Tod als Content

Mein Sarg

Die Schriftstellerin Ronja von Rönne bekommt einen Sarg, denn sie soll im Rahmen einer Kampagne auf Instagram eine Debatte über den Tod und das Sterben anregen. Macht das Sinn? Monopol-Kolumnistin Anika Meier hat sie beim Fotoshooting begleitet

Ob ich zu ihrer Sarg-Präsentation kommen möchte, fragt mich Ronja von Rönne. Ich möchte. Kurz vorher habe ich doch noch eine kleine Bitte: "Bin dir sehr dankbar, wenn du den So-Sad-Today-Stunt nicht aufführst", schreibe ich ihr. Ein Link zum Video "Let's go coffin shopping with So Sad Today" hängt an der Nachricht. Das ist das Twitter-Pseudonym der amerikanischen Schriftstellerin Melissa Broder, die international bekannt wurde, weil sie schonungslos über ihr Leben mit Depressionen und Ängsten twittert. Follower: 814.000. Für einen Buchtrailer ging sie auf Sarg-Suche inklusive Probeliegen, als würde sie nur schnell eine Matratze kaufen wollen. Broder twittert Sätze wie "me and my mental illness are going back to bed" oder "likes: death. dislikes: the dying process". Sie habe sowieso jeden Tag das Gefühl zu sterben, sagt sie im Interview mit "Nylon", vielleicht würde es ihr die Angst vor dem Sterben nehmen, wenn sie zumindest mit einem Sarg Frieden schließen könnte.  

Als ich in einem dieser Berliner Kreativstudios ankomme, Beton, viele Fenster, sehr hell, sitzt Ronja von Rönne auf ihrem Sarg. Sie streichelt Snoopy, einen sehr großen Hund, frisch rasiert für den Frühling. Neben ihr sitzt die Berliner Künstlerin Evelyn Weigert, auf sie fiel die Wahl für die individuelle Gestaltung. Da ich mitten in das Fotoshooting geplatzt bin, setze auch ich mich, aber auf eine Bank am Rand. Warten. 

Fotos werden gemacht. Mal muss Snoopy aus dem Bild, mal ist es Weigert, dann werden für ein Video zwei Runden um den Sarg gedreht, während sie ihr künstlerisches Konzept erklärt. Eine freundliche Willkommensgeste steht mit "Grüß Gott" am Kopfende des Sarges, am Fußende ein Zitat von Rönne: "Wer aufgibt, darf ausschlafen". Beides habe nie besser gepasst, da ist sie sich sicher. Mit Freundlichkeit und Gemütlichkeit in die Ewigkeit. Auf dem Deckel eine Frauenfigur, die Jesus, Maria und Kali, im Hinduismus die Göttin des Todes, in sich vereint – ausgestattet ist sie mit einer Mistgabel als Waffe. Im Fegefeuer könne man sich damit gut durchsetzen, erklärt Weigert. Auf der einen Seite tragen Todeskäfer blutrote Sonnen, auf der anderen Seite guckt der Teufel griesgrämig. Die Bemalung des Sarges lässt an David Shrigley denken, nur eben in Farbe, in Pink und Blau und Rot und Grün. Von dem, was man sich sonst unter einem Sarg vorstellt, Eiche, rustikal, Massivholz, ist dieses Modell jetzt maximal weit entfernt. 

Schriftstellerin und Künstlerin sollen auf Instagram die entstandenen Fotos unter dem Hashtag #mycoffin teilen. Deshalb Fotoshooting und Videodreh. Beide haben um die 30.000 Follower, sind also, was heute unter InfluencerInnen verstanden wird: Personen mit Reichweite in den sozialen Medien, die Einfluss auf andere haben. Früher hielt Thomas Gottschalk eine Tüte Haribo in eine Fernsehkamera, heute hält Kim Kardashian einen Beutel Detox-Tee in ihre Smartphonekamera. Und während der große Entertainer aus dem Ruhestand heraus mittlerweile eine Literatursendung moderiert, um Interesse für das Medium Buch bei den Menschen da draußen zu wecken, sollen auch Influencer die Aufmerksamkeit auf alles Mögliche lenken. Auf Waschmittel, Socken, Uhren, Unterwäsche – und zwischen all den Postings zu Waschmitteln, Socken, Uhren, Unterwäsche soll es jetzt, so wollen es Agenturen und ihre Kunden, auch um ernste Themen gehen, die zum Nachdenken anregen, wie Fahrradhelme, AIDS und Tod.

Konzept und Umsetzung sind meist mal schlecht und mal noch schlechter. Die aktuelle Kampagne #helmerettenleben des Verkehrsministeriums fällt in die Kategorie besonders schlecht. "Looks like shit. But saves my life" prangt als Schriftzug auf Fotos von Menschen in Unterwäsche, die mit einem Fahrradhelm auf dem Kopf im Bett natürlich trotzdem sehr gut aussehen. Wenn die Kampagne nicht so gut ankommt wie erwartet, behauptet man es einfach. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer schreibt auf Instagram: "Mega Kampagne mit viel Aufmerksamkeit für mehr Verkehrssicherheit." Und darum geht es schließlich, um Aufmerksamkeit. Um Provokation. Für Promozwecke ist jedes Mittel recht, selbstverständlich auch die Überschreitung von Grenzen. "Mega Kampagne mit viel Aufmerksamkeit", das könnten momentan Rammstein twittern. KZ-Uniform an, am Galgen hängen, irgendetwas Zweideutiges über Deutschland in einen Songtext packen und ab gehen klassische und soziale Medien und diskutieren, ob das jetzt alles klug und ironisch ist oder nicht

Eine Mega-Kampagne, das soll auch #mycoffin werden. Eine Kampagne, die zwischen Avocadotoast und Selfies zu Gesprächen über den Tod und das Sterben führt. Ende letzten Jahres hatte sich beispielsweise schon Bestatter Eric Wrede daran beteiligt, geworben wird für modernes Handwerk ("Das Handwerk") in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband Deutscher Bestatter. 

Eine Influencerin habe gerade abgesagt, erzählt der Mitarbeiter der Agentur Heimat, die für die Kampagne zuständig ist, weil das Thema Tod nichts auf Instagram zu suchen habe. "Soll sie mal weiter ihre Frappuccinos posten", ruft Weigert dazwischen. Ronja von Rönne und Evelyn Weigert haben sich mittlerweile zu mir auf die Bank gesetzt. 

Ob sie keine Angst vor einem Shitstorm habe, will ich von Rönne wissen. Deren zweiter Name ist nämlich Shitstorm, seit damals 2015 ihr Debattenbeitrag "Warum mich der Feminismus anekelt" als Radikalposition in der "Welt" erschienen ist. "Es gibt Menschen, die stören sich daran, dass ich atme", antwortet sie nüchtern, "die sehen einen Sarg von mir sicherlich gern."

Auf Instagram gibt es Influencerinnen, die sind wie das Frauenmagazin "Joy", andere sind eher die "Pychologie Heute" und wieder andere sind mehr Feuilleton. Ronja von Rönne ist ein bisschen von allem. Im letzten halben Jahr rückte bei ihr das Thema psychische Erkrankungen in den Vordergrund, im August veröffentlichte sie in ihrem Blog "Sudelheft" einen Text über ihre Depression. Sie schrieb: "Das Eklige an der Depression ist, wie wenig originell sie ist. Im Bett liegen. Weinen. Auf irgendwas treten. Nicht mehr weinen können. Anrufe ignorieren. Kolumnen absagen. Selbstmordmethoden googlen, Tavor, zwei halbgare Anrufe bei Psychiatern, die nie zurückrufen. (...) Die Depression ist momentan nicht beige, sie ist grell und laut und lässt sich von Medikamenten und Rotwein nicht beeindrucken. Bald wird es wieder bessergehen. Bestimmt."

Das "Bald" ließ auf sich warten. Erst einmal kam der Zusammenbruch, der sie für drei Wochen in eine psychosomatische Klinik brachte. Ihre Follower nahm sie mit – zu den Zigarettenpausen nachts vor der Klink, an den See zu den Katzen und in die Klinik zu den Mitpatienten, die ihre Bücher bestellten. Als sie ihren Zusammenbruch öffentlich machte, war die Anteilnahme so groß wie sonst vielleicht nur bei Promi-Trennungen.

Ob Instagram denn etwas verändert habe, frage ich die beiden – und schiebe eine These hinterher, die nicht so gut ankommt. Frauen sind durch die sozialen Medien präsenter geworden, da sind wir uns noch einig. Sie können sich geben, wie sie gesehen werden wollen. Und das hat meist nicht so viel damit zu tun, wie Werbung und Medien sie zeigen wollen. Stichwort: Body Positivity. Schon länger sind Frauen, beispielsweise die Hamburger PR-Beraterin und Influencerin Melodie Michelberger sichtbar, die keinerlei Interesse daran haben, ihren Körper auf Modelmaße zu bringen.

In Literatur und Kunst ist der Trend zu beobachten, dass ... viel weiter komme ich nicht. Evelyn Weigert setzt zu einem rant an, Ronja von Rönne kennt das Folgende wohl und verlässt kurz den Raum, Snoopy ist schon weg. Weigert regt sich völlig zu recht darüber auf, das ergänzt später auch Rönne, dass es schon immer Frauen gegeben habe, die schreiben und sagen, was sie denken. Wir werfen Frauennamen in den Raum von Virginia Woolf über Sybille Berg und Charlotte Roche bis zu Melissa Broder, Ottessa Moshfegh und Audrey Wollen. Von letzterer, einer amerikanischen Künstlerin und Theoretikerin, stammt die "Sad Girl Theory". Nachzulesen war ihre Theorie bis vor kurzem noch auf Instagram, mittlerweile hat sie nach einer Pause von drei Jahren einen Neustart hingelegt – fast alle älteren Inhalte sind gelöscht. 

Die "Sad Girl Theory" basiert auf dem Gedanken, dass Traurigkeit und Selbsthass Akte des Widerstandes sein können und zu Ermächtigung von Frauen führen. Das kam bei manchen Frauen so gut an wie meine Bemerkung bei Evelyn Weigert. "Sad Girl", trauriges Mädchen, klingt nach einer Verniedlichung, nach zu viel Emotion, nach: Das müssen wir alles nicht ernst nehmen, sind die Frauen eben ein bisschen traurig. Und wer mit Depressionen zu kämpfen hat, der ist nicht einfach nur ein bisschen traurig. 

Ein Ei hat kürzlich das Thema psychische Erkrankungen groß gemacht auf Instagram. Zuerst sah es nach einer typischen Social-Media-Spielerei aus. Ein Foto von einem Hühnerei sollte es schaffen, mehr Likes zu bekommen als die Weltrekordhalterin Kylie Jenner (18 Millionen Likes). Darum ließ sich das Internet nicht lange bitten. Unter dem Druck ist das Ei schließlich zerbrochen.

Wer auch Druck verspüre und sich nicht zu helfen wisse, solle sich Hilfe suchen, so die Botschaft des @world_record_egg.

Ein Foto von einem Sarg, das ist direkt und nicht subtil. "Niemand will sich vorstellen, in der Erde zu verrotten", sagte die amerikanische Schriftstellerin Ottessa Moshfegh in einem Interview. Deren literarische Figuren derweil machen das sehr lebhaft. In einer der Kurzgeschichten in "Homesick for Another World" vergräbt sich ein Mann ein Wochenende in einer Berghütte, bevor seine schwangere Frau das erste gemeinsame Kind zur Welt bringt. Er raucht einen Joint, Gras bekommt ihm nicht gut, das weiß er, ihm ist aber gerade alles egal, weil bald als Vater sein Leben vorbei ist. Gedanken schießen ihm durch den Kopf: "Ich stellte mir meinen alten Körper vor, der in meinem Sarg verfault. Ich stellte mir vor, wie meine Haut runzelte und schwarz wurde und von meinen Knochen fiel. Ich stellte mir meine verrotteten Genitalien vor. Ich stellte mir meine Schamhaare vor, die sich mit Larven füllten. Und nach all dem gab es unendlich viel Dunkelheit. Da war nichts."

Hoffnungsvoller geht es bei Yoko Ono zu. Deren Werk "EX IT" besteht aus 100 Särgen, aus denen Zitronenbäume wachsen, während der Raum erfüllt wird von Vogelgesang. Yoko Ono verbindet den Tod mit einer Metapher für Leben und Auferstehung. Die 100 Särge wurden zufällig parallel zu der kleinen Berliner Sarg-Präsentation im Museum der bildenden Künste in Leipzig aufgebaut.

Evelyn Weigert ist beim Thema Tod bei Yoko Ono. Sie glaubt, dass wir uns nach dem Tod alle irgendwo wiedersehen. Ronja von Rönne ist beim Mann in der Berghütte: Da wird nichts sein.