Galerienwochenende in Berlin

9 Ausstellungen, die Sie beim Gallery Weekend nicht verpassen sollten

Im Berliner Kunstüberfluss kann man sich schon mal verlieren. Unser Highlight-Kompass zu den offiziellen Ausstellungen des Gallery Weekend. Ausgesucht von Elke Buhr, Sebastian Frenzel, Silke Hohmann und Jens Hinrichsen

Michael Krebber bei Buchholz

Bei dem 1945 in Köln geborenen Künstler Michael Krebber ist meist viel weiße Leinwand zu sehen. Die Farbe ist sparsam und flüchtig aufgetragen, die Bilder schlingern zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion. Eine Landschaft? Eine architektonische Struktur? Anmutungen bilden sich – im Kopf des Betrachters – und zerfallen wieder. "Wirklichkeit erschlägt Kunst" lautet der (von Albert Oehlen entlehnte) Titel der vierten Krebber-Schau in der Berliner Galerie Buchholz, die normierte Querformate auf beiden Stockwerken der Filiale zeigt. Gemeint sei keine Kunstzerstörung durch die Realität, so Diedrich Diederichsen in einem Statement zur Serie, sondern, "dass gelungene Kunst hilft, ein Gefühl für die Massivität des Wirklichen zu entwickeln ..."

Galerie Buchholz, bis 15. Juni

Raphaela Vogel bei BQ

Faszinierend, wie Raphaela Vogel immer wieder den Ausnahmezustand hervorruft: Im Zentrum von "Vogelspinne" steht ein neues Video der Künstlerin, sie steht in einem scheinbar endlosen Meer akkordeonspielend und barfuß auf einem Felsen, zwanzig Minuten ohne Schnitt gefilmt von einer Drohne. Auf der extrem lauten Tonspur mischen sich alarmierende Sounds, selbst eingespielter Free-Jazz und "Ich hab’ keine Angst" von Milva (1981), auch eine "biologische Uhr" meldet sich. Ihre chaotisch wirkenden, superpräzisen skulpturalen Installationen aus Traversen und anderem Gerät machen den speziellen Raum von BQ zu einem Gesamtwerk, das Spinnenmotiv bringt Phobiker immer wieder in Bedrängnis. Die gedoppelten Surfsegel im Fenster starren böse in den Raum wie übergroße Insekten: Konfrontationstherapie mit der Vogelspinne.

BQ, bis 6. Juli

Gruppenausstellung bei Klaus Gerrit Friese und Kicken Berlin

Fotografie, Malerei, Zeichnung, Objektkunst – in der Galerie Klaus Gerrit Friese wird ein breites Spektrum aufgefaltet. Unter dem Titel "Life, Liberty, and the Pursuit of Happiness" kooperiert Friese mit Kicken Berlin und zeigt vier in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geborene US-Künstler, von denen nur der Fotograf Robert Frank noch lebt. Zu seinen "The Americans"-Schwarzweißaufnahmen aus den 50ern und 60ern treten Saul Leiters intime wie subtile Aktfotos. Materialcollagen und Zeichnungen des berühmten "New Yorker"-Illustrators Saul Steinberg sind neben Gemälden von William N. Copley zu sehen – faszinierend surreale Tableaus zwischen Sinnenfreude und Puritanismus.

Galerie Klaus Gerrit Friese, bis 4. Juli

Thomas Bayrle bei Neugerriemschneider

Thomas Bayrle hat schon vor rund sechzig Jahren eine künstlerische Sprache gefunden, die damals überhaupt erst aufkommende Phänomene wie Massenproduktion, Überfluss, sogar digitale Copy-Paste-Vertausendfachung präzise auf den Punkt brachte. Das ist bis heute so geblieben. Das Motiv seiner ersten Ausstellung bei Neugerriemschneider: Der Künstler im Zeitalter der Smartphone-Bilderschwemme. Die Heuhaufen von Claude Monets "Les Meules à Givenchy", auch der Plein-Air-Maler selbst setzen sich aus zahllosen Telefonen zusammen, das Motiv wiederholt sich in einem Wandfries, natürlich: endlos.

Neugerriemschneider, bis 25. Mai

Kim Yong-Ik bei Barbara Wien

Kim Yong-Ik gilt als der unterschätzte Rebell der koreanischen Avantgarden. In den siebziger Jahren hatte der 1947 geborene Künstler mit seinen "Plane Objects" großen Erfolg, mit Farbe besprühte Stoffbahnen, die zwischen minimalistischen abstrakten Gemälde und Objekt changieren. Doch 1981 packte er seine Stoffbahnen in Pappkartons und stellte sie aus: eine Verweigerungsgeste, die weniger aggressiv als philosophisch anmutet, so wie sein gesamtes Werk. Bei Barbara Wien ist eine Art Mini-Retrospektive zu sehen, mit der man in die melancholische Denkwelt von Kim Yong-Ik eintauchen kann – bis hin zu der jüngsten Arbeit, einem großformatigen Bild, das eigentlich die vielfach beklebte Pappverpackung eines älteren Gemäldes ist.

Barbara Wien, bis 27. Juli

Veit Laurent Kurz bei Isabella Bortolozzi

Bei Bortolozzi haben seltsame Zwerge die Macht übernommen. Sie sind in fernen Zeiten von einer noch ferneren Insel gekommen und residieren in vermoosten antiken Ruinen. Aus Ärger pflegten sie in Pompeji ins Wasser zu kacken, aber wie sich herausstellte, haben ihre Exkremente wundersame Kräfte. Die Erzählung hinter der Schau "Nutrition and Drama" ist so ironisch wie lustig, der Gang durch die Pappmaché-Welt des Veit Laurent Kunz ein Ausflug in ein Wunderland – und die Gemälde, die das abgedrehte Environment wieder vorsichtig an das Format Verkaufsausstellung zurückbinden, sind auch sehr gut.

Isabella Bortolozzi, bis 29. Juni

Asta Gröting bei Carlier Gebauer

Gar nicht lang her, da verpassten die vielen Einschusslöcher in den Hausfassaden in Mitte oder Prenzlauer Berg den Neu- und Altberlinern tägliches Weltkriegsschaudern. Mittlerweile sind die Löcher fast überall verschwunden und mit ihnen auch ein Stück Zeitgeschichte. Für ihre Ausstellung bei Carlier Gebauer hat die Bildhauerin Asta Gröting Grabplatten und Mausoleen, die im 2. Weltkrieg beschädigt wurden, in Silikon abgeformt. Das Spiel mit Abwesenheit und Anwesenheit, Sichtbaren und Unsichtbarem ist der Motor von Grötings Werk und sie beherrscht es in allen Richtungen. Vor den wandfüllenden Negativformen der Mausoleen liegen Schlafsäcke auf dem Boden, die auf das kunstgeschichtliche Thema der "Liegenden Figur" anspielen und es zugleich verkehren: Traditionell waren die "Liegenden" stets Frauen, den Blicken des Publikums ausgeliefert. Grötings aus Wachs und Harz gegossene Schlafsäcke hingegen verhüllen, möglicherweise sind sie auch leer wie Kokons. Und vielleicht darf man auch hier Berliner Straßenansichten denken, an die Obdachlosen in U-Bahnhöfen. Die sind in den letzten Jahren nicht weniger geworden.

Carlier Gebauer, bis 1. Juni

Sol Calero, Conglomerate und Juan Antonio Olivares bei Chert Lüdde

Ein Kino, ein Keller mit Clubsounds, ein Innenhof Springbrunnen und Zimmerpflanzen: der dreiteilige Auftritt von Chert-Lüdde ist perfekt für alle, die von Kunst mehr erwarten als einsame Kontemplation. Sol Caleros Installation beginnt als Hommage an ihre venezuelanische Großmutter, auf deren Landhaus sie in ihrer Kindheit viel Zeit verbrachte und die selbst künstlerisch tätig war. Von einer Vitrine mit Erinnerungsstücken ausgehend breitet sich Sol Caleros Ausstellung über Wände und Böden aus, greift die Farben, Flora und Tierwelt des venezuelanischen Landlebens auf und abstrahiert sie zugleich. Sol Caleros Mix aus persönlichen Erinnerungen und Klischees (so schön bunt ist Südamerika!), Folklore und High Art fragt immer auch nach dem Zweck der Kunst. Antworten finden darf das Publikum selbst: Im Gespräch im nachgebauten Patio der großmütterlichen Farm, oder im Keller der Galerie, den das Kollektiv Conglomerate, dem Sol Calero angehört, als Kino angelegt hat. Popcorn, Drink und Künstlerfilme inklusive. Alternativ steht noch der Nachbarkeller offen, in dem Juan Antonio Olivares eine Installation aus Wespennestern zeigt. Diese schließt das kollektive Treiben der Insekten sehr poetisch mit der kollektiven Hypnose eines Technoclubs zusammen.

Frida Toranzo Jaeger bei Barbara Weiss

Was haben Autos und Malerei gemeinsam? Beide werden traditionell von Männern gesteuert, beide verkörpern Macht und Kontrolle – und beide sind ein bisschen gestrig. Frida Toranzo Jaeger führt in ihrer herausragenden Soloschau diese beiden Anachronismen zusammen und öffnet den Blick für eine Zukunft, in der die Dinge technisch wie künstlerisch anders laufen. Ihre Bilder zeigen Innenansichten von Hybrid- oder Elektroautos, Prototypen wie dem "Audi Aicon 2020" etwa, der bereits ohne Lenkrad auskommt, ohne starken Steuermann. Die Zeit, die Kontrolle abzugeben, ist gekommen – das mag deutsche Verkehrsminister verängstigen, Toranzo Jaeger feiert die neue Ära. Ihre Umpolung alter Gewissheiten ist dabei alles andere als technologiefeindlich: Das verraten ihre waghalsigen Perspektiven, die detailliert-lustvolle Erkundung des Maschinenlebens und seiner erotischer Potentiale. Den Fetisch des neuen, cleanen Smartdesigns durchkreuzt sie mit schmutzigem Sex. "Sappho" zeigt zwei nackte Frauen auf der Rückbank eines Autos - Klischee jedes Russ-Meyer-Pornos - doch die beiden sind in innig lesbischem Sex vereint. Sicherheitshalber blicken zwei Hunde mahnend auf den Betrachter wie in einer barocken Allegorie: Voyeurismus wird mit Höllenqualen bestraft! Überhaupt ist hier vieles allegorisch: Die Verbindung von Auto und Malerei, die Durchdringung von Körper und Maschine, die kunsthistorischen Referenzen in den Displays der hypermodernen Fahrzeug-Cockpits (von Cranachs "Venus" über Georgia O`Keefe bis zu Kazimir Malewitsch bis zu Frank Stella). Oft teilt Toranzo Jaeger ihre Bilder in Diptychen und Triptychen auf, als handelte es sich um Altarbilder, und tatsächlich strahlen diese Werke eine urtümliche, magische Wucht aus, erkunden Paradies und Apokalypse der allernächsten Zukunft. Auf die gemalten Flächen setzt die Künstlerin immer wieder Stickereien. Darin steckt eine Referenz an ihre mexikanische Heimat, ein Spiel mit Dekor und weiblich-konnotierter Heimarbeit und zugleich eine Geste der Ermächtigung: Nadel und Faden penetrieren die Leinwand, fügen dem Bild Wunden zu und unendliche Lust.