Architekturfotograf Werner Blaser

"Mies suchte nach der Wahrheit am Bau"

Herr Blaser, Sie haben eine große Arbeit über Mies van der Rohe geschrieben, die Sie „ABC“ genannt haben: Aachen, Berlin, Chicago.
Ja, das sind die wichtigsten Stationen in Mies' Karriere. In Aachen wurde er geboren, aber am meisten erzählt hat er immer von seinen Erlebnissen in Berlin in den frühen 20er-Jahren und vom Bauhaus in Dessau, wo er viel mit Künstlern zusammen war. Dann ging Mies nach Amerika, Chicago wurde die ganz große Zeit für ihn. Endlich konnte er seinen Traum von einer Stahl- und Glasarchitektur verwirklichen. Dieses sogenannte Skelettprinzip hatte Mies schon in Deutschland entwickelt, die Umsetzung war jedoch damals in Europa nicht möglich. Die Amerikaner waren technisch schon weiter. Ohne Chicago gäbe es den Mies, den wir so verehren, nicht.

Auf den Museumsschildern im MoMA steht: "Mies van der Rohe – American Architect, German born". War Mies Amerikaner oder Deutscher?
Den Amerikanern war es immer wichtig, Mies deutsche Herkunft zu unterstreichen, und in gewisser Weise war es natürlich auch dieses Label, das ihn in Chicago groß machte. Er selbst hat dauernd von Dingen gesprochen, die er aus Deutschland vermisst, er war nicht wie andere amerikanisiert in diesem Sinne. Mies hatte bis zuletzt einen starken Akzent und ist auch innerlich immer Deutscher geblieben, aber auf eine ganz großzügige Weise.

Wie haben Sie sich kennengelernt?

Mies bin ich das erste Mal am Institute of Technology in Chicago begegnet, wo ich studierte. Nach meinem Studium ging ich nach Japan, um dort ein halbes Jahr die Holzarchitektur zu fotografieren. So entstand mein erstes Buch, das ich Mies schickte. Er war begeistert und forderte mich auf, nach Chicago zu kommen – er wollte mit mir ein Buch über seine Arbeiten machen. Das war 1963 – seither sind dutzende Bücher über Mies dazugekommen. Wir hatten ein sehr gutes Verhältnis.

Was war Mies für ein Typ?

Er war eigentlich eher zurückhaltend, fast etwas schüchtern, aber immer voll da. Er kam immer erst gegen dreizehn Uhr ins Büro und saß dann erst einmal für einige Zeit in seinem Stuhl. Irgendwann habe ich gefragt, ob er sich dort ausruhen würde, da hat er gesagt, er würde arbeiten. Mies hat im Stillen alle Projekte durchdacht und kam dann von Tisch zu Tisch, um Korrekturen anzubringen. Die ganzen Entwicklungen in seinem Büro hat er selbst geführt. Er konnte jederzeit mitreden, war sehr intelligent und ein großer Ästhet. Ich glaube, sein stärkstes Organ waren die Augen. Seine Modelle hat er ohne Statiker entwickelt, die kamen erst später. Proportionen konnte er selbst genau festlegen. Mies hat immer gesagt: „Wenn das Modell gut ist, dann ist auch die Statik gut“. Er war wirklich ein Baumeister. Die echte Baukunst stammt von ihm.

Worin genau bestand diese?
Mies hat immer nach der Wahrheit am Bau gesucht. Ohne Wenn und Aber. Auch was er in Berlin gemacht hat, die neue Nationalgalerie … das Gebäude kann Ihnen gefallen oder nicht, aber es ist einfach pur und bis in den Kern wahr. Wissen Sie, das ist eben interessant: Mies hat gar nicht so viel gebaut, wenn wir von neuen Entwürfen sprechen. Er hat nicht nach neuen Formen gesucht. Seine Entwürfe waren eigentlich mehrheitlich Variationen dessen, was er einmal erreicht hatte. Zu mir hat er immer gesagt: „Wir entwerfen nicht, wir entwickeln“. Jeder Bau war ein Prozess.

Und wie war er privat?
Er sei kein Familienmensch, sagte er mir, aber er war ein väterlicher Typ, der immer wissen wollte, wie es einem geht. Mies hatte in allem Haltung. Ein ruhiger Mensch, bescheiden und sehr humorvoll. Immer elegant gekleidet, stets nur die besten Hotels. Selbst seine deutsche Sprache war eigen. Wir haben immer auf Deutsch gesprochen.

Hatte Mies bestimmte Richtlinien für Ihre Fotografien, an die Sie sich halten mussten?
Wissen Sie, ich bin eigentlich kein Fotograf. Mies-Bauten habe ich so dokumentiert, wie ich sie verstand. Ich habe versucht, mehrheitlich Frontalaufnahmen zu machen. Ohne außergewöhnliche Winkel und Perspektiven, einfach so wie ein Bau dasteht. Ich war ganz frei, und offensichtlich haben meine Fotografien Mies' Vorstellungen entsprochen. Leuten, die er mochte, hat Mies alle Freiheiten eingeräumt.

Welches seiner Bauwerke war ihm das Liebste?
Ich bin sicher, es ist der sogenannte Barcelona-Pavillon, den er noch in Deutschland für die Weltausstellung 1929 gebaut hat. Da hat er auch zum ersten Mal eine ganz klare Struktur entwickelt. Es ist eines der größten Bauwerke des 20. Jahrhunderts.

Und haben Sie ein Lieblingsgebäude?

Das Seagram Building in New York. Mies hat es von der Straße zurückgestellt und eine großen Plaza mit Bassins davor gesetzt. Das ist bis heute eines der besten Gebäude geblieben. Großartig sind aber auch die Apartments am Lake Shore Drive in Chicago. Für mich sind es noch immer noch die besten Hochhäuser der Stadt. Es ist eigentlich unglaublich, dass es seither keine ähnlichen Bauten mehr gegeben hat.

Aktuelle Ausstellung:
Galerie Freitag 18.30, Aachen, bis 30. April