Zumthors Serpentine-Pavillon

Naturerlebnis im Zeitraffer

Daniel Kehlmann beschreibt in seinem Roman „Ich und Kaminski“ eine Szene, in der der Protagonist durch unterirdische Stollen irrt, Türen öffnet und voller Entsetzen in eine Dunkelheit starrt, die das Auge in unserem durch und durch elektrifizierten Alltag gar nicht mehr kennt. Daran mag man denken in Peter Zumthors Sommerpavillon. Nur fehlt hier das Entsetzen.

Das minimalistische, schwarze Gebäude des legendären Schweizer Architekten funktioniert wie ein Naturerlebnis im Zeitraffer. Man tritt durch eine der Öffnungen zunächst in einen dunklen Schacht und wandert durch Gänge, ehe das Auge ferne Lichtquellen ausmachen kann. Man geht darauf zu und steht plötzlich inmitten einer Oase aus wilden Gräsern und Blüten.

Um das Grün herum läuft ein überdachter Gang, der zwar Schutz bietet, aber durch das alle Konturen schluckende Schwarz der Wände auch wirkt wie der Eingang zu einer unheimlichen Höhle. Am Tag der Special-Private-Eröffnung ließ sich dieser Moment der Entrücktheit als besonders grotesk erleben: Man hatte sich gerade durch das Schwarz getastet und stieß am paradiesischen Ende der Welt nicht etwa auf Ruhe und Käfer, sondern auf Chardonnay trinkende Kunstsammler. An ruhigen Tagen, muss es in diesem verwachsenen Atrium atemberaubend sein.

Der elfte Architekt, der nach Zaha Hadid, Oscar Niemeyer oder Jean Nouvel das freie Wiesenstück der Londoner Kunstinstitution gestaltet, ist bekannt für seine ruhige, archaisch anmutende Architektur, der es gelingt, Langsamkeit zu kreieren. Den spektakulären Effekt des Ankommens im Inneren eines wie verlassenen wirkenden Klostergartens hat Zumthor erst durch die Zusammenarbeit mit Piet Oudolf geschaffen. Der 66-jährige Niederländer, den seine Jünger als „Vater der Stauden und Gräser“ verehren, wurde berühmt für seine naturnahen Pflanzungen des Lurie Garden im Millennium Park in Chicago oder im High-Line-Park in New York.

Im Gegensatz zum akkurat begrünten, feinen Hyde Park, der die Serpentine Gallery umgibt, ist es in Zumthors Pavillon die Natur, welche die ästhetischen Entscheidungen treffen darf. Als hätte jemand ein Stück wilde Wiese ausgeschnitten und transplantiert, wuchert hier ein unkoordiniertes, fantastisches Farbspektrum in Violett, Blau, Pink oder Weiß aus Kanada-Wiesenknopf, Wolfsmilch oder Heil-Ziest.

Neben der Naturerfahrung zitiert der Pavillon an seinem Eingang aber auch eine zeitgenössische Museumssituation: Dort betritt man normalerweise das Dunkel, weil man im Innern einen Film erwartet. Die Verunsicherung auf der Suche nach dem Licht des Videobeamers. Zumthors Pavillon bringt dieses zeitgenössische, kuratorische Moment mit einer Idee von zeitloser Naturerlebnis wunderbar in Verbindung. Man betritt das Museum und kommt heraus im Paradies.

Serpentine Gallery, London, bis 16. Oktober