Fotografie-Ausstellung in Essen

Nicht den Kopf zerbrechen

Als der Konzeptkünstler Mel Bochner 1967 nach Texten über Fotografie suchte, war er ernüchtert und belustigt zugleich: "Was ich fand, war wirklich ziemlich blöde", sagte er später. Immerhin konnte Bochner eine Arbeit daraus machen, er schrieb eine Auswahl der dämlichen Zitate auf Karteikarten und fotografierte sie ab.

Sein Werk "Misunderstandings (A Theory of Photography)" zählt nun zu den Exponaten der großen Fotografieausstellung im Museum Folkwang, und es hat den dortigen Leiter der Fotografischen Sammlung Florian Ebner auch zum Titel der Schau "(Mis)Understanding Photography. Werke und Manifeste" inspiriert. Was nicht heißt, dass der designierte Kurator des deutschen Pavillons der nächsten Venedig-Biennale ein Feind der Theorie ist. Aber irgendwann, so Ebner, "muss man den Roland Barthes auch mal beiseitelegen, die Bibliothek verlassen und in den Park gehen". Der Park ist gleichbedeutend mit der Praxis der Fotografie.

Im Folkwang-Museum sollen also vor allem die Bilder sprechen. Und das – in diesem Fall produktive – "Missverständnis" bezieht sich vor allem auf die Weigerung von Künstlern, die Apparate "gemäß der Gebrauchsanweisung" (Ebner) zu verwenden oder auf andere Weise der Hochglanzästhetik klassischer Lichtbildnerei zu entsprechen.

Die Schau wird zweigeteilt sein: Ein konzentrierterer Teil mit Manifesten, die passend zum Medium als Faksimiles präsentiert werden, greift weit zurück in die Frühzeit der Fotografie. Programmatische Texte von Louis Daguerre über László Moholy-Nagy bis zu Martha Rosler werden um fotografische Schlüsselwerke der Autoren ergänzt. Das mit 50 Positionen umfangreichere Segment gehört den Künstlern, die ab Ende der 60er-Jahre radikal neue Umgangsweisen mit Fotografie erprobten und vor allem auch aus einem gigantischen Bilderreservoir schöpften. Pioniere der Aneignungsstrategie wie Christian Boltanski, Hans-Peter Feldmann oder Richard Prince sind ebenso vertreten wie die mittlere bis junge Künstlergeneration.

Die Zeit rast in der Fotografie. Analog war gestern, da rücken Wolfgang Tillmans’ "Abstract Pictures" fast in historische Dimen­sionen vor, weil ihre physikalischen und chemischen Voraussetzungen kaum noch gegeben sind. Daher durfte auch Tacita Deans "Kodak"-Loop über die Ent- beziehungsweise Abwicklung von analogem Filmmaterial in der Ausstellung nicht fehlen.

Der Niederländer Hans Eijkelboom mischt in seiner Serie "Portraits & Cameras" persönliche und Produktgeschichte, indem er Porträtfotos von sich selbst, aufgenommen zwischen 1949 und 2009, ein jeweils aktuelles Kameramodell zuordnet. Die Apparate werden jünger, Eijkelboom älter. Zum Subthema "Identität" passen auch Aneta Grzeszykowskas Reinszenierungen von Cindy Shermans "Untitled Film Stills". Die Bezüge vervielfältigen sich: Fotografie ist ein Spiegelkabinett, in dem man sich lustvoll verirren kann.

"(Mis)Understanding Photography", Museum Folkwang, Essen, 14. Juni bis 17. August; Eröffnung: Freitag 13. Juni, 19 Uhr