Brussels/Beijing. The State of Things

Nach dem Hype

„Selten habe ich so wenig Professionalität bei der Organisation einer Ausstellung erlebt.“ Luc Tuymans ist nicht gerade gut darin, Werbung für die von ihm und Ai Weiwei kuratierte Megaschau „Brussels/Beijing. The State of Things“ zu machen. Nicht nur die üblichen Hindernisse – ein zu kleines Budget, Zeitdruck, gegenläufige kuratorische Interessen – waren das Problem. Schwerer fiel ins Gewicht, dass man sich auf der chinesischen Seite des Gemeinschaftsprojekts, das im Rahmen des Brüsseler Festivals „Europalia“ stattfindet, durch einen schier undurchschaubaren bürokratischen Apparat wieseln musste: Einige versprochene Werke kamen verspätet oder nie in der belgischen Hauptstadt an, andere schwer beschädigt, weil man sie nicht richtig verpackt hatte. „Bei der Eröffnung“, so Tuymans, „konnte ich es kaum glauben, dass wir es wirklich geschafft hatten. Die letzte Arbeit wurde in der Nacht zuvor installiert.“
 
Anmerken tut man der Schau ihre Geburtsschwierigkeiten glücklicherweise nicht. Der Flügel des belgischen Bozar-Museums, der eigens dafür hergerichtet wurde, glänzt. Ein Großwerk reiht sich an das andere. Ai Weiwei und Tuymans kuratieren so, wie sie sich im Leben geben. Mit einer gehörigen Portion Machismo haut man auf die Pauke, man kleckert nicht, man klotzt: Jan Favres gigantische, aus einem Haufen Marmor-Grabsteinen und einer recht expliziten, animierten Plastikpuppe bestehende Installation „I spit on my tomb“ (2008) füllt einen ganzen Oberlichtsaal aus; einen Saal weiter reihen sich die riesigen Pop-Art-Leinwände von Wang Luyan aneinander, die – natürlich in China hergestellte – amerikanische Spielzeugsoldaten und Armbanduhren glorifizieren.

An anderer Stelle geht Wim Delvoyes drei Meter hohe Bronze „Twisted Jesus“ (2008) einen Schaukampf mit einem zehn Meter langen, realistischen Megagemälde von Liu Xiaodong ein, das in Peking lebende amerikanische und europäische Kulturschaffende wie Jünger an der Abendmahltafel porträtiert.
 
Warum China, warum Belgien?
Dass das ganze nicht überwältigend wirkt, liegt an den zahlreichen ästhetischen wie politischen Zwischentönen anderer Werke, die den gängigen Klischees von der surreal-tristen belgitude und der gewieft am Kunstmarkt orientierten chinesischen Kunst nicht so deutlich entsprechen. Bernd Lohaus’ verstörend echt wirkende, bronzene Transportpalletten etwa oder Dora Garcias „Screen Systems“ (2002) – hauchzarte, goldene Bürovorhänge, die einen Ausstellungsraum auf fragilste Weise von der dicht befahrenen Brüsseler Straße trennen, an der das Bozar liegt. Yan Leis leuchtendes, Ugo Rondinone locker übertrumpfendes „Color Wheel“ (2002) möchte man ebenso gesehen haben wie die Installation aus frittierten Plastikpanzern von Zheng Guogo (1999), der das ideologisch verminte Kinderspielzeug aussehen lässt wie zu lange gebackene Peking-Enten. Die Liste ist lang. Kaum einer der 53 ausgestellten Künstler blamiert sich.
 
Trotzdem muss man sich beim Besuch der Ausstellung fragen: warum China, warum Belgien? Wirkt die Gegenüberstellung von Kunst aus diesen beiden Ländern nicht arbiträr und stellenweise etwas forciert? Luc Tuymans, der sich – nachdem er sich gehörig den Ärger vom Leib geredet hat - trotz der Produktionsschwierigkeiten über das Ergebnis freut, antwortete auf diese Frage mit einem breiten Grinsen und dem in diesen Fällen üblichen Kopfnicken in Richtung „kultureller Dialog“.
 
Zwei der lebendigsten Kunstszenen der Welt
Ganz glauben kann man ihm nicht. Erst als er von seinen ausgiebigen China-Reisen erzählt, von den für die nächsten Jahre in Peking geplanten Museen und seiner Freundschaft zu Ai Weiwei, dämmert es, dass es in erster Linie vielleicht um etwas ganz anderes gehen könnte: um eine strategische Allianz nämlich. Wenn es einen gemeinsamen Nenner zwischen den beiden disparaten Kunstländern gibt, dann der, dass sie beide auf dem Kunstmarkt Modewellen ins Leben riefen, die schnell wieder abebbten. Dass fünf der zehn auf den Auktionen von 2007 am teuersten verkauften Künstler noch aus China kamen, wissen viele. Daran, dass der Markt vor der Jahrtausendwende nicht genug von belgischer Kunst bekommen konnte, erinnern sich wenige.
 
Tuymans und Ai Weiweis Ausstellung zeigt das, was nach dem Hype übrig geblieben ist: Zwei der lebendigsten Kunstszenen der Welt, von denen man auch in Zukunft noch viel hören wird.
 
„The State of Things. Brussels/Beijing“, Palais des Beaux-Arts (BOZAR), Brüssel, noch bis zum 10. Januar 2010. Mehr Informationen unter www.bozar.be