AA Bronson im Interview

Mit Whiskey, Butt-Plugs und Hahnenfedern

AA Bronson gründete Ende der 60er-Jahre zusammen mit Jorge Zontal und Felix Partz das Kunstkollektiv General Idea. Bis zum Aids-Tod seiner beiden Freunde 1994 mischten sie gemeinsam mit Ausstellungen, dem Magazin "File" und dem Zentrum Art Metropole in Toronto die Kunstwelt auf, stellten sexuelle Identitäten in Frage und brachten queerness in den Mainstream. In seiner ersten Soloshow in Deutschland ruft der heute 62-jährige Kanadierer nun die queeren Geister Berlins herauf

AA Bronson, im Zentrum Ihrer Ausstellung „Queer Spirits And Other Invocations“ steht ein schamanisches Ritual, das Sie in der Nacht vor der Eröffnung durchführen. Was hat es damit auf sich?
AA Bronson: Die Idee entstand vor drei Jahren, als ich am Banff Centre for the Arts in den kanadischen Rockies Peter Hobbs getroffen habe und wir beschlossen, dem Ort einen queeren Stempel aufzudrücken. Wir fanden eine Hütte, in der wir eine Séance abhielten und damit die queeren Geister heraufbeschwören wollten. Später wiederholten wir das in Winnipeg, in New Orleans und auf Fire Island. Und nun Berlin.

Was meinen Sie mit "queeren Geistern"?
Jeder Ort hat eine männlich geprägte Vergangenheit, durch Gruppen von Männern, die dort einmal lebten. In New Orleans waren es zum Beispiel Piraten, die dort für einige Zeit für Angst und Schrecken sorgten. Ich begebe mich immer schon ein paar Wochen vorher an den Ort und beginne zu recherchieren. Hier in Berlin bin ich dabei auf die preußische Armee gestoßen, die im 18. Jahrhundert 26 Prozent der Bevölkerung Berlins ausmachten. Das heißt, etwa die Hälfte der Männer Berlins waren Soldaten. Diese Vergangenheit interessiert mich, genauso die Situation vor der Machtergreifung Hitlers oder die Toten durch die Aids-Epidemie der 80er-Jahre. Mit diesen Geistern versuche ich Kontakt aufzunehmen.

Wie sieht das konkret aus?
Was genau passiert, kann ich Ihnen nicht verraten. Aber das Prinzip ist immer ähnlich. Die Nacht vor der Eröffnung verbringe ich mit einer Handvoll schwuler Männer in der Galerie, wir sitzen nackt im Kreis, es sind Whiskey, Butt-Plugs und Hahnenfedern im Spiel und wir beschwören die queeren Geister des Ortes, mit denen wir eine Gemeinschaft bilden. Es ist ein schamanistisches Ritual, das weder gefilmt noch sonst wie festgehalten wird. Alles, was man davon zu sehen bekommt, sind die Überreste dieser Séance. Den Rest überlasse ich dem Besucher.

Sprechen wir über Zensur: Im letzten Jahr sorgte die Ausstellung „Hide/Seek“ an der Washingtoner National Portrait Gallery für eine Kontroverse, als wegen einer Beschwerde nachträglich ein Kunstwerk von David Wojnarowicz entfernt wurde.
Ich habe mich damals mit ihm solidarisiert und verlangt, dass auch mein Werk, ein Foto, das ich von meinem General-Idea-Partner Felix Partz wenige Minuten nach seinem Tod machte, ebenfalls abgehängt wird. Dieser Wunsch wurde mir verweigert. Aber es hat zumindest dafür gesorgt, dass über Zensur gesprochen wird.

Wie hat sich in den mehr als vier Dekaden Ihrer Laufbahn die Situation für Künstler in Bezug auf Zensur verändert?
Zensur ist heute vor allem Selbstzensur. Ich möchte heute kein junger Künstler mehr sein. Alles geht nur noch ums Geld. Und um Ruhm. Wir haben uns damals darüber lustig gemacht. Heute wollen alle nur möglichst schnell reich und berühmt werden. Und auch die Museen sind mittlerweile vom Markt geprägt und stehen unter dem Einfluss von Agenten, Sammlern und Mäzenen.

Mit Ihrem Künstlerkollektiv haben Sie bereits in den 70er-Jahren Genderrollen und sexuelle Identität in Ihren Performances in Frage gestellt und Queer Theory ins öffentliche Bewusstsein gebracht.
Oh, das ist nett, dass Sie das sagen. Aber es stimmt, wir haben den Begriff stark mitgeprägt. Heute ist die Debatte sehr breit gefächert. Ich studiere gerade am christlichen Priesterseminar in New York queere Theologie. Dabei bin ich noch nicht mal christlich! Ich muss wohl meine eigene Kirche gründen.

Sie haben 25 Jahre im Kollektiv gearbeitet. Aber auch Ihre Solokarriere ist geprägt von Kollaborationen, wie man in der Ausstellung sehen kann, vor allem von der Zusammenarbeit mit jüngeren Künstlern.
Ich kann einfach schlecht alleine arbeiten. Und mir gefällt die Rolle des Mentors. Einer meiner jüngeren Künstlerfreunde meinte neulich, er würde mich gern als so was wie seinen „kinky daddy“ sehen.

Eröffnung am Freitag, 28. Oktober, 18-21 Uhr, Ausstellung bis 17. Dezember, Galerie Esther Schipper, Schöneberger Ufer 65, Berlin

Das Buch „Queer Spirits“ ist bei JRP-Ringier erschienen und kostet 28 Euro. AA Bronson gibt eine Signierstunde am Samstag, 29. Oktober um 18 Uhr bei Pro qm, Almstadtstr. 48-50, Berlin