Debatte um Rammstein

Offen für alles

 Foto: Jes Larsen/check your head/dpa
Foto: Jes Larsen/check your head/dpa
Die Band Rammstein mit Sänger Till Lindemann in der Mitte

Die deutsche Band Rammstein vermischt in ihrem neuen deutschen Musikvideo viele blutige Stationen der deutschen Geschichte, verkleidet sich als KZ-Häftlinge und nennt das Lied: "Deutschland". Das ist genau so redundant, wie es klingt. Und doch klüger, als man denkt. Ärgerlich wird erst der Schluss

Wieder mal ist es Rammstein gelungen, alle Knöpfe zu drücken. Schon im elektronischen Zeitalter verstand sich die berühmteste deutsche Band auf Provokation, im digitalen hat sie das Spiel um Aufmerksamkeit sogar noch optimiert. Um ein neues Album zu bewerben, das im Mai erscheinen wird, gab es vorerst nur ein paar bewegte Bilder aus dem neuen Video zu sehen, ausgerechnet jene, in denen Gitarrist Paul Landers, Sänger Till Lindemann und Keyboarder Flake Lorenz als KZ-Häftlinge am Galgen hängen. Und jetzt alle an die Telefone, schnell die jüdischen Verbände in Deutschland um Reaktionen bitten! Die die Verkleidung zu Werbezwecken, logisch, nicht okay finden.

Man könnte sich kurz wundern, warum man für derart stumpfe Promostunts eigentlich Aufmerksamkeit oder gar Bewunderung aufbringen soll. Es ist ein bisschen wie früher in der Theater-AG, als man offenen Auges langsam aufeinander zugehen musste und es total irre fand, wie doof sich das anfühlte, so eine Überschreitung des Abstandes, oder: Anstandes. In beiden Fällen, bei Rammstein wie im Theaterkürslein, ist es weder Kunst noch Cleverness, jemandes Grenzen zu verletzen, sondern eine Frechheit, die sich allerdings für klug hält.

Aber von Theater versteht Rammstein ziemlich viel. Das mit Abspann gut neun Minuten lange Video erzählt nicht die übliche Geschichte. Ein roter Strahl aus dem All zeigt auf das Feld der Hermannschlacht, so vermuten wir. Krieger, Wölfe, Wald. Das Ding aus dem All entpuppt sich als schwarze Frau, die in in allen möglichen Kostümen aus allen Epochen Deutschland darstellen wird. Die Heimat als Frau und Fremde: erstmal nicht wegen der dunklen Hautfarbe, sondern weil sie von einem anderen Planeten stammt. "Deutschland - mein Herz in Flammen / Will dich lieben und verdammen."

Dass Rammstein und der Regisseur Specter diese Figur mit der afrodeutschen Schauspielerin Ruby Commey besetzen, verrät das Wissen um ambivalente Vorgänge der Darstellung. Denn mit der schwarzen Frau als Heldin distanziert sich die Band vom Ruf, bewusst offene Flanken für Bewunderung von rechts in ihr Spiel zu integrieren. Zumindest lässt sich das so sehen. Allerdings stand die Sexualisierung dunkelhäutiger Frauen rechter Bewunderung noch nie im Weg. Sex schlägt race.

Das Video lädt fast sechs Minuten ein zu bunten Interpretationen, es ist ein Kostümball des Grauens, bei dem man nie sicher ist, ob deutsche Geschichte zitiert wird oder nur "Deutsche Geschichte, der Film". Es folgen das Mittelalter, der Erste Weltkrieg, die Zwischenkriegszeit, der Zweite Weltkrieg, die Konzentrationslager, die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands und die DDR, die RAF der 70er-Jahre und immer wieder viel Nazikram, darauf steht man in der ganzen Welt, das wussten schon die zackigen Kraftwerk in den 70ern.

Es gibt Hinweise, welche die unentscheidbare Offenheit des Spiel zeigen. Die schwarze Germaniafigur etwa, die gerade Hunde geboren hat (das macht sie im englischen Sprachgebrauch übrigens zur "Bitch"), segelt in einem Sarg wieder ins Weltall. Wo sie hergekommen ist. Entweder sie schieben Deutschland gerade ab, oder nur die Darstellerin von Deutschland.

Dann aber: Die letzten drei Minuten zeigen einen für ein Musikvideo überlangen Abspann, der die Bilder der Grandiosität zu kontemplativer Klaviermusik als Best-of-Revue passieren lässt. Kein Text über Liebe oder auch Hass zur Heimat stört hier, die Bilder reiner Größe wirken ganz allein.

Rammstein sind nicht nur die populärste, sondern auch postmodernste Band Deutschlands, wenn das heißt: offen für alles. Und zwar wirklich für alles.