Jerry Saltz besucht Galerien in New York

Nach dem Sturm

Ich lebe in Downtown Manhattan, dem Teil der Insel, der ohne Strom ist. Wie bei vielen waren meine Nächte lang, dunkel, kalt und nervenzermürbend leise. Ohne Internetzugang, Handy oder Nachrichten wurde ich ganz unruhig und verspürte den Drang, auf Wanderschaft zu gehen. Am zweiten Tag fragte ich mich, wie die Galerien in Chelsea den Sturm wohl überlebt hatten, und ergriff die Gelegenheit, mein Apartment zu verlassen und nach Westen zu gehen. Als ich dort ankam, sank mein kunstliebendes Herz.

Die weitverbreitete Zerstörung zeigte sich schmerzhaft in zahllosen der im Erdgeschoss liegenden Galerien zwischen der 10. und der 11. Avenue. Fast alle diese Galerien wurden überschwemmt mit Wasser in Höhe von mindestens 1,20 Meter.  Die vielen Lagerräume in den Kellern waren vollgelaufen. Computer und Schreibtischutensilien wurden zerstört. Unzähliges unwiederbringliches historisches Material in Notizbüchern und Galerie-Ordnern wurde einfach weggeschwemmt und ausgelöscht. Skulpturen, Lattenkisten, Möbel und Bilder trieben in unter Wasser stehenden Galerien herum und rammten Wände und andere Kunstwerke.

Ganze Ausstellungen wurden zerstört. Schreibtische schwammen umher. Glastüren waren vom Druck des Wassers in den Galerien zersprungen. Wände rochen bereits modrig oder waren stellenweise verrottet.

Alles verloren
Der entstandene Schaden für die Kunst ist groß. Ich musste mich abwenden, als ich den belgischen Maler Luc Tuymans in die Galerie David Zwirner gehen sah, um sich den Wasserschaden an einem seiner Gemälde anzusehen. Ich stand vor Printed Matter – der größten gemeinnützigen Organisation zur Förderung von Künstlerpublikationen – und beobachtete, wie Karton um Karton ihrer eigenen Druckausgaben und Titel aus dem Keller getragen und in Müllcontainer geschmissen wurden. Alles verloren. Draußen, auf fast allen Bürgersteigen, befanden sich riesige Haufen Pappkartons, Plastik und Lattenkisten. In diesen Behältern hatten sich Kunstwerke befunden, die völlig durchnässt wurden.

Ich sah bestürzte Galeristen Arbeiten auf Papier aus dem Rahmen nehmen und auf jedem möglichen Untergrund zum Trocknen auslegen. Andere Kunsthändler trugen Arbeitsschuhe und schoben Lattenkisten aus den Ausstellungsräumen auf die Bürgersteige, direkt hinein in Container. Eine Frau fuhr 50 19-Liter-Behälter mit Gas aus Upstate New York hierher, um die vielen Pumpgeneratoren anzutreiben. Freiwillige Restaurierungsexperten liefen von Galerie zu Galerie, um Werke daraufhin zu prüfen, ob sie zu retten sind oder verloren. Es war eine "MASH"-Einheit – ein mobiles Feldlazarett – für Kunst.

Als sei eine Bombe explodiert
Ich fragte Kunsthändler, ob sie versichert seien. Die meisten besitzen eine Versicherung für ihre Arbeit, andere eine gegen Flutschäden. Die meisten haben nichts anderes versichert als die Kunst. Das könnte das Ende für viele kleine und große Galerien bedeuten. Ich beobachtete, wie Bilder aus Friedrich Petzels überfluteter Galerie in der 22nd Street zur trockenen Lagerung in seine neuen Räume in der 18th Street transportiert wurden.

Von außen sah es aus, als sei in der 303 Gallery eine Bombe explodiert. Und so ähnlich wirkte es in vielen anderen Galerien. Aus Gagosians tiefliegenden Räumen in der 21st Street strömte das Wasser. Als ich mich unter der Tür durchduckte, fiel mein Blick auf eine einsame Henry-Moore-Skulptur, die zentimetertief im Wasser stand. Eine im Tiefgeschoss liegende Galerie in der West 19th Street füllte sich, als sei sie ein Schwimmbad: Gemälde trieben auf dem Wasser herum, das mehr als 4,5 Meter hoch stand.

Viele verhöhnen die Chelsea-Galerien als fleischfressende Parias. Für mich sind sie ein Teil des Herzbluts unserer Stadt: ein kollektiver Organismus, der in vielfacher Weise New York zu einem der blühendsten Kunstzentren der Welt macht. Diese verlachten und geschmähten Galerien sind Orte, die man kostenlos besuchen kann, und die von seltsamen Leuten mit Visionen geleitet werden, die Künstlern helfen wollen, indem sie ihre Kunst zeigen und verkaufen. Es ist international eine beliebte Beschäftigung geworden, diese Galerien schlicht dafür anzugreifen, was sie sind: groß und kommerziell. Ich liebe sie. Alle. Mehr als je zuvor.

Ein enormer Schlag
Laufen Sie in den nächsten Wochen durch Chelsea, während die Aufräum- und Reparaturarbeiten weiter gehen. Es wird Ihnen auffallen, dass einige der Galerien so kaputt sind, dass es enorm schwierig für sie sein wird, wieder auf die Füße zu kommen. Viele Galerien werden irgendwie versuchen müssen, alles wieder aufzubauen, während sie die nächsten paar Monate ohne die Möglichkeit, Kunst zu zeigen oder zu verkaufen, überstehen. Miete und Rechnungen müssen schließlich weiter bezahlt werden.

Selbst die hartherzigsten Galerien-Kritiker sollten allen diesen Galerien das Beste wünschen. Jeder einzelnen. Ob Kunstpalast oder Tante-Emma-Laden-Ausstellung. Gemeinsam mit einem großen Teil unserer schönen Stadt gehen die Chelsea Galerien gerade durch die Hölle. Ein großer Teil der New Yorker Kunstwelt hat einen enormen Schlag erlitten. An ein New York zu denken ohne seine Galeriendichte, ist, als könne man überhaupt nicht an New York denken. Eine düstere Vorstellung.