2011 eine eigene digitale Galerie mit einem 3D-Programm entworfen. Das war eine virtuelle Version von einem Ausstellungsraum, den die Hochschule im Bahnhof von Offenbach hatte. Das Projekt habe ich Float Gallery genannt, weil sie so mobil und flüchtig war. In dieser virtuellen Galerie habe ich eine Reihe von Gruppenausstellungen organisiert, um herauszufinden, ob es möglich ist, in digitalen Räumen Ausstellungen zu machen. Einige der Künstler, die ich ausgestellt habe, haben angefangen NFTs anzubieten, und die habe ich gekauft. Das war vor dem großen NFT-Hype des letzten Jahres, und es waren meist Auflagenarbeiten, die weniger als 100 Euro gekostet haben. Nach und nach kamen immer mehr Künstler dazu, die ich gut finde, oder mit denen ich etwas zu tun hatte. So ist die Sammlung gewachsen. Inzwischen sind mehr als 75 Werke von mehr als 50 Künstlerinnen und Künstlern in meiner Sammlung, fast täglich kommen neue Arbeiten hinzu. Jetzt erlebt die digitale Kunst durch NFTs einen Hype, womit sicherlich niemand gerechnet hat. Durch diesen Boom kam viel zusammen, was mich seit zehn Jahren beschäftigt: das Ausstellen von Kunst in virtuellen Welten wie Decentraland und das Sammeln von digitaler Kunst, was jetzt plötzlich sehr einfach ist. 

Und wie sind Sie zu Ihrem Museum gekommen?

Ein Museum ist New Float für mich nicht, sondern ein digitaler Ausstellungsraum. Ich habe New Float mit einem Augenzwinkern in den sozialen Medien als Museum angekündigt, weil in Berlin von Herzog & de Meuron das Museum für das 20. Jahrhundert an einem sehr prominenten Ort neben der Neuen Nationalgalerie gebaut wird. Was ist eigentlich mit dem 21. Jahrhundert? Was ist mit dem Jetzt? Also dachte ich mir, ich helfe kurz aus. New Float ist eine Fortsetzung der Float Gallery, eine App für Android und Apple. Dieses Mal aber habe ich mich nicht an einem realen Raum orientiert, sondern eine fiktive Architektur entworfen, in der das Besuchen einer Ausstellung online zum Erlebnis wird. 

Die haben Sie an einem aufgeladenen Ort platziert, bei dem jahrelang darüber diskutiert worden ist, was da für ein Museum stehen soll. Der erste Eindruck ist, dass Sie ein Gebäude entworfen haben, das sich vollkommen von den Umfeld abheben will, das sehr stark durch verschiedenen Architekturperioden geprägt ist: erst der Modernismus von Mies van der Rohe, dann Scharouns Architektur für das Berliner Urstromtal und schließlich die Kommerzarchitektur am Potsdamer Platz.

Ich habe mich selbstverständlich an meiner Nachbarschaft orientiert und ein Gebäude entworfen, das sich mit der Umgebung auseinandersetzt. Die Farbe Rosa bezieht sich auf das Gelb der Philharmonie von Hans Scharoun. Die fluffige Kissenform ist ein Gegenentwurf zur strengen, geometrischen Architektur der Nationalgalerie. Gleichzeitig arbeite ich die Eigenschaften des Digitalen heraus. Ich knüpfe dort an, wo die Möglichkeiten der Stararchitekten aufhören. Selbst mit einem Vielfachen des Budgets von 450 Millionen Euro kann kein physischer Bau errichtet werden, der meinem virtuellen Gebäude entspricht.

Ist New Float denn jetzt fertig?

Ein digitaler Raum muss nie fertig werden. Meine Sammlung wächst, das Gebäude wächst mit ihr. Und ich kann das Gebäude jederzeit abreißen und durch ein neues ersetzen.

Damit nutzen Sie auch eine Eigenschaft digitaler Medien aus, die man immer weiter modifizieren kann.

Bei meinen virtuellen Architekturen interessiert mich die Schwelle, an der die Möglichkeiten der physischen Architektur enden. Bei meiner digitalen Erweiterung des NRW-Forums in Düsseldorf gibt es einen riesigen Gebäudeteil, der in der Luft schwebt. Den könnte man gar nicht bauen. Vor allem während der Pandemie haben wir viel von der Außenwelt über soziale Medien wahrgenommen. Hier werden grundlegende Fragen unausweichlich: Was existiert in der physischen Welt? "Existiert" nicht auch ein digitales Gebäude für digitale Kunst, gleichwertig einem physischen Raum für physische Kunst? Müssen und wollen wir für den physischen Raum Ressourcen aufbringen, obwohl wir wissen, dass sie endlich sind?

Digitale Erweiterung des NRW-Forum von Manuel Rossner, 2017
Courtesy the artist

Digitale Erweiterung des NRW-Forum von Manuel Rossner, 2017


Ihr virtuelles Museum knüpft mit schrillen Farben und der kissenartigen Formen an Ihre Bildsprache aus anderen Arbeiten für Virtual Reality und Augmented Reality an…

Diese Formensprache ist aus den painting tools entstanden, die es für Virtual Reality gibt. Du machst eine Linie, der Computer gibt ihr ein Volumen, und, schwupp, hast du so eine Arbeit, die bunt und glatt und glossy ist. Das erste Mal habe ich damit für eine Ausstellung im Künstlerhaus in Graz gearbeitet. Die Arbeit hieß "Du musst Dein Leben ändern" nach dem letzten Satz aus diesem Gedicht von Rilke, wo er eine Skulptur von Apollo beschreibt und dann denkt: "Die Statue ist so perfekt, ich muss mich verbessern." Und im Computer macht man eine Linie, und die Oberfläche ist mathematisch perfekt. Ich habe solche Arbeiten später auch physisch produziert. Dafür werden CNC-Fräsen verwendet, weil man als Mensch die digitale Vorlage nicht so perfekt umsetzen kann. Das Digitale strahlt eine Unerreichbarkeit für den Menschen aus. Wenn bei digitalen Daten, den Nullen und Einsen, die Reihenfolge stimmt und sie richtig interpretieren werden, ist das zeitlos. Den Druck, der dadurch entsteht, dass die Menschen dieser digitalen Perfektion nachlaufen, habe ich hier auch thematisiert.

Das Gebäude für Ihre Sammlung wirkt aber weniger perfekt, eher verspielt und fantastisch.

Dafür habe ich eine Physiksimulation benutzt. In einer Software, mit der man eigentlich Mode designt, habe ich drei kissenartige Formen herunterfallen lassen. Der Computer hat ausgerechnet, wie so ein Aufprall aussehen würde. Viele der 3D-Tools die ich nutze sind aus der Special-Effect-, Architekturvisualisierungs- oder Gaming-Industrie. Sie sind für die Gestaltung von Haaren oder Pelzen gedacht, aber bei mir ist daraus ein Gebäude geworden. Später brauche ich vielleicht noch einen Raum, also ziehe ich mit der Maus an der Form, und bekomme ein Foyer und ein Café. Aktuell baue ich an der Spacebar. Es geht also nicht darum, ein Gebäude zu entwerfen, das wie ein Kissen oder ein Schuh aussieht. Ich versuche eher, diese Technologie so zu verwenden, wie man es normalerweise nicht macht. Ich experimentiere, weil ich denke, dass meine Vorstellungskraft limitiert ist.

Durch solche Bildtechnologien?

Weil ich ein Mensch bin. Künstliche Intelligenz kommt zu Lösungen, die einem selbst nie einfallen würden. Die künstliche Intelligenz AlphaGo hat zum Beispiel 2015 beim Spiel Go gegen den Champion-Fan Hui gewonnen. Während des Spiels haben die Beobachter nicht verstanden, was der Computer macht. Irgendwie war die Software cleverer als die Menschen, so clever sogar, dass sie erst im Nachhinein verstanden haben, was der Computer gemacht hat. Es interessiert mich vor allem, wie man gemeinsam mit der Technologie über sich selbst beziehungsweise die menschliche Vorstellungskraft hinauswachsen kann. Gleichzeitig handelte es sich dabei aber um ein sehr genau definiertes Spiel. Ich glaube nicht, dass Computer bald auch vielschichtigere Probleme selbst lösen können.

Der Sinn des Museums war, Ihre NFT-Sammlung zu zeigen. Was haben denn die Künstlerinnen und Künstler gesagt, als sie die Präsentationen gesehen haben?

Fast alle haben sich sehr über die Präsentation gefreut. Einige wenige waren überrascht, dass ihr NFT plötzlich in einer vermeintlichen Ausstellung in einer neuen Institution online zu sehen ist. Auf Twitter wurde aufgeregt diskutiert, was man denn eigentlich mit einem NFT machen darf. Ich habe die Arbeiten unter anderem auf den Plattformen Hic et Nunc, OpenSea und Feral File gekauft. Einige Plattformen haben auf ihrer Seite detaillierte Angaben, was man mit den NFTs machen darf. Die öffentliche Präsentation ist unter anderem bei Feral File erwähnt.

Ich dachte, der Sinn von NFTs war es genau, bei solchen Fragen Rechtssicherheit zu schaffen?

Dadurch, dass die Blockchain den öffentlichen Zugriff auf Daten ermöglicht, stellt sich für mich die Frage, was ich mit einem NFT machen darf. Es ist die Stärke der Blockchain, dass ich eine Arbeit auf einer Plattform wie Foundation kaufen und sie dann zum Beispiel in Decentraland aufhängen kann. Dadurch, dass jeder seinen eigenen Raum erstellen kann, spitzen sich hier Fragen zu, die im Analogen vielleicht weniger relevant waren. 

Zumal die Alternative, die Arbeiten nur bei Plattformen wie OpenSea zu zeigen, für Künstler nicht attraktiv sein kann. Da werden die Werke wie bei Ebay aufgelistet und dann steht noch der Preis und die Verkaufsgeschichte dabei.

Ja, stimmt. Ich wollte eine Alternative für die Präsentation meiner eigenen Sammlung.

Viele kritisieren an NFTs, dass diese in erster Linie eine Methode der Spekulation sind. Stört Sie das?

Eigentlich finde ich es sogar spannend, dass es eine neue Form der Interaktion mit digitalen Arbeiten gibt. Natürlich ist es auch problematisch, wie wichtig vielen Käufern die Preissteigerung der NFTs ist. Gleichzeitig ist es an der Zeit neue Wege der Interaktion und Erfahrung für digitale Kunst zu finden. Es ist ein Anachronismus, digitale Kunst wie Malerei zu behandeln, die ins Museum gehängt wird. Außerdem haben die NFTs etwas geschafft, das ich nicht für möglich gehalten habe: Eine Arbeit wird limitiert und bleibt gleichzeitig öffentlich. 

Geht es Ihnen mit Ihrem virtuelle Museum um eine Provokation traditioneller Kunstinstitutionen wie der Neuen Nationalgalerie und der Gemäldegalerie, zwischen denen Ihr imaginäres Haus steht?

Es ist spannend, dass die Krypto-Community etwas hervorgebracht hat, was man in der Kunstwelt nicht ignorieren kann. Obwohl ich bisher vor allem mit klassischen Institutionen gearbeitet habe, sehe ich ein überwältigendes neues Interesse an digitaler Kunst. Öffentliche Häuser müssen sich damit auseinandersetzen. Sie sind jetzt gefragt, die digitale Kunst der letzten 70 Jahre in den Kanon der Kunstgeschichte einzuordnen und zu reflektieren, was heute passiert. Der explodierende NFT-Markt hat eigene Prioritäten, Institutionen können dazu beitragen, dass historisch und konzeptionell wichtige Positionen gewürdigt werden. Vor allem wenn sie nicht die höchste Wertsteigerung haben, oder von bisher marginalisierten Gruppen stammen. In der öffentlichen Wahrnehmung dominiert Preissteigerung von Profile Picture Collections wie dem Bored Ape Yacht Club. Es gibt aber viel spannendere Arbeiten, die sich auch konzeptionell mit der Blockchain auseinandersetzen, zum Beispiel von Simon Denny oder Sarah Friend. Sie reflektieren den Kontext, in dem sie entstehen, und sind für mich gesellschaftlich relevanter und damit auch für Institutionen interessanter.