Filmfest Locarno: Interview mit Tine Fischer

Wie werden wir in Zukunft Filme sehen?

Frau Fischer, Sie wollen in keine Schublade passen: Galeristin, Jury-Präsidentin, Festivalgründerin. Wie beschreiben Sie sich selbst?
Ich fühle mich weder als reiner Filmmensch, noch bin ich in der Kunstwelt komplett heimisch. Ich sage dann immer, ich arbeite „zwischen“ Film und Kunst. In beidem bin ich seit etwa zwölf Jahren aktiv und sehe mich in beiden Traditionen verankert. Das versuche ich den Leuten klar zu machen, damit sie auch verstehen, warum ich wie Dinge tue und sehe. Für mich ist dieses Grenzgebiet einfach unglaublich spannend und es passiert sehr viel.

Das dänische Kino ist seit Jahren extrem erfolgreich, sowohl bei Kritikern als auch an beim Publikum. Dänische Kunst scheint es dagegen schwerer zu haben.
Das Interessante ist, dass auch die international erfolgreichen Regisseure fast immer ganz klar dänisches Kino machen, ihre Filme besitzen eine dänische Identität, und sie sind als solche erkennbar, weil die Regisseure bis auf wenige Ausnahmen weiter in Dänemark arbeiten. Es gibt eine funktionierende Filmindustrie. Die Künstler dagegen fangen an der dänischen Akademie an, aber dann gehen sie nach Frankfurt oder Berlin, weil sie dort viel bessere Bedingungen haben und Karriere machen können. Es gibt keine dänische Kunstszene. Es gibt dänische Künstler wie Olafur Eliasson, aber auch er lebt längst in Berlin.

Sie haben die Annäherung zwischen bildender Kunst und Film in den letzten zehn Jahren erlebt. Was sind nach Ihrer Ansicht die Gründe dafür? Haben sich die Strukturen verändert? Oder gibt es schlicht mehr Künstler, die interdisziplinär arbeiten wollen?
Mein Festival hat vor drei Jahren eine Plattform namens Art Film geschaffen, wo wir mit Institutionen wie den Kunstwerken in Berlin oder dem Filmfest Rotterdam kollaborieren. Es ist ein Think Tank, in dem wir genau diese Fragen stellen. Es ist nicht zu übersehen, dass immer mehr Künstler sich dem Medium Film widmen. Und da passieren meiner Meinung nach gerade einige der spannendsten Dinge überhaupt. Es gab einige, die sehr erfolgreich waren, aber das Problem ist, dass sie sich danach sehr schnell den Gegebenheiten der Filmbranche anpassen mussten, um weiter in dem Bereich arbeiten zu können. Zugleich liegt das Filmkunstkino im Sterben, ein Film wie „Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben“ von Apichatpong Weerasethakul, der die Goldene Palme in Cannes gewonnen hat, hat danach kaum jemand im Kino gesehen. Wäre der auf der Kunstbiennale in Venedig gelaufen, hätten ihn Hunderttausende gesehen. Es geht also um die Frage, welche Institutionen sich am besten um solche Filme kümmern können.

Aber es fängt schon früher an, bei der Frage, wie diese Filme überhaupt entstehen, oder?
Ein Film ist ein teurer Prozess, deswegen wird das auch in der klassischen Filmbranche extrem stark kontrolliert. Aber wenn man mit bildenden Künstlern arbeitet, hat man diese Kontrolle überhaupt nicht. Es könnte auch für die Filmbranche ganz interessant sein, wie man eine Umgebung schafft, die Ideen und Kreativität zulässt und wie ein Dialog zwischen Künstler und Produzent aussehen kann, wenn es nicht um Kontrolle geht. Was die Finanzierung angeht, werden Institutionen wie Museen, Kunsthallen und Mäzene immer wichtiger, die als Ko-Produzenten mit einsteigen.

Wie sehen Sie die Zukunft des Arthouse-Kinos? Wird es zu einer Nische, die vor allem in Festivals und Museen stattfindet?
Da geht es allgemein um die Frage, ´. Gibt es noch Kinos? Oder werden wir das Meiste auf VoD-Plattformen sehen, auf unseren Laptops und Beamern im Heimkino? In Kopenhagen gibt es kaum noch Arthouse-Filme im Kino, ich sehe das meiste online oder auf Festivals. Dieser Trend wird sich noch verstärken. Aber es wäre nur zu begrüßen, wenn sich Museen und Kunsthallen da mehr engagieren würden. Bislang sind viele wie das MoMA in New York vor allem auf Retrospektiven fokussiert und hatten eher die Funktion einer Kinemathek, haben aber kaum aktuelle Filme gezeigt.

Welche Art von Kunst zeigen Sie in Ihrer Galerie Andersen-S Contemporary?
Unsere Künstler müssen nicht zwangsläufig etwas mit Film zu tun haben, aber wir entwickeln gerade ein Konzept für eine Einheit innerhalb der Galerie, die sich mit Arthouse-Praktiken auseinandersetzt. Ich rede schon seit mindestens fünf Jahren auf Panels über die Notwendigkeit eines solchen Ortes und jetzt machen wir es eben selbst. So sollen Partnerschaften entstehen, in denen Kunstfilme abseits der üblichen Filmförderungswege möglich sind.

Gelten für die Bewertung von zeitgenössischer Kunst und Film unterschiedliche Parameter?
Diese Frage beschäftigt mich auch! In der Kunstszene reicht es, wenn eine Handvoll Leute etwas gut finden. Nehmen wir mal an, der Leiter der Documenta, drei einflussreiche Kritiker und eine wichtige Galerie sagen: "Das ist fantastisch!" Dann wird das ein Erfolg. Im Kino ist das ganz anders. Wenn man keinen Vertrieb und eine relevante Anzahl von verkauften Tickets hat, ist es sehr schwer bis unmöglich, Geld für den nächsten Film zu finden.

Das Filmfestival Locarno läuft bis zum 17. August