Gisèle Freund in Berlin

Menschen des 20. Jahrhunderts

An den Wänden der Berliner Akademie der Künste hängen Porträts intellektueller Schlüsselfiguren der Moderne wie James Joyce, Simone de Beauvoir, Virginia Woolf, André Gide, Walter Benjamin, Samuel Beckett und Jean-Paul Sartre - das Who's who der Künstleravantgarde des letzten Jahrhunderts. Diese Aufnahmen machten die deutsch-französische Gisèle Freund, die 1933 als Gisela nach Paris emigrierte, zu einer der berühmtesten Fotografinnen des 20. Jahrhunderts.

Dabei verstand sich die 1908 in Berlin geborene Freund selbst vor allem als Dokumentarfotografin. Indem sie zwischen Dokumentation und offiziellem Porträt nicht trennt, macht die Ausstellung in Berlin das Selbstbild der Künstlerin nachvollziehbar. Dabei wird deutlich, dass die vielen Bilder, die auf dem Weg zum perfekten Porträt entstanden, mehr sind, als langweilige Storyboards. Eine Straßenszene zeigt Jean-Paul Sartre (rauchend), Simone de Beauvoir steht, eine Hand in die andere gelegt, schräg hinter ihm. Er wirkt nachdenklich, unverkennbar sein wild-konzentrierter Blick, sie dabei überraschenderweise wie die klassische "Frau im Hintergrund".

An Glanz verlieren Freunds inszenierte Porträts durch die Umrahmung mit Aufnahmen aus dem Künstleralltag nicht, es lässt vielmehr neue Facetten darin aufblitzen. Freunds strenges Denkerporträt von Walter Benjamin etwa, das zur bekanntesten Abbildungen des Intellektuellen wurde, erscheint vor dem Hintergrund der Aufnahmen, in denen Benjamin grübelnd vor Büchern sitzt, plötzlich verspielt, fast kindlich. Niedlicher Benjamin, denkt man. Dann blickt man in seine Augen, und die ganze Tragik der Geschichte scheint sich in der Empfindsamkeit dieses Mannes zu spiegeln.

Gisèle Freund „Fotografische Szenen und Portraits“, Akademie der Künste Berlin, Hanseatenweg, bis zum 10. August