Centre Pompidou Paris

Nancy im Kriegerinnenland

Da laufen sie wieder, die stolzen Amazonen der vor einem Jahr 83-jährig verstorbenen New Yorkerin Nancy Spero. In den fabrikhohen Hallen des Centre Pompidou kommen sie auf leisen Sohlen daher, verbiegen die Arme wie ägyptische Göttinnen oder lösen sich wirkungsvoll in dunklen Schattenspielen auf. Das monoton monumentale Ambiente droht sie einzuschüchtern, wenn da nicht ihre kriegerischen Gesten wären, die der Ausstellungsarchitektur aus durchgehend weißen, die Räume quadratisch unterteilenden Zwischenwänden trotzen. So verlieren die viele Meter langen, farbig grundierten Papierbahnen aus Collage- und Stempeldruckzyklen nicht an Wirkung, lassen sportliche Hetären der griechischen Vasenmalerei auf lasziv posierende Showtänzerinnen der Gegenwart treffen und verbinden scheinbar sich ausschließende Szenen der Kulturgeschichte zu einem Reigen weiblicher Widerspenstigkeit.

Die große Ausstellung an der Seine, die erste in Frankreich, hat retrospektiven Charakter. Mit rund sechzig graphischen Arbeiten gibt sie einen chronologischen Einblick in die Entwicklung einer Künstlerin, die ähnlich wie ihre fünfzehn Jahre ältere Kollegin Louise Bourgeois Jahrzehnte lang vom Kunstbetrieb ignoriert wurde. Beide lebten in der gleichen Stadt mit Mann und Kindern, kannten sich seit den Sechzigern und erfuhren ihre Anerkennung im eigenen Land schmerzlich spät. Für Spero kam sie 1992 mit einer Einzelausstellung im MoMA und einer weiteren Schau ein Jahr später im Museum of Contemporay Art in Los Angeles.

Dass Paris erst jetzt nachzieht, verwundert umso mehr, als ihr Werk durch reichlich frankophilen Einfluss glänzt. Nicht nur, dass sie hier die für ihre Karriere folgenreiche Entscheidung traf, die Malerei aufzugeben und sich der figurativen Zeichnung zuzuwenden. Ausgebildet wurde Spero in Chicago und eben auch an der Pariser École des Beaux-Arts, Zitate von Außenseitern wie Artaud und Genet finden sich immer wieder in ihren Arbeiten. Die Sechziger lässt Spero gar unter dem Einfluss der rebellischen Franzosen mit der cholerischen Arbeit „Les Anges, Merde, Fuck You“ beginnen. Da wimmelt es dann vor „Female Bombs“ und dadaistischen Kampfansagen wie „Orgasm now!“.

Der Vietnamkrieg kommt in den berühmten "War Series" weniger anarchisch daher. Mit scheinbar verhuschten Tuschezeichnungen hält die spätere Ikone der Frauenbewegung jede Uneindeutigkeit scheuend das Spielzeug der Männer fest: Kampfhubschrauber, Körperteile, Blut und Bomben. Bewusst sucht sie den Schockeffekt, den sexuell-aggressiven Ausdruck. Den amerikanischen Adler vertauscht sie mit dem deutschen Hakenkreuz und garniert ihren unpatriotischen Wutausbruch mit dem eigenen Speichel. Als Antikriegskunst wird diese Serie bei ihrer Entstehung trotzdem nicht wahrgenommen, der herrschende Minimalismus und die Pop Art lassen für politische Kunst keinen Raum zu.

Bisweilen findet sich Schrift mit den Figuren verbunden, etwa Bert Brechts "Ballade von der Judenhure Marie Sanders". Ihr fügt Spero das Stempelbild einer gefesselten Frau hinzu, überhöht sie zur Märtyrerin und nutzt als Fotovorlage ein Bild aus den Unterlagen eines Gestapo-Mannes. Sie erscheint als eine Figur der Schwäche, als gemartertes, benutztes Opfer, das sich im Spätwerk erst noch zur Kämpferin wandeln muss.

Der Ärger über die eigene Unsichtbarkeit lässt sich übrigens besonders eindrücklich an den großzügig mit Schwarz-Weiß-Fotografien tapezierten Wänden des Eingangs studieren. Hier präsentiert sich Spero als junge intellektuelle Schönheit, die mitten in der Hippieära zum Punk avant la lettre mutiert. Mit blondiertem Kurzhaarschnitt, engen Röhrenjeans, ungesundem Teint und Glitzer-T-Shirt nimmt sie den späteren Magerlook so stilsicher vorweg, dass man bei der Datierung ungläubig einen Fehler wittern möchte. Nein, die Frau hat die Provokation mit Haut und Haar gelebt und selbst im hohen Alter eine unbeugsame Grandezza ausgestrahlt. Echte Vamps, mögen sie auch nie das Etikett feministische Künstlerin loswerden, kennen kein Verfallsdatum.

Centre Pompidou, Paris, bis 10. Januar 2011