Berlin und seine Gedenkorte

Ein Loch mit internationaler Wirkung

Berlin (dpa) - Den Pflasterstreifen quer über die Berliner Friedrichstraße am Checkpoint Charlie übersehen die meisten Touristen. Hier am früheren Grenzkontrollpunkt symbolisiert nur ein schmaler Streifen die Mauer. Fliegende Händler verkaufen Bratwürste und Gasmasken. Ein paar Kilometer entfernt gibt es mehr originale Geschichte zum Anfassen: das längste noch erhaltene Mauerstück. Es ist zum Streitfall geworden. Denn in der weltbekannten East Side Gallery mit Bildern von mehr als 100 Künstlern gibt es ein neues Loch - mit internationaler Beachtung.

   Zwar werden nach kraftvollen Protesten nun vorerst keine weiteren Mauerteile herausgenommen. Doch viele Fragen stellen sich neu: Wie geht Berlin mit den rar gewordenen authentischen Zeugnissen der deutschen Teilung um? Wer ist verantwortlich? Und wäre das Versetzen der Mauerstücke nicht einfach weitergegangen, wenn nicht mehr als 6000 Menschen für den Erhalt der Mauer demonstriert hätten?

   Es greife eine gefährliche Geschichtsvergessenheit um sich, die deutsche Teilung sei bei der jungen Generation kaum noch präsent, beklagt Rainer Wagner vom Dachverband der SED-Opfer. Auch in Berlin ist bereits eine Generation erwachsen, die die Mauer nur vom Hörensagen kennt. Bei der Demonstration am Sonntag an der East Side Gallery hielten Kinder denn auch Schilder hoch: «Welche Mauer?» Mindestens 136 Menschen waren nach wissenschaftlichen Erkenntnissen an der Mauer gestorben.

   Geschichte erlebbar zu machen - das ist das erklärte Ziel Berlins. Doch was weg ist, ist weg. Erst 2006 einigte sich der rot-rote Senat auf ein Gedenk-Konzept. In der Euphorie über den Mauerfall konnte es mit dem Abriss des verhassten Bollwerks vielen nicht schnell genug gehen. Es wurde geschreddert, verkauft, neu verbaut. Auch den Palast der Republik mit dem Volkskammersaal, dem DDR-Parlament, gibt es heute nicht mehr. Hier soll das alte Stadtschloss wieder erstehen, was nach einer jüngsten Umfrage von der Mehrheit der Berliner abgelehnt wird.

   In der Gedenkstätte Bernauer Straße, die als Symbol der deutschen Teilung gilt, wurde ein Originalstück der Mauer mit rostigen Stahlstäben ergänzt. Wege der DDR-Posten auf dem früheren Todesstreifen wurden mit Stahlbändern nachgebildet, ein Fenster der Erinnerung mit Bildern der Mauertoten aufgestellt. Die Gedenklandschaft unter freiem Himmel ist das Kernstück des Berliner Gedenkkonzepts. Obwohl die Besucherzahlen steigen, hatten Kritiker bemängelt, dass die Stätte zu weit weg vom Zentrum und den Touristenströmen liege. Doch das Konzept setzt gerade auf dezentrale Gedenkorte.

   Am geschichtsträchtigen Checkpoint Charlie ist die Situation seit Jahren verfahren. Es gibt das private Mauermuseum von Alexandra Hildebrandt, ein Magnet für Touristen aus aller Welt. Das Haus ist bestens besucht - obwohl Historiker die Sammlung kritisch sehen.

   Zudem posieren hier sowie am Brandenburger Tor falsche Grenzschützer für Touristen - gegen Geld. Regelmäßig zu Gedenk-Jahrestagen taucht die Frage auf: Wo sind die Grenzen zwischen seriöser Erinnerung, Kommerz und Rummelatmosphäre?

   Als Gegengewicht zum oft als Disneyland kritisierten Checkpoint hatte Berlin eine Open-Air-Bildergalerie zum Mauerbau an der Friedrichstraße aufstellen lassen. Ein Teil davon wurde inzwischen in eine Black Box ein paar Meter weiter umgelagert. Sie soll eine Zwischenlösung für das geplante Museum des Kalten Krieges sein. Wann es kommt, ist unklar. Auf der Brache ist derzeit die Mauer-Rotunde des Künstlers Yadegar Asisi zu sehen.

   Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), zugleich Kultursenator, betonte nun nach mehreren Tagen des Schweigens am Montag: «Ich setze mich für den Erhalt des Mauerstücks ein». Der rot-schwarze Senat sieht die Verantwortung aber beim Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, Franz Schulz (Grüne). Demonstranten und Bürgerinitiativen hatten gefordert, Wowereit solle sich für die East Side Gallery einsetzen.

   «Berlin hat da wohl so einige Schwierigkeiten», kommentiert eine Besucherin aus Nordrhein-Westfalen am Checkpoint. Sie findet, Geschichte ins Bewusstsein zu rücken, bleibe immer aktuell.