Ausstellung in Baden-Baden

Menschen im Hotel

Es war eine Nacht wie jede andere. Der Gast hatte nicht auffällig gewirkt, niemand hatte sich über Lärm beschwert und auch das Zimmermädchen, das am 14. März 1999 das Zimmer 710 im Holiday Inn Hotel in Frankfurt-Offenbach für einen neuen Bewohner saubermachte, ahnte nicht, dass nur Stunden zuvor die nüchterne Einrichung Opfer eines anarchischen Künstlereinfalls geworden war: Eine Zwischentür hatte Florian Slotawa aus den Angeln gehoben und zum Dach einer improvisierten Schlafhütte gemacht. Der von seinem Platz verrückte Schreibtisch hatte eine zweite Tür in der Senkrechten gehalten, so dass der Gast wie ein Kind in die Matratzenhöhle hineinkriechen konnte, zurückgezogen und beschützt von den Zumutungen der mittleren Kettenhotellerie, die die Welt in eine beängstigende Flucht aus identisch ausgestatteten Zimmern und Juniorsuiten verwandelt hat.

Doch Slotawa konnte unbehelligt auschecken. Auch aus dem Intercontinental in Leipzig, dem Mövenpick Hotel in Kassel, dem Città de Parenzo in Triest und weiteren Hotels, in denen es zu ähnlichen Vorfällen gekommen war. Von einer Einreisesperre des deutschen Künstlers in die Holiday Inns dieser Welt ist nichts bekannt, was schlicht daran liegt, dass Slotawa die Einrichtungen mit Werkzeug fein säuberlich zerlegt, zu beschlafbaren Installationen umgebaut und dann wieder in den Urzustand zurückversetzt hat: Nur die Fotokamera war Zeuge. Mit diesen "Hotelarbeiten" reihte Slotawa sich in den 90ern ein in die lange Folge von Künstlern, die im oder über das Hotel arbeiten: von William Turner, der gern die Aussicht vom Hotelfenster malte, bis zu Martin Kippenberger, der das Briefpapier für Zeichnungen nutzte.

Manche Künstler starben sogar im Hotel, wie Helmut Newton, der in der Auffahrt des Chateau Marmont verunglückte, oder Dash Snow, der sich im Lafayette House in Manhattan mit einer Überdosis Heroin das Leben nahm. Der Traum von anonymer Mobilität auf der einen und die Angst vor Einsamkeit und Entfremdung auf der anderen Seite machen die Faszination aus, die das Hotel auf Kreative ausübt. Der Film fand in der Hotellobby mit ihrem bühnenartigen Kommen und Gehen schon früh eine ideale Kulisse - man denke nur an Meisterwerke wie "Menschen im Hotel", Murnaus "Dritten Mann" oder zuletzt an die liebevolle Hommage an das gute alte Grand Hotel von Wes Anderson, die die diesjährige Berlinale eröffnete. Doch es sind die bildenden Künstler, welche die Hotels mit ihren Werken dauerhaft verändern. Kunst gegen Bett und Wein, das ist ein altes Prinzip, das bis heute fortgeführt wird (und etwa der britischen Soho-House-Kette eine respektable Sammlung von Gegenwartskunst eingetragen hat).

Kunst im Hotel bedeutet aber leider nicht automatisch gute Kunst im Hotel. Es gibt auf der Welt wohl keine Großstadt mehr, die kein "Art Hotel" aufweisten kann, und kaum eine Hotelkategorie hält einen vergleichbaren ästhetischen Horror für ihre Gäste bereit. Das traditionelle Grandhotel hat sich dem Trend zum Glück nicht angeschlossen: Hier dominieren nach wie vor alte Ölgemälde und Stiche, gediegenes Kunsthandwerk und Blumengestecke. Die drängen sich wenigstens nicht in den Vordergrund. So gesehen kann man sich kaum einen besseren Ort vorstellen als den gediegenen Nobelkurort Baden-Baden, um der Kunst im Hotel und dem Hotel in der Kunst nachzuspüren. Unter dem Titel "Room Service" beschwört die Kunsthalle Baden-Baden jetzt in einer großen Ausstellung den "Mythos Hotel". Künstler vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart werden gezeigt, sowohl im Museum als auch in Baden-Badener Hotels -  Besenkammern und Lobbys, Zimmer und Parkgaragen werden zu Ausstellungsflächen.

Die Amateurdetektivin Sophie Calle ist dabei, ebenso die Verwandlungskünstlerin Cindy Sherman, aber auch ältere Positionen wie William Turner und August Sander. Armin Linke beschäftigt sich dokumentarisch mit der Ausbildung von Hotelpersonal, für die es eigene Schulen gibt. Das komfortabelste Los hat Christian Jankowski gezogen: Er wird als Artist in Residence im legendären Brenners Park Hotel & Spa einquartiert. Nur eine Spezies gibt es vielleicht, die noch mehr Hotelzimmer zu sehen bekommt als Künstler und Flugkapitäne: die Kuratoren. Der Schweizer Hans-Ulrich Obrist wird mit "Hôtel Carlton Palace, Chambre 763" an eine Schau anknüpfen, die er 1993 im gleichnamigen Haus in kuratiert hat, auf zwölf Quadratmetern in seinem eigenen Zimmer und mit immerhin 70 beteiligten Künstlern. Bei solcher Bescheidenheit könnte bald jeder Kurtator seine Ausstellungen im Koffer mitführen wie die Zahnbürste und den Wecker, das Publikum würde alles in der eigenen Stadt sehen statt nach Venedig fahren zu müssen und über die Funktionsweise der Duscharmaturen im Hotelbadezimmer zu rätseln. Aber das wäre ja auch sehr langweilig.

„Room Service. Vom Hotel in der Kunst und Künstlern im Hotel“. Eine Große Landesausstellung in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden. Eröffnungsfestival: 21. März bis 30. März 2014, Ausstellung und Hotel-Parcours: 22. März – 22. Juni 2014

Anlässlich des Projektes von Hans-Ulrich Obrist schreiben in Monopol 3/2014 Johan Holten, Direktor der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden, und Hendrik Bündge, kuratorischer Assistent im Haus, über den Trend zur Rekonstruktion historischer Ausstellungen