Fotokünstler Partenheimer über die Lage in der Türkei

Die vorgezogene Istanbul-Biennale

Benedikt Partenheimer, warum sind Sie nach Istanbul gereist?
Aus persönlichem Interesse. Schon seit längerem interessieren mich die globalen Veränderungsprozesse in unseren Gesellschaften und ich wollte mir einen eigenen Eindruck von der Lage in Istanbul verschaffen.

Wie haben Sie die letzten Tage erlebt?
Sie waren eine unangenehme aber wichtige Erfahrung für mich und haben wieder einmal verdeutlicht, dass Demokratie reine Auslegungssache der Regierung ist. Die Willkür und Brutalität der Polizei ist erschreckend. Ich habe miterlebt, wie Ärzte, alte Menschen, Frauen und friedliche Demonstranten mit unangemessener Härte attackiert und auch verletzt worden sind. Man weiß immer noch nicht, wo sich viele der Verhafteten aufhalten und wie lange sie in Gewahrsam bleiben.

Wie verhalten sich Ausländer in diesem Konflikt?
Die meisten Ausländer, abgesehen von der Presse, halten sich, soweit ich das beurteilen kann, fern von den Ausschreitungen. Zumal es nicht wirklich angenehm ist, Tränengas einzuatmen und es auch keine Garantie dafür gibt, dass man als Ausländer von der Polizei verschont wird.

Haben Sie protestierende Künstler getroffen? Gibt es künstlerische Mittel des Protests?
Ich habe mit vielen Künstlern gesprochen. Es herrscht vornehmlich eine euphorische Stimmung mit der starken Hoffnung auf Veränderung. Ein großer Teil des Protests findet auf Facebook und Twitter statt. Dort geht es nicht nur um Informationsaustausch und Koordination der Proteste, sondern auch um eine kreative, oft ironische Auseinandersetzung mit der Regierung, insbesondere mit Erdogan. Einige Künstler sagen, dass die Istanbul Biennale dieses Jahr nicht mehr stattfinden muss, da die Proteste selbst als Kunst im öffentlichen Raum zu verstehen sind. Der Fokus der diesjährigen Biennale richtet sich auf den Begriff des öffentlichen Raumes als politisches Forum.

Fühlen sie sich als Fotograf auch manchmal wie ein Schaulustiger?
„Schaulust“ impliziert die passive Beobachtung eines Unglücks oder einer Katastrophe frei von jeglichem Verantwortungsbewusstsein. Natürlich ist das hier nicht mein Konflikt und ein Gefühl von Deplatziertheit kann ich nicht vollkommen abstreiten. Dennoch glaube ich an eine Art kollektives Bewusstsein und empfinde starke Empathie für Menschen die sich für ihre Rechte einsetzen und auch bereit sind, dafür auf die Straße zu gehen.

Welche Erfolgsaussichten haben diese Proteste Ihrer Meinung nach?
Als Außenstehender ist das schwer zu beurteilen. Mit etwas Glück könnten sie bewirken, dass bei den kommenen Wahlen die Regierung abgelöst wird. Die nächsten Wahlen sind allerdings erst in neun Monaten ... Die Frage ist, ob es überhaupt gute Alternativen zur jetzigen Regierung gibt. Der Erfolg, wenn man so will, ist eher der Wille zur Veränderung.